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Die Sonne im Norden
Spectrum

Wie vermeidet ein Architekt Konflikte mit dem Bauträger? Zum Beispiel, indem er selbst einer wird. Die Grazer Gruppe Pentaplan hat es gewagt. Ein Erfahrungsbericht.

24. September 2005 - Karin Tschavgova
Die internationale Beachtung, die der Architektur aus Graz ab den 1980er-Jahren zuteil wurde, ist ganz wesentlich dem zu verdanken, was etwas oberflächlich als experimenteller Wohnbau bezeichnet wurde. Tatsächlich konnte damals - mit politischer Rückendeckung und der Ermunterung zu unkonventionellen Lösungen - eine Vielzahl an Wohnbauten in ausgeprägt eigenwilliger Formensprache entstehen. Systematisches Forschen nach zeitgemäßen Wohnkonzepten schien zweitrangig. Wenige Architekten dachten in größeren Zusammenhängen, arbeiteten strukturell und suchten Ansätze zu neuen Typologien und Möglichkeiten, sie im Rahmen einer reformbedürftigen Wohnbauförderung umzusetzen. Erneuerung reduzierte sich vielfach auf ungewohnte Erscheinungsbilder und formalistische Gesten.

Die Architekten der Grazer Gruppe Pentaplan - Gerald Hirsch, Klaus Jeschek, Wolfgang Köck und Armin Lixl - waren als Studenten oder Mitarbeiter in renommierten Büros kritische Beobachter dieser Entwicklung. Dem Wohnbau als isolierter, auf die Errichtung von marktkonformen Wohnungen reduzierter Disziplin können sie nichts abgewinnen. Ihre ersten Arbeiten, die Entwicklung eines Verkehrsinfrastruktur-Projekts und eine Studie zu Vernetzungen städtischer Kreislaufsysteme, forderten ihre Fähigkeit zu stringenter inhaltlicher Analyse und waren weichenstellend für alle weiteren Projekte. Verknüpfte Denkweise ist das Motto der Gruppe, die die Aufsplitterung ihres Berufs in ein Spezialistentum rigoros ablehnt, die in jede Arbeit städtebauliche und soziologische Überlegungen einbezieht und für die Wirtschaftlichkeit neben konkreten Kenngrößen eines Themas oder Ortes Teil jeder Projektentscheidung ist.

In der konkreten Umsetzung von Wohnbau hatte Pentaplan erste schmerzhafte Erfahrungen gemacht, als ein Entwurf französischer Europan-Preisträger, den sie als Partner vor Ort bis zur Baureife durchgearbeitet hatten, vom Bauträger kurzerhand als nicht verwertbar vom Tisch gewischt wurde.

1996, in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage des Büros, der entscheidende Schritt - ein Wagnis: Die Architekten nahmen das Angebot zum Kauf eines Grundstücks im Grazer Villenviertel Mariatrost an, wurden ihr eigener Bauträger und gingen, nur den Baugesetzen, Förderrichtlinien und ihrem eigenen baukulturellen Anspruch verpflichtet, an die Realisierung ihres ersten Wohnbaus. Was einfach klingt, erwies sich, weil Pentaplan mehr als konventionellen Wohnraum anbieten wollte, als risikoreiches, nur mit großem persönlichen Einsatz bewältigbares Modell. Der Architekt schlüpft dabei auch in die Rolle des Unternehmers und wird, in seiner ureigenen Funktion als kreativer Kopf, schnell zu seinem eigenen Feind. Jeder architektonische Anspruch, jede Problemlösung wird bei dieser Aufhebung der „Gewaltentrennung“ nicht nur unmittelbar auf Machbarkeit im bauphysikalischen, -rechtlichen und finanziellen Rahmen überprüft, sondern auch auf die wirtschaftliche Verwertbarkeit.

