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Valencias «Calatrava-City» ist vollendet
Neue Zürcher Zeitung

Einweihung des Palasts der Künste durch Spaniens Königin Sofía

10. Oktober 2005
Mit einem Galakonzert im Beisein der Namensgeberin, Königin Sofía, ist am Samstag in Valencia der «Palau de les Arts», ein Werk des einheimischen Stararchitekten Santiago Calatrava, eingeweiht worden. Der Mehrzweckbau für Oper, Konzert, Schauspiel und Tanz, von seinen Promotoren als «kolossales Chamäleon für die darstellenden Künste» beschrieben, ist 230 Meter lang, 70 Meter hoch und nimmt eine Fläche von 40 000 Quadratmetern ein. Seine weit ausladende Hülle aus Stahl und Beton birgt vier Auditorien, darunter der Hauptsaal mit 1800 Sitzen, und überdacht einen Platz, auf dem bei Bedarf 2000 weitere Zuschauer im Freien eine Aufführung auf Grossleinwand verfolgen können. Bei Tag gleicht der Bau je nach Blickwinkel einer halb geöffneten Riesenmuschel oder einem gigantischen, windschlüpfigen Fahrradhelm unter einer verspielten Feder; bei Nacht verwandelt er sich, dramatisch beleuchtet und von den umliegenden Teichen gespiegelt, in ein futuristisches Kreuzfahrtschiff in Weiss, Türkis und Marineblau - Leitfarben, die sich im Innern des grossen Saals wiederholen.

In voller Entwicklung

Die Regierung der Region Valencia hat für das Haus 250 Millionen Euro ausgegeben, dreimal mehr als ursprünglich budgetiert. Das neue «Flaggschiff Valencias» krönt die von dem seit seiner Studienzeit an der ETH in Zürich wohnhaften Calatrava konzipierte «Ciutat de les Arts i les Ciènces». Spaniens drittgrösste Stadt hat sich unter der seit 1991 amtierenden Bürgermeisterin Rita Barberá kühne Ziele gesteckt. Von der Stadt der Orangen und der Paella will Valencia zur «Zukunftsstadt», zur «Stadt der Investoren», zu «einer der führenden Städte Europas im 21. Jahrhundert» werden. Die Altstadt mit Kirchen und Palästen aus Mittelalter, Renaissance und Barock und der grossartigen Markthalle im Jugendstil ist weitgehend renoviert worden. Die Feria de Valencia wird zum grössten Messegelände Spaniens erweitert. Zum touristischen Magneten und zum Katalysator unzähliger Neubauten in der Umgebung ist indessen die «Calatrava-City» geworden. Seit 1998 haben schon über 21 Millionen ihre Attraktionen besucht. Der Tourismus in der Stadt hat sich in dieser Zeit verfünffacht.

In die Infrastruktur der Region - Hafen, Schnellbahn, Strassen, Flughafenerweiterung, Telekommunikation, Wasser- und Energieversorgung - werden laut Plan 2004 bis 2010 fast 15 Milliarden Euro investiert. Wie die andern historischen Regionen Spaniens hat die Comunitat Valenciana an Selbstbewusstsein gewonnen, ohne freilich dem separatistischen Nationalismus zu verfallen, wie er im Baskenland und auch in Katalonien im Schwange ist. Ihr neues, im Einvernehmen zwischen den regierenden Konservativen und den Sozialisten ausgehandeltes Autonomiestatut dürfte demnächst im Parlament in Madrid ohne grossen Widerstand angenommen werden. - Den Lokalpatriotismus konnte man am Galakonzert spüren: Während die kurz-trockene spanische Nationalhymne wie eine Pflichtübung klang, wurde die ausschweifende Regionalhymne des valencianischen Komponisten José Serrano von den versammelten Notabeln eifrig mitgesungen und beklatscht.

Verpflichtung grosser Namen

Kein Geringerer als Lorin Maazel dirigierte zusammen mit dem Einheimischen Enrique García Asensio ein Orchester aus hundert valencianischen Musikern, die in ganz Spanien und im Ausland tätig sind (unter ihnen ein Bläser der Zürcher Oper). Das Konzert bestand aus Ausschnitten aus Bizets «Carmen» und Werken Manuel de Fallas sowie Joaquín Rodrigos und anderer valencianischer Komponisten. Neben lokalen Kräften sang das Star-Duo Angela Gheorghiu / Roberto Alagna. Maazel hat sich für drei Jahre als Musikdirektor des Palau de les Arts verpflichten lassen. Zubin Mehta, der am 25. Oktober mit seinem Israelischen Philharmonischen Orchester zu einem weiteren Eröffnungskonzert antritt, konnte als Präsident des «Mittelmeerfestivals» gewonnen werden, das in Zukunft während dreier Wochen die Saison beschliessen soll. Als Intendantin des Hauses ist bereits seit mehreren Jahren Helga Schmidt tätig, die frühere Direktorin des Royal Opera House in Covent Garden.

Ob die erklärte Absicht, Valencia mit dem Palau de les Arts zu einer der angesehensten Opernstätten der Welt neben London, Mailand, New York, Paris, Salzburg und Wien zu machen, in Erfüllung gehen kann, bleibt abzuwarten. Wenn die Baukosten ein Gradmesser sind, steht ein Daueraufwand bevor, der ohne massiven Zuspruch anreisenden Publikums nicht zu bewältigen sein wird. Architektonisch freilich steht dem Vergleich von Calatravas Werk mit Utzons Opernhaus von Sydney nichts im Weg, ob man Maazels Lob des Palau als «Zehntes Weltwunder» nun teilen will oder nicht.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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