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High-Tech-Maschine
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Fußball ist Geschäft, das gilt auch für den Ort des Geschehens.

1. Juli 2002
Schon längst gilt: „Ein Stadion ist eher mit einer Maschine als mit herkömmlichen Gebäuden oder Strukturen zu vergleichen“, wie der britische Ingenieur Ove Arup einmal bemerkte. Noch mehr als bisher wird sich diese Maschine den komplexen Zwängen von Mediengesellschaft, Spektakelkultur und Investitionsdruck fügen müssen.
Grundlegender Wandel

Ehrwürdige Kolosse, wie das Wembley-Stadion in London, das San Siro in Mailand oder auch das Erst-Happel-Stadion in Wien mussten mehr oder weniger weitreichende Umbauten über sich ergehen lassen, um den veränderten Ansprüchen zu genügen. Und das war erst der Anfang.


Smart Architecture

Eine Studie der Bauhaus-Universität in Weimar analysierte die Möglichkeiten der Digitalisierung für moderne Stadien. Von biometrischen Methoden der Besuchererkennung ist da die Rede und von elektronischen Gimmicks, die den Stadionsitz zur Playstation machen.

Was manche Opernhäuser (!) ihren plebäischen Verwandten mit elektronischen Übersetzungssystemen am Sitzplatz bereits vorgemacht haben, wird in diesen Plänen noch dramatisch verfeinert. Die Wahl der besten Kameraposition, wird mittels Touchscreen vom eigenen Sitzplatz ebenso möglich sein, wie beliebige Wiederholungen und Zeitlupen. Jeder sein eigener Schiedsrichter! Die Anbindung ans Netz und die Möglichkeit von Onlinewetten, direkt vom Ort des Geschehens, eröffnen zusätzliche Dimensionen.

Die Gäste der diskreten VIP-Lounges werden mit Face-Scans ebenso automatisch erkannt werden, wie die polizeibekannten Radaubrüder - mit dem feinen Unterschied, dass man diese in eigene Sektoren pfercht, jenen aber eine cleane, auch akustisch gefilterte Umgebung für Smalltalk und Geschäftsanbahnung einrichtet.


Virtuelle Massen

Da das eigentliche Geschäft mit den Stadien aber im Fernsehen liegt, kommt es immer weniger darauf an, großen Zuschauermassen Platz zu bieten, sondern dem Fernsehpublikum optimale Atmosphäre zu vermitteln. Und das geht in kleineren Stadien besser. Der Besucher vor Ort ist damit längst zum Statisten der eigentlich relevanten (Werbe-)kunden geworden. Gesteigert wird der Effekt, wenn die Zuschauerränge über die Laufbahn bis an den Spielfeldrand verschoben werden können. Das tut auch den Besuchern vor Ort gut, weil es sie näher an ihre Idole bringt.

Ein Entwurf der jüngsten Zeit trägt dieser Entwicklung sinnfällig Rechnung. Das neue Münchner Stadion der Architektenduos Herzog & de Meuron heißt nicht nur Allianz-Arena, sondern verwandelt mit seiner intelligenten Außenhaut das ganze Stadion in einen bis in Flugverkehrshöhe sichtbaren Werbeträger.


Das Architekturzentrum Wien (Gabriele Kaiser und Kurt Zweifel) hat für kultur.ORF.at die folgende Chronologie baugeschichtlich bedeutsamer Stadien erstellt:

1934 / 1952
Olympia Stadion, Helsinki
Architektur: Yrjö Lindegren und Toivo Jäntti. Beginn des „finnischen Rationalismus“; der Olympia-Turm, Symbol der Olympischen Spiele 1952, erreichte durch seine außen liegende Wendeltreppe skulpturale Qualität.

1932/1990
Stadio Communale, Florenz
Architektur 1932: Pier Luigi Nervi; Umbau 1990: Italo Gamberini, Giovanni Slocovich. Erbaut für den Weltcup 1934, bringt dieser Stadionbau die konstruktive Kräfte der Betonstruktur mit verblüffender Eleganz zum Ausdruck.

1934-1936
Olympiastadion, Berlin
Architektur: Werner March; Fassadenverkleidung nach einem Konzept von Albert Speer; 1974 Tribünendächer: Friedrich Wilhelm Krahe.

