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Geklärt, beruhigt, maßvoll
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Nichts überfordert, nichts übertrumpft. Historischer Bestand in zurückhaltend zeitgenössischer Gestaltung: Wien, Herrengasse 9, 11 und 13. Außenministerium und Nationalbibliothek haben drei erneuerte Häuser bezogen.

25. Juni 2005 - Walter Zschokke
Bauzaun und Container am Minoritenplatz sind verschwunden, die schweren Baufahrzeuge, die oft genug den Verkehr zum Stillstand zwangen, sind andernorts im Einsatz. Von außen ist nicht viel Veränderung abzulesen, sieht man ab vom zweigeschoßigen, verglasten Steg über der Leopold-Figl-Gasse sowie von dem schmalen Streifen der beiden gänzlich erneuerten Dachgeschoße auf dem ehemaligen niederösterreichischen Landhaus. Natürlich wurden auch die Fassaden aufgefrischt, aber sonst gleicht das neue lokale Stadtbild dem alten.

Als Generalplaner für Umbau und Erneuerung der drei Häuser Herrengasse 9, 11 und 13 wurde Architekt Gerhard Lindner beauftragt, der sein Atelier in Baden hat, und im Umgang mit denkmalgeschützten Bauten über jahrelange Erfahrung verfügt. Bereits voll in Betrieb ist das mittlere Haus, die Nummer 11. Es wurde 1845 bis 1848 von Paul Sprenger als „Statthalterei“ für die Verwaltung Niederösterreichs gebaut. Baukünstlerisch interessant sind das westliche Stiegenhaus - das östliche wurde im Krieg zerstört - und der Marmorsaal. Letzterer weist an den Wänden prächtigen Stuckmarmor in duftigen Pastelltönen auf. Aus Unkenntnis wird dieses vom Naturstein verschiedene Gestaltungsmittel oft als falscher Marmor, ja als „Fälschung“ bezeichnet. Dieser Irrtum klärt sich schnell in dem von Deckenmalereien Leopold Kupelwiesers überwölbten Raum.

Für die neue Nutzung als Außenministerium wurde der Hauptzugang an den Minoritenplatz verlegt. Sicherheitserfordernisse und denkmalpflegerische Auflagen stellten dem Architekten manche verzwickte Aufgabe, die aber meist mit ansprechender Zurückhaltung gelöst wurde. Vor allem klärte er die ziemlich verbaute Raumstruktur und vereinfachte damit die innere Orientierung. Alte, profilierte Türen wurden gerichtet, die Böden - etwa im Stiegenhaus - gereinigt, aber sonst belassen. Hingegen wurden neue Sanitärgruppen eingebaut und Aufzüge - knapp abgegrenzt - in den Bestand eingeschnitten.

Neue Türen weisen alle die gleichen, standardisierten Zargen auf, in welchen die Türblätter bündig einschlagen. So ergibt sich ein ruhiger Gesamteindruck, in dem Alt und Neu mit derselben Selbstverständlichkeit nebeneinander stehen und dank einer strukturellen Verwandtschaft gut harmonieren. Weniger geglückt ist die von einem „Farbgestalter“ nachträglich vorgenommene, cremige Ausmalung der Gänge. Trotz der „sonnengelben“ Flächen wirken die Korridore nun eher stumpf als hell. Der neu gestaltete Raum des Pressezentrums ist akustisch und optisch stark beruhigt, wird aber gerade dadurch nobilitiert.

Das Auswärtige Amt beansprucht überdies vier Geschoße im benachbarten Haus Herrengasse 13, dem früheren niederösterreichischen Landhaus. In diesem Gebäude wurden 1832 bis 1848 von Alois Pichl verschiedene, teils bis ins Spätmittelalter zurückreichende Teile zu einem Gesamtbauwerk vereinigt, an dem aber die baulichen und stilistischen Unterschiede nicht amalgamiert, sondern integriert wurden. Diesen Ansatz führt Gerhard Lindner, da und dort sogar recht pointiert, weiter. Die Verbindung zum Haupthaus erfolgt über den zweigeschoßigen neuen Glassteg. Vor allem aber wurden die zwei obersten Geschoße gänzlich ersetzt. Sie treten zwar nach außen kaum in Erscheinung, ermöglichen aber eine optimale innere Organisation, denn zuvor waren nicht wenige Räume wegen zu großer Trakttiefe ohne natürliches Licht. Breite Sonnenblenden schützen die großzügigen Büroräume vor sommerlicher Einstrahlung. An der Westseite ergab sich hinter der Attikamauer zum Minoritenplatz sogar Raum für einen attraktiven Gartenhof für Erholungspausen an frischer Luft.

