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Die Faszination der Ruinen
Neue Zürcher Zeitung

Leon Battista Albertis Blick auf Roms antike Bauwerke

Vor 600 Jahren wurde Leon Battista Alberti geboren. Der überragende Intellektuelle hat der aufkeimenden Renaissance in Mittelitalien wesentliche Impulse gegeben und ihr den Weg geebnet. Freilich war er nicht alleine. Der Kontext, in dem er sich in Rom bewegte, wird in einer römischen Ausstellung vortrefflich rekonstruiert.

2. September 2005 - Axel Christoph Gampp
Üblicherweise erscheint die Renaissance als Welle der Euphorie, die das gesamte Italien des 15. und 16. Jahrhunderts in einen Taumel versinken liess wegen der Freude über die Wiederentdeckung der Antike und das Ende des düsteren Mittelalters. So hat uns Vasari die Situation vor Augen gestellt, so wurde sie Gemeinplatz. Doch vergisst man darüber, dass die antiken römischen Monumente in der Ewigen Stadt nie so gefährdet waren wie nach der Rückkehr des Papsttums im Jahre 1420, als der «Wiederaufbau» einsetzte und Baumaterial gesucht war. Der Humanist Poggio Bracciolini hatte zu Beginn des 15. Jahrhunderts den Saturntempel auf dem Forum noch fast intakt gesehen, bei seiner späteren Rückkehr standen bloss noch die bis heute sichtbaren acht Säulen. Der Triumphbogen des Augustus wurde überhaupt erst 1546 abgetragen. Vollbrachten in späteren Zeiten die Sammler und Andenkenjäger ihr Zerstörungswerk, so waren es in der Frühphase vor allem die Kalkbrenner, in deren Öfen das halbe Forum verschwand. Der zunächst literarisch geprägten Antikensehnsucht musste erst eine Antikenliebe für die realen Monumente folgen, damit diese der Nachwelt erhalten werden konnten. Sie initiiert oder an ihr zumindest partizipiert zu haben, ist das grosse Verdienst Albertis; den Prozess nachzuzeichnen, dasjenige der Ausstellung «La Roma di Leon Battista Alberti».

Dicht gedrängte Monumente

Wie wichtig jederzeit die antike Architektur für das Selbstverständnis und das Stadtbild Roms war, belegen einige frühe Rom-Ansichten. Auf allen haben Kolosseum, Pantheon, Engelsburg, Trajans- und Marc-Aurel-Säule für die Orientierung eine gleichberechtigte Stellung neben den Hauptkirchen. Zahlreiche Ruinen von Thermen oder Aquädukten besetzen das Zentrum sowohl auf dem Plan von Pietro del Massaio von 1473 wie auf jenem von Alessandro Strozzi von 1474. Noch frühere Darstellungen sind in der Ausstellung in den Kapitolinischen Museen in Form von Abbildungen vertreten; lassen sich doch Fresken wie jene des Masolino da Panicale in Castiglione Olona nicht transportieren. Hingegen bietet die goldgehöhte Grisaille eines anonymen Florentiner Malers mit der Darstellung der Episode des Horatius Cocles von etwa 1480 einen wunderbaren Blick auf die dicht gedrängten Monumente hinter den Aurelianischen Mauern.

Alberti selbst hat keine Zeichnungen hinterlassen, aber eine Beschreibung der wichtigsten Denkmäler der Antike, seine «Descriptio urbis», die nun in Rom in einer Kopie des 16. Jahrhunderts ausgestellt ist. Während seines ersten Aufenthaltes in Rom ab 1432 erwiesen sich die politischen Verhältnisse noch als instabil. Gleichwohl ist ein wichtiges Werk der Frührenaissance in jenen Jahren unter Eugen IV. (1431-1447) entstanden, ein kühner Paukenschlag, der seine Wirkung gewiss nicht verfehlt hat: die Bronzetüren für St. Peter von Filarete 1445. Sind in der Grossform zunächst Peter und Paul zu erkennen, so fabulieren die Ränder von antiken Wesen und antiker Mythologie. Jene Bronzeplatte, auf der sich der Künstler mit seiner Werkstatt selbst dargestellt hat, ist neben einer weiteren in der Ausstellung zu sehen.