1947-50
Estádio Mário Filho, Rio de Janeiro (im Volksmund Maracana-Stadium genannt)
Architekt: unbekannt; der weltgrößte Fußballschrein.

1953 / 1968
Universitätsstadion, Mexico City
Architektur: Perez Palacios; Vergrößerung anlässlich der Olympiade 1968; die große, korbrunde Form des Stadions soll den Krater eines Vulkans symbolisieren.

1956-1958
David S. Ingalls Hockey Rink, New Haven
Architektur: Eero Saarinen; das relativ kleine Stadion auf dem Campus der Yale University mit dem Spitznamen „Yale Whale“ weckt augrund seines parabolischen Rückgrats zahlreiche Assoziationen: Wikinger Schiff, Inkarnation von Energie und Bewegung, gestrandeter Wal...; Vorbild für Kenzo Tanges Olympia-Halle in Tokyo.

1957-59
Stadio Flaminio und Palazzetto dello Sport, Rom
Architektur: Annibale Vitellozzi; Tragwerk: Pier Luigi Nervi mit Antonio Nervi. Sachlicher, dreigeschoßiger Stahlbetonskellettbau mit drei Bauphasen und 30-jähriger Planungsgeschichte; für die Fussball-WM 1990 erhielt das Stadion eine vollständige Tribünenüberdachung. Die Dachkappe des Pallazzetto, der unmittelbar neben dem Stadion errichtet wurde, ruht wie ein modernes Pantheon auf 36 mächtigen Y-Trägern.

1961-1964
Olympische Halle, Tokyo
Architektur: Kenzo Tange; expressive Synthese moderner Konstruktion und traditioneller japanischer Formensprache.

1962
Takamatsu Hall
Architektur: Kenzo Tange,Tragwerk: URTEC, Yoshikatsu Tsuboi, Uichi Inoue. Gigantisches „Betonboot“ im Süden Japans

1969-1972
Olympiastadion, München
Architektur: Günther Behnisch & Partner, Zeltdachkonstruktion: Frei Otto, Fritz Leonhard. Charakteristisches Merkmal: die Dachmembran, ein gespanntes Netz aus Stahlseilen mit transparenter Acrylverglasung.

1974-1976
Olympia-Stadion, Montreal
Architektur: Roger Taillibert, signifikantes Seeigelskellett mit abnehmbarer Zeltdachkonstruktion (1988 realisiert).

1987-1989
Stadio Luigi Ferraris, Genua Architektur: Gregotti Associati, Mailand, Tragwerk: Studi Sajni & Zambetti. In Form eines rechteckigen Hofgebäudes mit vier Ecktürmen in „Pompejanisch-Rot“ ist das mächtige Stadion mitten ins Gefüge der Stadt gesetzt.

1990
Stadio San Nicola, Bari
Architektur: Renzo Piano Building Workshop und Joseph Zucker, Tragwerk: Ove Arup & Partners, (Peter Rice). Ein ringförmiges, halb in die Erde eingesenktes UFO vor den Toren der Stadt.

1992
Olympia-Stadion, Barcelona
Architektur 1984: Gregotti Associati, Mailand. Sachlicher Stahlbetonskelettbau, der einen heftigen Kontrast zur historisierenden Außenfassade bildet, die vom ursprünglichen anlässlich der Expo 1929 errichteten Stadion übrig geblieben sind.

1992
Palau Sant Jordi Gymnasium, Barcelona
Architektur: Arata Isozaki.

1993-1997
Velodrom und Olmypische Schwimmhalle, Berlin
Architektur: Dominique Perrault, Tragwerk: Ove Arup & Partners. Zwei gefrorene Stahlseen im Apfelbaumhain auf dem Prenzlauer Berg...

1996-1999
Stadium Australia, Sidney
Architetur: HOK + LOBB. Für die Olympischen Spiele 2000 wurde ein riesiges Industrieareal in eine Parklandschaft verwandelt, in dessen Mitte das Stadion mit seine beiden ausgreifenden Dachflügeln errichtet wurde.

1995-1998
Stade de France, Paris, St. Denis
Architektur: M. Macary, A. Zubléna, M. Regembal, C. Constantini. Mit schwebender (d.h. von 18 Pilonen abgehängter) Dach-Diskusscheibe für das Weltcup-Finale 1998 errichtet.

2001
St. Jakob Stadion, Basel
Architektur: Herzog & de Meuron.

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