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Kein Frieden am Ground Zero
Neue Zürcher Zeitung
5. Oktober 2005
Das Trauerspiel um Amerikas grösste und symbolträchtigste Baustelle am Ground Zero ist um einen unrühmlichen Akt bereichert worden. Wie George Pataki, der Gouverneur des Gliedstaates New York, bekannt gab, wird nach allen Korrekturen am Kern der ursprünglich von Daniel Libeskind geplanten Bebauung nun mit dem Internationalen Freedom Center (IFC) eine prominente kulturpolitische und architektonische Initiative gekippt, in der die Anschläge vom 11. September 2001 im Kontext des «weltweiten Kampfes um Freiheit» dargestellt werden sollte. Anlass sind Auseinandersetzungen um die politische Ausrichtung des Memorials, das integraler Bestandteil der Planungen Libeskinds war.

Den Anstoss zu dem Streit um das IFC gab Debra Burlingame, die Schwester eines der beiden Piloten, deren Flugzeuge von den Terroristen in das World Trade Center gelenkt wurden. Nach ihrer Ansicht, für die sie bald prominente Fürsprecher wie den Ex-Bürgermeister Giuliani gewinnen konnte, sollte die Gedenkstätte allein den tragischen Ereignissen des 11. September gewidmet sein und nicht in ein politisches Umfeld gestellt werden, in dem potenziell auch an Anlässe «mit antiamerikanischen Tendenzen» erinnert werden könnte. Diese Befürchtungen stützten sich auf Berichte, nach denen das IFC mit Institutionen zusammenarbeiten wollte, die den Freiheitskampf in Tibet, dem Sudan oder in China zum Gegenstand gemacht haben.

Das Aus für das IFC bedeutet auch das Ende für die Verlagerung des Drawing Center, eines in SoHo angesiedelten Museums, das die neuen Räumlichkeiten mit dem IFC hätte teilen sollen. Als die norwegische Architekturfirma Snøhetta ihren vielgelobten Entwurf für die baukünstlerische Gestaltung des IFC im letzten Herbst präsentierte, hatte Gouverneur Pataki noch erklärt, das Freedom Center werde die «lebendige Diskussion über den Kampf aller Kulturen für Freiheit und Menschenrechte» befördern. Diesem hochgesteckten Ziel hat er nun selbst eine Absage erteilt. Die Toten des 11. September werden also unter sich bleiben.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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