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Der Großputz an der Mur
Der Großputz an der Mur, Foto: Peter Eder
Spectrum

2003 ist es soweit: Graz ist Europas „Kulturhauptstadt“. Wie die meisten ihrer Vorgängerinnen verläßt sich die steirische Metropole nicht allein auf Kulturerbe und lokale Kulturszene, sondern will mit spektakulären Neubauten reüssieren - und präsentiert sich sechs Monate davor als lärmende Großbaustelle.

22. Juni 2002 - Karin Tschavgova
Blättert man im Bilderbuch europäischer Kulturhauptstädte der letzten Jahre, so zeigt sich, daß die Architektur - prestigeträchtige Neubauten - häufig als Zugpferd eingesetzt wird, um Besuchermassen anzulocken. Bekannte Namen aus dem globalen Architektenstarzirkus sind sehr begehrt, und wenn man nicht wie Rotterdam als Kulturhauptstadt 2001 das Glück hat, auf heimische Größen wie Rem Kolhaas zurückgreifen zu können, dann kauft man, wie Brügge, Stars wie Toyo Ito ein, die für Renommee garantieren sollen. Ob dies im Sinne der Kulturhauptstadterfinder ist, deren Programmatik darauf abzielt, lokales Kulturerbe bekannt zu machen, die Identität lokaler Kulturszenen zu stärken und ihre Position innerhalb des aktuellen europäischen Kulturgeschehens auszuloten, bleibt dahingestellt.

Ein Bilbao-Effekt wäre den Grazer Kultur- wie Tourismusverantwortlichen gleichermaßen willkommen, doch leider eignet sich das Grazer Kunsthaus, jener spektakuläre oder zumindest ungewöhnliche Entwurf des britischen Architektenduos Peter Cook und Colin Fournier, vorerst nicht als solcher. Er existiert noch nicht einmal als Rohbau und wird schlicht und einfach im Kulturhauptstadtjahr 2003 nicht fertig werden oder frühestens im Spätherbst des Jahres - bislang ohne zugkräftigen Inhalt und ohne Programm. Mit ihrem Kunsthaus scheinen die Grazer kein Glück zu haben, seine unendliche Geschichte deckt gravierende Mängel der politisch Verantwortlichen der letzten zehn Jahre auf: Profilierungssucht, Uneinigkeit, Populismus und Zögerlichkeit.

Auch der dritten Auflage als Ergebnis eines dritten Wettbewerbs am dritten Standort ist ein gelungener Ausgang nicht garantiert. Noch ist die Materialwahl der Oberfläche der blauen, gestaltgebenden Blase nicht entschieden. Ausgeschrieben wurden eine Haut aus Acrylglas und alternativ dazu, aus Angst vor einer Sprengung des Kostenrahmens, eine aus Blech (!). Damit könnte der Anspruch der Architekten nach einem „geschmeidigen Kokon“ mit teils „opaker, teils transparenter Membran“, die „nachts exotische Enthüllungen“ verspricht und „geradezu in das Innere hineinzieht“, keineswegs erfüllt werden.

Eine Architektur im begrifflichen Umfeld von Bionik, Blobs und Biomorphismus, die, obwohl keineswegs neu, sich bis dato vorwiegend in Zeichnungen manifestiert und die auch in ihrer Erstauflage in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts über das Stadium des Objekthaften nicht hinauskam, verlangt für die Umsetzung in ein funktionstüchtiges Objekt Bereitschaft zum Experiment. Will man das Besondere des Kunsthauses, jenes „Atmen“ der Haut und ihre Luzidität, einigermaßen entwurfstreu umsetzen, so kann dies nur ohne ein Denken in Wohnbauförderungskriterien, in ministerialen Richtlinien und ohne starren finanziellen wie zeitlichen Rahmen gelingen. Dem enormen zeitlichen Druck könnte man sich durchaus widersetzen - immerhin wurde die Realisierung des Kunsthauses mehr als ein Jahrzehnt politisch blockiert, und die Bedeutung des Hauses für die Stadt zeigt sich erst, wenn es mit Inhalt gefüllt wird.