Das Erd- und erste Obergeschoß mit den repräsentativen Räumen Landtagssaal, Herrensaal, Prälatensaal und Rittersaal behielt das Land Niederösterreich, um darin ein Veranstaltungszentrum und die Blau-Gelbe Galerie einzurichten. Der Landtagssaal mit der flach gewölbten, 1710 von Antonio Beduzzi ausgemalten Decke blieb natürlich weit gehend unverändert. Hingegen mussten in den üppigen, späthistoristischen Wand- und Deckenverkleidungen der anderen drei Säle die Maßnahmen für Lüftung und Klimatisierung möglichst versteckt untergebracht werden.

Im Erdgeschoß entstanden ausreichende Foyer- und Garderoberäumlichkeiten in zurückhaltend zeitgenössischer Gestaltung. Auch hier bewährte es sich, den heterogenen, teils attraktiven - beispielsweise gotischen -, aber zugleich schlichten Bestand nicht zu überfordern und auch nicht übertrumpfen zu wollen. Eine uneitle Gestaltung mit Eichenfurnier und Kratzputzflächen kommt dem entgegen.

Im südlichen Seitenflügel wird im Erdgeschoß die Blau-Gelbe Galerie einziehen. Für zeitgenössische Kunst vorgesehen, hält sich die Gestaltung auch hier angenehm zurück. Als Reminiszenz an die frühe Moderne weist der Boden einen fugenlosen Holzzementbelag auf, in den 1930er-Jahren oft als Industrieboden verlegt. Der weiträumige Innenhof wurde mit großformatigen Granitplatten gegenüber der früheren Situation mit Kleinsteinpflaster deutlich nobler definiert. Von hier aus treten auch die neuen Obergeschoße über dem alten Dachgesims in Erscheinung. Gestalterisch zurückgenommen, stören sie kaum.

In das Palais Mollard, Herrengasse 9, früher Niederösterreichisches Landesmuseum und in den hinteren, verwinkelt labyrinthischen Gebäudeteilen als Büros genutzt, zieht neu die Nationalbibliothek mit der Musiksammlung, dem Globen- und dem Esperantomuseum ein. Den barocken Straßentrakt erneuerte man mit denkmalpflegerischer Sorgfalt, während der hintere Teil unter Wahrung der Hofstruktur neu aufgebaut wurde. Im Wesentlichen enthält er einen Tief- und einen Hochspeicher. Vorzeigeelement ist jedoch das im rechten Seitenflügel neu errichtete Treppenhaus, dessen Innenwand aus verschiedenfarbigen, hinterleuchteten Glasflächen besteht. Da die Geschoßhöhen nach oben abnehmen, werden die Treppenläufe kürzer, und der Vertikalraum verengt sich nach oben keilförmig, was dem Raumerlebnis mehr Dynamik verleiht. Damit wird die bis ins 20. Jahrhundert reichende Tradition aufgenommen, Treppenhäuser als architektonischen Erlebnisraum, nicht als bloße Verbindung zwischen den Geschoßen zu interpretieren. Gewiss nehmen die meisten Leute den Aufzug, aber wenigstens abwärts ließen sich Treppen nutzen, was gesünder und hier auch räumlich interessant ist.

Die anspruchsvolle Tragwerksplanung und deren statische Berechnung stammen von den Bauingenieuren Manfred Gemeiner und Martin Haferl, in Architektenkreisen als architektursensible Fachleute seit längerem bekannt. Auch sie hatten weniger Sensationelles als unzählige knifflige Probleme zu lösen. Man mag nun einwenden, das sei für Architekten und Bauingenieure Alltag. Dass es aber trotz der komplexen Bedingungen in allen drei Häusern zu einem ansprechenden und angemessen unaufgeregten Gesamteindruck gekommen ist, ist eher eine positive Ausnahme. Denn aufgesetzte Eitelkeiten gibt es mittlerweile genug.

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