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Ganz oben sind wir noch nicht
Der Standard

Wie kann - und will - die Politik die Qualität von Architektur und Städtebau fördern? Eine partei- und nationenübergreifende Analyse vor der Wiener Wahl.

1. Oktober 2005 - Ute Woltron
Die Qualität der gebauten Umwelt ist ein nationales Anliegen und muss somit im Programm jeder Partei eine prominente Rolle spielen. Die bevorstehende Wiener Landtagswahl war denn auch Anlass für die unabhängige Plattform für Architekturpolitik und Baukultur, eine Umfrage unter den fünf wahlwerbenden Parteien Wiens zu starten und deren Architekturgesinnung im Detail auf den Prüfstand zu stellen.

Das macht insofern Sinn, als von einer nationalen Architektur- und Planungspolitik derzeit nicht einmal ein Ansatz zu erkennen ist und Wien auf diesem Gebiet möglicherweise eine Vorreiterrolle spielen könnte. Doch dazu später mehr, erst ein Blick auf das Architekturlabor Bundeshauptstadt:

Von den fünf bereits im Sommer ausgesandten, umfangreichen Fragebögen an die Spitzenpolitiker kamen vier ausgefüllt zurück, lediglich die Antworten der FPÖ fehlten - zumindest bis zum STANDARD-Redaktionsschluss.

Wie die Architektur-Szene erwartete, legten die SPÖ und die Grünen ihre architektonischen Grundsätze detailliert dar. Die Antworten von ÖVP sowie BZÖ hingegen blieben weitestgehend schwammig und unpräzise, und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier unter kräftigem Einsatz der ohnehin gängigen Architekturfloskeln der stets ein wenig aufmüpfigen Architekturszene freundlich nach dem Munde geredet wurde.

Während die Grünen unter anderem eine deutlich verstärkte, ressortübergreifende Strategie fordern und eine aktive, umfassende Förderung von Baukultur vermissen, legte die SPÖ in Person von Planungsstadtrat Rudolf Schicker vergangenen Mittwoch mit der brandneuen „Wiener Architektur Deklaration“ im Architekturzentrum Wien offensiv die Grundsatzhaltung der SPÖ-regierten Bundeshauptstadt zur Baukultur auf den Tisch. Die darin verankerten Prämissen lauten: „Qualität in Planen und Bauen; Transparenz in Leitbildern, Zielen und Verfahren; Diskursbereitschaft“.

Die versammelte Architektenschaft honorierte den Ansatz der Stadtplanung, die eigenen Qualitätsstandards schriftlich festzuhalten, mit vorsichtiger Freundlichkeit. Doch wie so oft verirrte sich die anschließende Debatte in Details und Mikrothemen. Man kann den Architekten den Vorwurf nicht ersparen, dass sich jede Diskussion um Baukultur augenblicklich um die Befindlichkeit der Architekten selbst und ihre ökonomische Misere zu drehen beginnt - doch diese Umstände sind bekannt: Wo aber sind die Ansätze der Architekten selbst, sie zu ändern? Wo ist eine starke, kluge, politisch gewandte Standesvertretung, die sich für die Anliegen dieser überaus wichtigen kreativen Szene mit Nachdruck einsetzt und endlich bundesweit laut und deutlich aufschreit, und zwar dort, wo die Mechanismen der Macht an den entscheidenden Hebeln drehen?

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Die zunehmend krasser werdende Unterbezahlung von Architekturleistungen und die geringe Anzahl von Architekturwettbewerben sind wichtige und dringend zu behandelnde Themen. Die Stadt Wien aber, als Beispiel, kann diese Symptome gegebenenfalls lindern - wenn sie will. Sie wird jedoch die Ursachen nicht beseitigen können, denn die sind eindeutig auf Bundesebene und in der Standesvertretung der Architekten selbst zu suchen.

Denn für die Republik Österreich, wie sie derzeit regiert wird, findet Architektur irgendwo und irgendwie statt, und dass Bauen mit Architektur verwechselt wird, lässt sich an jeder Straßenecke gräulich ablesen. Das Wirtschaftsministerium, das als einziges wirksame Maßnahmen setzen könnte, zeigt leider kein aktives Interesse an der Baukultur und hat sich aus seiner Verantwortung weitestgehend zurückgezogen. Wie unendlich schade.

Vielleicht, denn Hoffnung ist immer, kann das Beispiel jenes Landes, das unter anderem gerade wieder als das wettbewerbsstärkste der Welt eingestuft wurde, die Bundespolitik ein wenig aufrütteln und zum Nachdenken anregen:

Die finnische Regierung hat 1998 ein Architekturprogramm beschlossen, das bisher weltweit beispiellos ist und in knappen sieben Punkten die Mechanismen von Architektur, Baukultur und nationalem Verständnis - und nicht zuletzt der nationalen Wirtschaft im Zusammenspiel mit der Architekturproduktion - in unerhörter Klarheit darlegt.