Erst beim zweiten Romaufenthalt Albertis zwischen 1448 und 1455 während des Pontifikates von Nikolaus V. beruhigte sich die Lage, ein antikenbegeisterter Papst lieh sein Ohr auch Alberti. Dieser verfasste damals nicht nur die Stadtbeschreibung, sondern auf ihr, auf Vitruv und auf exakter Antikenkenntnis aufbauend auch seinen Architekturtraktat. Wie sich dieses Antikenstudium im Bild niederschlug, belegen zahlreiche Zeichnungen verschiedenster Künstler. Im Auf- und Grundriss, in der Aussen- und Innenansicht werden Pantheon oder Kolosseum aufgenommen, ihre Säulen, Architrave, Gesimse und Friese minuziös vermessen. Dass diesen Studienblättern in der Ausstellung bisweilen ein antikes Architekturelement, ein Kapitell oder eine Basis, gegenübergestellt wird, verdeutlicht das Bemühen um genaueste Erfassung auf dem Papier. Eines ist jedoch das Studium der Antiken, ein anderes die Anwendung der Erkenntnis in der Praxis. Jenes führte zu dieser hin. Unter Nikolaus V. sollte der Neuerungswunsch auf antiker Basis auch St. Peter erfassen. Bekanntlich hätten in seinem Pontifikat Chor und Querhaus abgebrochen und neu aufgebaut werden sollen. Die Projekte sind im Modell zu sehen, auf einem Plan Bramantes aus dem frühen 16. Jahrhundert ist der tatsächlich errichtete Chor im Grundriss deutlich zu erkennen.

Unter den Nachfolgern von Nikolaus V. hält die Neubautendenz an. Pius II., in einer wundervollen Büste aus der Werkstatt des Paolo Romano fast leibhaftig anwesend, hatte erstmals für die (heute zerstörten) Loggien neben St. Peter die Säulenordnung des Kolosseums übernommen, sein Nachfolger, Paul II., folgte ihm auch darin nach und spiegelte sie in der Fassade von San Marco, der Palastkirche seiner Residenz, des Palazzo Venezia.

Die Architektur erwies sich in Sachen Antikenrezeption als Vorreiterin. Doch gerade der päpstliche Hof unter Nikolaus V. war ein wahrer Musenhort, wo sich das Blatt vom Mittelalter zur Neuzeit bildlich wendete: Eine karolingische Chorschranke aus Marmor wurde einfach gedreht, und auf ihrer Rückseite wurden von Cosmatenhand die gekreuzten Schlüssel Petri eingelegt. Einige bedeutende Maler wurden nach Rom gelockt, allen voran Fra Angelico. Ein kleines Bild mit der Geburt des heiligen Nikolaus von 1437 illustriert, wie rasch die Architektur all'antica bei ihm Einzug gehalten hat, wenngleich die Figuren noch wenig vom Antikenkult erkennen lassen. Das ist anders bei einer besonders glücklichen Gegenüberstellung: auf der einen Seite ein Fragment eines römischen Sarkophags mit einer Trauernden, daneben das Skizzenblatt Mantegnas aus dem späten 15. Jahrhundert, das aufnimmt, aber doch auch schon künstlerisch verwandelt.

Die Antikenrezeption der Künstler

Gänzlich neu gefasst ist Filaretes Mark Aurel in der Kleinbronze aus Dresden, einer der frühesten Antikenrezeptionen in diesem Medium überhaupt. Während man sich hier um die Verkleinerung des Originals bemühte, scheinen andernorts die Bestrebungen in die entgegengesetzte Richtung gegangen zu sein, dahin nämlich, das Vorbild an Grösse noch zu übertreffen. Wäre der Pferdekopf aus dem Donatello-Umkreis aus dem dritten Viertel des 15. Jahrhunderts Teil einer Reiterstatue geworden, sie hätte wahrhaft monumentale Dimensionen erreicht. Dass allerdings die Grösse nicht immer das ausschlaggebende Kriterium zu sein braucht, belegt die Ausstellung selbst. Von überschaubarer Dimension, teilt sie doch alles Wissenswerte überzeugend mit. Überzeugend ist auch der Katalog, an dem die wesentlichen Kenner der Zeit wie Christoph L. Frommel, Arnaldo Bruschi oder Arnold Nesselrath mitgearbeitet haben. Ohne ihr vereinigtes Wissen wäre eine so konzis konzipierte Schau wohl nie zustande gekommen.

[ Bis 16. Oktober in den Kapitolinischen Museen in Rom. Katalog: Leon Battista Alberti e Roma. Architetti e umanisti alla scoperta dell'antico nella città del Quattrocento. Hrsg. Fiore Francesco Paolo. Skira, Mailand 2005. 384 S., Euro 65.-. ]

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