Gleich mehrere Bauvorhaben, die unabhängig vom Kulturhauptstadtjahr konzipiert wurden, werden von Stadtpolitikern wie Programmachern für 2003 vereinnahmt: etwa die Stadthalle, die kurz vor der Fertigstellung steht. Schon lange als dringend benötigte „Halle für Alle“ in aller Munde, wurde sie am nunmehrigen Standort als Messehalle ausgeschrieben und erst durch den nicht ausschreibungskonformen Wettbewerbsbeitrag von Klaus Kada zu einer imposanten Multifunktionshalle aufgewertet. Diese würde sich für große Veranstaltungen im Rahmen der Kulturhauptstadt bestens eignen, doch liegt bis jetzt keine Reservierung vor. Der Umbau des Hauptbahnhofs wiederum erfolgt im Rahmen der „Bahnhofsoffensive“ und hat mit dem Kulturhauptstadtgedanken ebensowenig zu tun wie die künstlerische Ausstattung seiner Halle durch Peter Kogler.

Die Errichtung einer Muruferpromenade von 840 Metern Länge hingegen ist direkt an 2003 gebunden, an die Notwendigkeit einer Anbindung der Murinsel des New Yorker Künstlers Vito Acconci. Dieses von den Verantwortlichen als Highlight gepriesene Projekt, das als schwimmende Muschel aus zwei geöffneten Schalen beschrieben wird, machte den raschen Ausbau des linken Murufers möglich. Will man dem neuen, ungewohnten Zugang zum Fluß eine Bereicherung der stadträumlichen Qualität auch nicht absprechen, so muß man doch bemerken, daß dieser Ausbau jegliche avancierte Gestaltungsabsicht vermissen läßt. Ein grob detaillierter Stiegenabgang, der sich plump vor die kleinteilige Fassadenstruktur des Kälbernen Viertels stellt, eine wenig inspirierte Wegeführung in Beton und Tausende Tonnen Flußbausteine machen noch lange keine Gestaltung aus. Vielleicht hätte man auf eines der in den letzten Jahren ausgearbeiteten Konzepte zurückgreifen sollen oder sich Laibach mit der immer noch als vorbildlich geltenden Ufergestaltung durch Josef Plecnik zum Vorbild nehmen.

Die als Leitprojekt geltende schwimmende Insel ist das einzige explizit für das nächste Jahr entstehende Bauwerk. Bau- oder Kunstwerk? Ihr Designer, der als Künstler auf der Rankingliste der Weltbesten firmiert, hat vermutlich zuerst an ein schwimmendes, zweckfreies Objekt gedacht. So viel Mut haben die, die das mit fünf Millionen Euro sündteure Projekt vor Ort forcieren, nicht. Sie glauben, es mit Zweck belegen zu müssen, und pferchen Café, Kinderspielplatz und Veranstaltungsort hinein. Die Insel bleibt über 2003 hinaus bestehen. Ob sie nachhaltigen Bestand haben wird? Sicher, jeder wird sie einmal besuchen. Stadträumlich ist ihre Lage bei genauer Betrachtung weniger attraktiv als die Schanigärten in der Fußgängerzone - vom bunten Trubel der Stadt abgetrennt, versenkt, ohne Aussicht auf die Kulisse der Altstadt und vermutlich auch die des Schloßbergs.

Der Druck, der momentan all den dem Jubeljahr untergeordneten Bauvorhaben zuteil wird, hätte eher einem Gebäude zuteil werden sollen, das sein häßliches Dasein vorerst weiterführen darf; dem Schloßbergrestaurant. Scharen von Touristen (542.000 Besucher jährlich werden allein mit den beiden Aufstiegshilfen transportiert) erklimmen täglich den Schloßberg, um den Uhrturm zu sehen. Auch die Grazer zeigen zunehmend mehr Verbundenheit mit dem Berg. Sie alle passieren einen Schandfleck der Stadt. Ein von der Stadt 1998 beauftragtes Gutachten hat aufgrund hoher Sanierungskosten des heterogenen, unfunktionellen Bestands Totalabriß und Neuerrichtung empfohlen. Nun wird dennoch eine Sanierungsvariante umgesetzt, allerdings nicht während des nächsten Jahres. Was soll's: Die Grazer sind gewöhnt daran, zu warten.

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