Die Typologie des Hauses am Mariatros- ter Teichhofweg in Graz ist in der Tat unge-wöhnlich. Auf einem annähernd rechteckigen, flachen Grundstück ist mittig ein lang gestrecktes, mit 28 Metern enorm tiefes Haus platziert, in dem beidseitig, in der Art eines Reihenhauses über jeweils drei Geschoße, 25 Wohneinheiten untergebracht sind. Diese Wohneinheiten sind, mit Ausnahme zweier, an den Südecken situierter Wohnungen, alle streng auf eine Himmelsrichtung hin ausgerichtet. Nur die oberste der drei Geschoßebenen erstreckt sich jeweils über die halbe Haustiefe. Die beiden darunter liegen-den sind hingegen in ihrer Tiefe unterschiedlich gestaltet und lassen im Kern des Hauses Raum für eine zweigeschoßige zentrale Halle - die Garage.

Die Komplexität des Baukörpers, der sich nach außen als ruhige Fassade ohne Vor- und Rücksprünge zeigt, erschließt sich erst, wenn man die oberste Ebene betritt und erfasst, wie das Manko der einseitigen Besonnung aufgehoben wurde. Der offene Wohn- und Essbereich öffnet sich zu einem uneinsehbaren Atrium, das ganztägig Sonne bringt und das Bedürfnis nach Privatsphäre optimal erfüllt. Der mündige Bewohner dieser Wohnungen kann zwischen Rückzug und Kommunikation wählen, indem ihm Freiraum in unterschiedlicher Qualität geboten wird: zum intimen Atrium noch ein Balkon für den Ausblick und ein Gartenanteil auf der Eingangsebene. Bei einer konventionellen Teilung in zwei Zeilen wäre weder eine so differenzierte Nutzung der Außenräume noch uneingeschränkte Aussicht möglich gewesen. Eine teurere Tiefgarage hätte gebaut werden müssen, und der größere Außenflächenanteil der Wohnungen hätte zu geringerer Energieeffizienz geführt.

Die Bewältigung schwieriger Situationen bei gleichzeitigem Bestreben, an hoher räumlicher Qualität für Innen- und Außenräume als Standard festzuhalten, scheint zum Merkmal der Tätigkeit von Pentaplan zu werden. Alles Potenzial herausholen, das im Schwierigen liegt, ist auch die Devise beim Bauvorhaben in der Ziegelstraße in Graz-Andritz. Auch hier war die Lage, neben der sehr geringen Bebauungsdichte, ausschlaggebend für die Typologie der 140 Wohnungen.

Die Antwort auf den Hang, der nach Norden abfällt, ist dreigeteilt. Schon seit einem Jahr bezogen sind ostwestlich ausgerichtete Zeilen, die in abgetreppter Form dem Hang folgen und jeweils zwei Wohnungen so raffiniert übereinander gestapelt haben, dass beide im Zusammenspiel von innen und außen sichtgeschützte Freibereiche anbieten können, wobei die erdnahe Wohnung zusätzlich jeweils über ein großzügiges Stück Wiese verfügt.

Gerade bezogen wurde das letzte der Terrassenhäuser. In deren Wohnungen, wie bei allen Objekten von Pentaplan mit raumhohen Fenstern und Verglasungen, wurde durch die Anordnung des Wohnbereichs die schöne Aussicht auf den Hügel fokussiert. Die ungewöhnlich große Tiefe der luxuriösen, 160 Quadratmeter großen Terrassen macht auch die Nordlage sonnig und lässt Rückzugsplätze zu. Ebenso fertig gestellt und verkauft ist der erste Teil einer Reihe von Atriumhäusern, die Blickweite an der Talseite, aber auch den höchsten Grad an Introvertiertheit ermöglichen. Die Atrien sind geräumige Sommerzimmer. Sie bieten mehr als Sonne, Licht und Luft. Und sie machen deutlich, dass die Gratwanderung zwischen architektonischem Anspruch und wirtschaftlicher Verwertbarkeit glücken kann, dass es doch möglich ist, auch Inhalte umzusetzen, die die Wohnung über ihre Funktion der Erfüllung eines Grundbedürfnisses hinausheben.

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