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Hügel, Grat und Mulde
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Eine Region in Goldgräberstimmung: das südsteirische Weinland. Seine Landschaft droht im Bauboom ihre Substanz zu verlieren. Wer hat die Kompetenz, das zu verhindern? Und wer die Unabhängigkeit?

2. Juli 2005 - Karin Tschavgova
Was muss sie nicht alles an Ver gleichen hinnehmen, die klein räumige Region an der Grenze zu Slowenien? Eine „steirische Toskana“ soll sie sein, die sanfthügelige Landschaft mit mildem Klima und besonderen Böden. Jahrhundertelang war der Weinanbau ein Teil kleiner bäuerlicher Mischbetriebe, bis vor rund 25 Jahren ein paar junge Absolventen der Weinbauschule ausschließlich auf Wein, in höchster Kultivierung, setzten und mit den ersten überregionalen Erfolgen Vorbild für die anderen wurden. Vom Weinskandal war die strukturell in jeder Hinsicht begrenzte Region nicht betroffen - sie nutzte ihn jedoch als Gunst der Stunde, um sich als kleines, feines Weinanbaugebiet mit Qualität zu positionieren.

Das Kalkül scheint aufzugehen. Wer heute in der Südsteiermark urlauben will, muss mit der Quartiersuche rechtzeitig beginnen und sich zur Kellerführung anmelden. Um den Gast geworben wird mit der Güte des Weins und der Schönheit der Landschaft. Sie ist das eigentliche Kapital der Marke „südsteirische Weinstraße“. Nun führt die Aufwertung des Weines zu gewaltigen Investitionen und bringt einen Bauboom mit sich. Jeder will vom Tourismus profitieren (wofür man Verständnis haben kann, wurde der Boden der Grenzregion doch jahrhundertelang von bitterarmen Keuschlern bestellt). Den Anfang machten die Spitzenwinzer mit dem Ausbau ihrer Produktionsstätten. Sie folgten - im Bemühen, ihrem Qualitätsanspruch eine bauliche Entsprechung zu geben - einem weltweiten Trend und engagierten Architekten für die Planung der Weinkeller und Verkaufsräume. Dabei sind in der Südsteiermark einige durchaus vorzeigbare Beispiele entstanden, die heute touristische Ziele sind. Es herrscht Goldgräberstimmung. Neue Weingärten werden angelegt, wo immer es noch möglich ist, Wein zu kultivieren. Erste, (noch) klein konzipierte Hotels nisten sich in die sanften Hügel ein, aus traditionellen Buschenschänken werden Beherbergungsbetriebe, und Privathäuser werden ausgebaut, um geförderte Winzerzimmer unterzubringen.

Der Aufschwung drückt sich im Bauen aus und verändert die Landschaft. Das Kapital Landschaft, dem der Wohlstand zu verdanken ist, wird in seiner Substanz angegriffen und ist in Gefahr.

Das Südsteirische Weinland trägt das Prädikat Naturpark, verliehen vom Land Steiermark mit der Ziel „des Schutzes einer Landschaft in Verbindung mit deren Nutzung“. Die Bestandsaufnahme im daraufhin erstellten regionalen Entwicklungsplan für 2000 bis 2006 weist auf zahlreiche punktuelle Baulandausweisungen hin, die bisher kaum auf das Landschaftsbild Rücksicht genommen haben. Die Notwendigkeit „der Steuerung der Siedlungsentwicklung hinsichtlich der Erhaltung der Kulturlandschaft“ wird prioritär betont. Als Schwäche wird die „starke Überformung der historischen Bausubstanz durch mangelnde Baugesinnung“ gesehen, und vor dem Verlust des eigenständigen Charakters des Landschaftsbildes durch mangelnde Bauqualität wird ausdrücklich gewarnt.

