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Architektur im Abseits
Neue Zürcher Zeitung

Subversive Strategien für Tokio von Bow-wow Architects

Die Stadtlandschaften Japans werden von gesichtsloser Investorenarchitektur und anonymen Wohnbauten dominiert. Das junge Architekturbüro Bow-wow wagt nun den konsequenten Versuch, Architektur städtebaulich zu interpretieren. Seine Lösungen führen weg vom bestimmenden Designanspruch vieler ihrer Berufskollegen.

7. Juni 2002 - Sibylle Hahner
Mit den «Mini-Häusern in Japan» haben Ausstellungsmacher und Zeitschriftenredaktoren vor einigen Jahren ein Label definiert, das eine jüngere Generation von japanischen Architekten international bekannt machte und die Minimalismus-Debatte um eine neue, asiatische Komponente bereicherte. Weitgehend ohne gemeinsamen Anspruch, reflektieren diese Wohnhäuser die planerischen und gesellschaftlichen Eckpunkte im heutigen Japan. Im Städtegürtel, der sich entlang von Japans Südküste zieht, ist Bauland knapp und teuer; besonders in Tokio herrscht ein Horror vacui, der dazu führt, dass sämtliche Restflächen nach und nach maximal ausgenutzt werden. Extreme Wohnkonzepte, wie sie aus Japan schon seit den sechziger Jahren bekannt sind, werden mit dem «Wohnen ausser Haus» zu Ende gedacht. In Tokio kann das Zuhause auf ein Minimum reduziert werden, denn fast alle Wohnfunktionen sind in die Stadt ausgelagert: Der 24-Stunden-Shop ersetzt den Kühlschrank, zum Essen geht man ins Restaurant, mit Freunden trifft man sich im Kino, im Love Hotel verbringt man die Nacht. Übrig bleibt ein privater Galerieraum ohne vordefinierte Funktion, eine entleerte, nach innen gerichtete Zelle.


«Made in Tokyo»

Das Atelier Bow-wow aus Tokio ist eines der Architekturbüros, deren Mini-Häuser auch im Architekturforum Zürich zu sehen waren. Jedoch beschränkt sich die Tätigkeit des 1965 in Kanagawa geborenen Yoshiharu Tsukamoto und der vier Jahre jüngeren Momoyo Kaijima aus Tokio nicht auf das Design von kleinen urbanen Architekturen; mit städtebaulichen Analysen leisten sie theoretische Vorarbeit für das Bauen in der Grossstadt. Seit der Gründung ihres Büros vor zehn Jahren halten sie Ausschau nach Gebäuden, die sich im «Off» befinden, das heisst, die sich keiner gängigen Typologie zuordnen lassen. Zur systematischen Erfassung ihrer Tokio-spezifischen Beobachtungen und Recherchen haben sie eine eigene Methode entwickelt. Ein Zwischenergebnis dieser Form der Stadtbetrachtung dokumentiert ihr Buch «Made in Tokyo» (Kajima Institute Publishing, Tokio 2001). In diesem zweisprachigen Guidebook sammeln und entschlüsseln Bow-wow zusammen mit dem Architekten und Künstler Junzo Kuroda siebzig Bauten in Tokio, die den Kriterien der «Cross-Categories» entsprechen. Die aus dem Häusermeer herausgefilterten und mit einem Spitznamen versehenen Beispiele sind mit einer Schwarzweissfoto illustriert und einer Isometrie samt nützlichen Erklärungen kommentiert. Durch einen Stadtplanausschnitt und einen Übersichtsplan im Anhang ist jeder Gebäudekomplex genau lokalisiert.

Die Gebäude von «Made in Tokyo» sind absichtlich keine Musterbeispiele architektonischer Planung. Sie fallen nicht in die Kategorie kultureller Bauten. Sie sind zweitklassig wie Parkhäuser oder Supermärkte. Kaum je von namhaften Architekten entworfen, sind sie auf minimalen Aufwand und maximale Ökonomie ausgerichtet.

Der konsequente Versuch, Architektur städtebaulich zu interpretieren, führt weg vom bestimmenden Designanspruch vieler Berufskollegen und erklärt den im japanischen Kontext ungewöhnlichen Entwurfsansatz von Bow-wow. Eines der ersten realisierten Projekte des Büros, ein Mini-Haus von 1998, steht von allen Aussengrenzen abgerückt in der Mitte des Grundstücks und verschränkt mit seinen ausgreifenden Volumina für Bad und Küche den Wohnbereich mit dem Aussenraum. Damit wird das Bauland da verwertet, wo üblicherweise keine Nutzung mehr vorgesehen ist: Die baurechtlich bedingten Lücken zwischen benachbarten Gebäuden - 50 cm Mindestabstand von der Grundstücksgrenze - bieten allenfalls noch Platz für die allgegenwärtigen Verkaufsautomaten. Beim Mini-Haus von Bow-wow wird der traditionelle Typus des introvertierten Hofhauses nach aussen gestülpt, und die ansonsten streng betonte Grenzlinie zwischen Haus und Stadt wird verräumlicht.


«Pet-Size» und «Ghost Architects»

Dass Bauen für Bow-wow ein Prozess ist, der ein komplexes soziales Gefüge abbildet, lässt ihre eigene Architektur zur - wenn auch ernsthaft betriebenen - Nebensache werden. Wesentlicher Teil ihrer Arbeit bleibt das konzeptionell-analytische Element. Dazu gehört neben «Made in Tokyo» auch eine Untersuchung über Objekte, die zu klein sind, um als Architektur bemerkt zu werden, aber zu gross, um ein Möbelstück zu sein: «Pet-Size», also niedliche Architektur, die sich wie ein kleiner Hund zu seinem Herrchen verhält. Und auf der diesjährigen Asian Triennale in Fukuoka boten Bow-wow ihre Dienste als «Ghost Architects» an. Im temporären Büro wurde eine kostenlose Beratungsstelle für Architekturfragen eingerichtet und eine Reihe von gefundenen Stellen in Fukuoka so präsentiert, als wären es die eigenen Projekte. Mit dieser Art von Transferleistungen heben sich Tsukamoto und Kaijima angenehm ab von einem Mainstream, der sich gegen die Übermacht anonymer Planung nicht behaupten kann.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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