Der ehemalige finnische Ministerpräsiden Paavo Lipponen fasste die Resultate dieser finnischen, parlamentarisch beschlossenen Architekturdeklaration 2004 im Rahmen der Alpbacher Architekturgespräche bedächtig in einen Satz: Die Architektur, so meinte er, sei Finnlands wichtigster Beitrag zur Weltkultur geworden.

Wie haben sie es also angelegt, die nördlichen Kollegen? Sie erstellten erst einmal eine gründliche Analyse zum Thema, was Architektur denn eigentlich sei. In Zahlen, also der Sprache der Wirtschaft, ausgedrückt, liest sich das so:

Zwei Drittel des finnischen Volksvermögens besteht aus Gebäuden, 15 Prozent aller Arbeitskräfte sind in der Bauindustrie beschäftigt. Der Bausektor erwirtschaftet rund 18 Prozent des nationalen Bruttoinlandsproduktes. Die Instandhaltungskosten eines Gebäudes während seiner Lebensdauer betragen ein Vielfaches der ursprünglich investierten Bausumme. Architekturqualität trägt damit unmittelbar zum Wert des Volksvermögens bei. Und - damit noch ein bisschen über den Tellerrand geblickt wird, weil der internationale Wettbewerb ja in aller Munde ist: Der finnische Bausektor ist Teil des europäischen Marktes. Durch einen hohen Qualitätsstandard werden Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit in allen Marktsegmenten gestärkt.

Dem finnischen Wirtschaftsminister muss das wie Honig die Kehle runterrinnen, und der sinnvolle Einsatz der Mittel, quasi der Return on Investment, wird bereits im zweiten Satz des Programmes festgehalten. Diese Architekturpolitik, heißt es da, formuliert Richtlinien zum Schutz unseres architektonischen Erbes und zum Erhalt und zur Wertsteigerung des vorhandenen Baubestandes, darüber hinaus schafft sie Voraussetzungen für die Unterstützung architektonisch hochwertigen Bauens sowie für die Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des finnischen Bausektors.

So weit zu wirtschaftlichen Zielsetzungen. Doch das Programm kann noch viel mehr. Es schreibt jedem Bürger, jeder Bürgerin eine intakte Umwelt als Grundrecht zu. Es ortet den Staat selbst als wichtigstes Vorbild für Nachhaltigkeit und optimiertes Bauen. Es deklariert die Architektur als zentrale und sinnlich wahrnehmbare Form von Kultur. Es verankert die fächerübergreifende Vermittlung von Baukultur im finnischen Ausbildungssystem - das bekanntlich dem österreichischen auch einiges voraushat. Es bekennt sich explizit zu Forschung und experimentellem Planen und Bauen. Es fordert - von allen am Planungsprozess Beteiligten - die Übereinstimmung der Qualifikation mit den Erfordernissen des jeweiligen Bauvorhabens. Es legt den Wettbewerb, der in Finnland eine über 100 Jahre alte Tradition hat, als Vergabestandard fest.

Damit diese insgesamt 24 von den finnischen Parlamentariern abgesegneten Beschlüsse, die im Übrigen ressortübergreifend anzuwenden sind, nicht nur in der Hauptstadt greifen, wurde unter anderem ein staatlich finanziertes System von „Regionalarchitekten“ ins Leben gerufen, die auch in den entlegensten Gemeinden auf Qualität zu achten haben und wichtige beratende Funktionen ausüben.

Und noch ein weiterer Punkt wird definiert, der hier zu Lande im Augenblick über die interne Debatte nicht hinauskommt: Die ganzheitliche Kontrolle über den Planungs- und Bauprozess vom Entwurf bis hin zur Ausführung ist ein wesentlicher Teil im System der Verantwortlichkeiten, Kontinuität ist eine Vorbedingung für eventuelle Haftungsregelungen nach Beendigung des Bauvorhabens. Die finnische Regierung hält es für wichtig, dass diesen Gesichtspunkten bei der Weiterentwicklung des Bausektors besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird.

Eine geballte Ladung Engagement und Initiative wurde hier von einem Land vorgelegt, das, nebenbei bemerkt, vor ein paar Jahrzehnten einfach beschlossen hat, eine Designnation zu werden - und das heute einer der Weltmarktführer auch auf diesem Sektor geworden ist. Offenbar muss man wollen, um zu können.

An denen, die das auch in Österreich tun, nämlich das Wollen, mangelt es nicht. Wenn das Wollen jetzt auch noch die richtigen Kanäle erreicht, wenn Leute wie die Vertreter der Plattform für Architekturpolitik tatsächlich bis zur Bundespolitik vordringen und wenn die Politik das Wollen lernt, geht's steil bergauf.

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