Leitlinien, die der Zersiedelung und Zerstörung des Landschaftsraumes entgegenwirken könnten, enthält das regionale Entwicklungsprogramm nicht. Das ist auch gut so, denn Festlegungen in Form von Leitbildern bergen die Gefahr in sich, einschränkend, rückwärtsgewandt und starr zu sein und jede dynamische, prozesshafte Entwicklung von Baukultur zu verhindern. Es gibt weltweit nur wenige Beispiele von raumordnenden Interventionen in größere Siedlungs- und Landschaftsräume, denen Leitprinzipien zugrunde lagen und die als geglückt betrachtet werden können. Alle sind dem Engagement und dem Können kompetenter Einzelpersönlichkeiten zu verdanken, die in einer Person aus der Politik einen verständigen Partner gefunden haben. Ein Beispiel ist der Tessiner Ort Monte Carasso, für den der Architekt Luigi Snozzi ab 1977 ein Gemeinde-Entwicklungskonzept erarbeiten konnte, das die Frage nach dem Spezifischen des Ortes in den Vordergrund stellte. Snozzi erarbeitete Vorschriften, die wie ein Spielfeld eines Brettspiels aufgebaut waren, auf dem ein Architekt sich innerhalb der Regeln frei bewegen konnte.

Ein anderes Beispiel sind der Künstler César Manrique und sein Einsatz für die Erhaltung der landschaftlichen und kulturellen Identität seiner Heimatinsel Lanzarote ab 1966, einem Zeitpunkt, als die Folgen des Fremdenverkehrs die Schönheit der Insel zu zerstören drohten. Er leistete Überzeugungsarbeit, entwickelte ein tragfähiges Modell der örtlichen Raum- und Bauplanung mit und plante selbst einige vorbildliche zeitgemäße Beispiele für landschaftsbezogenes Bauen.

Im südsteirischen Weinland müsste jede Baulandausweisung durch den Raumplaner im Rahmen einer Revision des Flächenwidmungsplans, jede Parzellierung des neuen Baulandes durch den Geometer, aber auch jede Genehmigung von Bauvorhaben im Spiegel des Ganzen betrachtet werden. Das Landschaftsrelief, der Hügel, der Grat, die Mulde, natürliche Rainbegrenzungen und Wegeführungen, Aussicht, Hintergrund, Blickbeziehungen, die Hanglage, Nachbarschaften, Größenverhältnisse und Maßstäblichkeit müssten Beachtung finden und in die Bewertung einbezogen werden.

Erste Bauinstanz in den Gemeinden ist der Bürgermeister, der sich des immer gleichen Ortssachverständigen als Berater bedient. Die Frage darf gestellt werden: Wie viele dieser Gutachter haben die fachliche Kompetenz, derart komplexe räumliche Zusammenhänge zu erkennen und zu bewerten - und die Unabhängigkeit, sie sachlich zu beurteilen? Mit der seit Jänner 2005 gültigen Novellierung des Steirischen Naturschutzgesetzes, das auch den Landschaftsschutz der Naturparke einbezieht, wurde die Kompetenz für die Genehmigung von größeren Bauvorhaben dezentral den Bezirkshauptmannschaften und ihren Baubezirksleitungen zugeteilt. Deren Sachverständige, oft auch nicht geschult, haben nun die Aufgabe, mittels Gutachten Bauvorhaben abzulehnen, wenn diese eine nachteilige Veränderung des Landschaftsbildes bewirken würden.

Nun wurde ein „Bauherrenbegleiter“ herausgegeben, der kostenlos bei der Baubezirksleitung Leibnitz erhältlich ist. Er erklärt Entwicklung und Form des Wohnhauses im südsteirischen Weinland und zeigt mit Planungsbeispielen Perspektiven für eine landschaftsgebundene und -schonende Bauweise auf. Darin wird betont, dass Typen nicht formale Vorgaben sein können, sondern nur Grundsätze widerspiegeln, die Variabilität erlauben. Aufklärung und Bewusstseinsbildung für Bauqualität allein können nicht ausreichend sein, das Kapital des südsteirischen Lebensraumes - die Landschaft - vor weiterer Zerstörung zu bewahren. Es wird eine rigorose Anwendung der Raumordnung brauchen und geänderte gesetzliche Instanzen und Reglements zur Baubewertung und -genehmigung. Jeder einzelne Bewohner müsste die Tugend der freiwilligen Selbstbeschränkung erwerben.

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