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Ein Mexikaner am Hudson River
Neue Zürcher Zeitung

Eine Ausstellung über den Architekten Enrique Norten im Museum of the City of New York

Erst seit vier Jahren arbeitet Enrique Norten in New York. Dennoch konnte er sich in der Architekturszene der Stadt bereits einen Namen machen. Nun würdigt das Museum of the City of New York sein Schaffen am Hudson River mit einer Übersichtsschau.

12. August 2005 - Beat Aeberhard
Vor wenigen Wochen gab der Direktor des Guggenheim Museum, Thomas Krens, den Sieger des Wettbewerbs für eine Dépendance seiner Institution in Mexiko bekannt. Die Wahl fiel auf den international bekannten Architekten Enrique Norten, was niemanden, der sowohl Krens als auch Norten kennt, gross erstaunte. Denn Krens setzt auf spektakuläre Architektur, immer in der Hoffnung, das Wunder von Bilbao wiederholen zu können. Das gilt auch für das in Guadalajara geplante Guggenheim-Gebäude, das ebenfalls als Publikumsmagnet funktionieren soll. Und offensichtlich glaubt Krens dies am ehesten mit Nortens Vorschlag eines 180 Meter hohen, transparenten Glasturms zu erreichen.

Wahrzeichen für New York

Einem breiteren New Yorker Publikum ist Norten seit seiner vielbeachteten Inszenierung der Ausstellung «The Aztecs» im Guggenheim Museum vom letzten Herbst bekannt; und nun würdigt das Museum of the City of New York sein Schaffen mit einem Überblick über seine Projekte am Hudson River. Der Mexikaner, der sowohl in seiner Heimat als auch in den USA und Europa plant und baut, eröffnete vor vier Jahren eine Filiale seiner Firma TEN Arquitectos - TEN steht für Taller (oder Atelier) Enrique Norten - in Manhattan. Schnell wurde er mit Aufträgen überhäuft, so dass mittlerweile seine New Yorker Zweigstelle mehr Mitarbeiter beschäftigt als sein Hauptbüro in Mexiko.

Unter dem Titel «New York Fast Forward» zeigt die Schau acht Projekte, die insbesondere in städtebaulicher Hinsicht durch ihren kreativen Ansatz bestechen. Vermittelt werden diese durch Modelle, Zeichnungen, grossformatige Fotografien sowie computergenerierte Bilder und Animationen. Dabei fällt auf, dass Nortens Entwürfe nicht eindeutig identifizierbar sind, folgen sie doch nicht einer einmal erfolgreich erprobten Handschrift, sondern scheinen immer wieder neu erarbeitet zu werden. Gemeinsam ist allen indes ein Ausdruck von Spannung und Bewegung, der aus dem Dialog der Entwürfe mit dem Kontext resultiert. Sein in verschiedener Hinsicht bemerkenswertestes Projekt ist die Brooklyn Public Library for the Visual and Performing Arts (VPA), die dereinst einem gläsernen Schiffsbug gleich auf einer dreieckigen Parzelle schweben und mit dem dahinter liegenden, zeichenhaften Art-déco-Turm einer Bank kontrastieren soll, um diesen optisch besser an die überdimensionale Flatbush Avenue zu binden. Mit dem VPA will Norten eine Ikone der neuen Technologien erschaffen. Eine Doppelglasfassade kontrolliert das nach innen und aussen flirrende Licht. Animationen sollen dem Ausstellungsbesucher eine ständig changierende Collage aus Menschen, Raum, Form und Bewegung vermitteln.

Hotelneubau in Harlem

Das Projekt «Harlem Park» demonstriert Enrique Nortens Fähigkeit, ein der New Yorker Tradition verpflichtetes Gebäude zu schaffen, das gleichzeitig einen Beitrag an den Strassenraum und an die charakteristische Skyline der Stadt leistet. An Harlems Hauptachse, der 125. Strasse, gelegen, soll der 34-stöckige Neubau - Harlems erstes neues Hotel seit 1966 - ein 204 Zimmer zählendes Hotel, rund 100 Wohnungen sowie Büros und Ladengeschäfte aufnehmen. Architektonisch besonders überzeugend sind die ondulierenden Fassaden aus Glas und Beton sowie der farbige Sockel. Dass die Formfindung für dieses Grossprojekt nicht ganz einfach war, veranschaulichen in der Ausstellung Dutzende Kartonmodelle.

Die Schau wird durch einige Konzeptstudien ergänzt. Darunter findet sich ein Vorschlag für die Umsiedlung der Metropolitan Opera an die West 42nd Street. Diese Studie ist nicht nur deswegen von Interesse, weil es sich um einen Entwurf für ein hybrides, multifunktionales Gebäude von hoher Komplexität handelt, sondern auch aufgrund der Tatsache, dass sich die alte Oper bis zu ihrem Umzug ins Lincoln Center for the Performing Arts in den sechziger Jahren in unmittelbarer Nachbarschaft zum vorgeschlagenen Ort des möglichen Neubaus befand.

Optimismus

In der sich auf New York konzentrierenden Schau fehlt zwar der Entwurf für das Guggenheim Museum in Guadalajara. Dennoch könnte dieser zum bisher meistbeachteten Projekt Enrique Nortens werden - und zugleich zu seiner bisher grössten Herausforderung. Krens kann und will sich keinen Lapsus leisten. Deshalb erarbeitet die Beraterfirma McKinsey momentan eine Machbarkeitsstudie für die lateinamerikanische Filiale. Norten selbst glaubt fest an das Projekt. Er war schon immer Optimist. Und dieser Optimismus hat ihm auch den Durchbruch in einer Stadt ermöglicht, die vor allem auf Stars und Publikumslieblinge fixiert ist, wie der 51-jährige Architekt unlängst der «New York Times» anvertraute. Weiter meinte er: «Als Architekt träumt man von einer Präsenz in New York, aber man weiss nicht, wie man das machen soll.» Nun, Nortens Anwesenheit in der Metropole am Hudson dürfte demnächst kaum mehr zu übersehen sein.

[ Bis 30. Oktober im Museum of the City of New York. Begleitpublikation: TEN Arquitectos. Englisch. Hrsg. Enrique Norten und Bernardo Gómez-Pimienta. The Monacelli Press, New York 2003. 224 S., $ 40.-. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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