Artikel

Das Ende der Schachtel
Falter

Kunsthalle Karlsplatz. 1992 war der gelbe Container vor der Karlskirche ein Skandal. Allen Kritikern zum Trotz hat sich das Kunsthallen-Provisorium am Karlsplatz dann doch zum Kunststandort und Szenetreff entwickelt. Jetzt wird der ehemalige Aufreger abgerissen und zum Glaspavillon umgebaut.

7. März 2001 - Julia Ortner
Der Boden ist abgetreten. Die Decke hat auch schon bessere Zeiten gesehen. Der Chic des Kunsthallen-Cafes ist etwas verstaubt. „Geplant war das Ganze als Provisorium für vier Jahre. Geworden sind es zehn“, meint Adolf Krischanitz und schaut etwas sentimental auf das abgenützte Linoleum. „Wir mussten damals sparen und improvisieren.“ Knappe dreißig Millionen Schilling Budget standen dem Architekten der Kunsthalle am Karlsplatz beim Bau des gelben Containers zur Verfügung. Dafür hat das umstrittene Projekt Leben auf das ehemalige Niemandsland am Karlsplatz gebracht, Kunstinteressierte und Kaffeehaussitzer angelockt.

Jetzt wird die Kunsthalle abgerissen. Weil sich die Stadt an das Versprechen der ehemaligen SP-Kulturstadträtin Ursula Pasterk hält: Sobald die neue Kunsthalle im Museumsquartier eröffnet wird (das passiert jetzt endgültig am 9. Mai), verschwindet das Provisorium am Karlsplatz. Architekt Krischanitz hat dem Abriss immer gelassen entgegengesehen. Er hat seit Jahren damit gerechnet. „Die Halle war ein temporäres Gebäude. Provisorien haben den Vorteil, dass die Stadt den Raum immer wieder neu nutzen kann.“ Seit kurzem weiß Krischanitz, dass anstelle der Kunsthalle hier doch etwas Neues entstehen soll und auch das neue Projekt von ihm geplant wird.

Bei seinen Plänen für den lange diskutierten Kunsthallenumbau bleibt Krischanitz dem Container-Prinzip treu: Aus dem blickdichten Container wird ein transparenter - ein Glaspavillon. Die gelbe Halle wird abgerissen. Dafür wird das verglaste Kaffeehaus vergrößert, aus den Büroräumen an der Vorderfront wird ein multifunktioneller Filmvortragssaal, die neue Kaffeehausterrasse soll über die gesamte Front laufen. Die Ausstellungshalle wird auf zweihundert Quadratmeter verkleinert und dient unter dem Namen „project space“ der ins Museumsquartier übersiedelten Kunsthalle als Projektraum für junge experimentierfreudige Künstler. Auch diese Halle wird durch eine Glasfront von außen einsehbar. In die Glasfassade der Kaffeehausfront wird ein flächendeckendes KARLSPLATZ geätzt, auf der Rückseite ein KUNSTHALLE. Zehn Millionen Schilling Budget stehen zur Verfügung, Krischanitz greift auch deswegen auf Recycling zurück und verwendet möglichst viele Bauteile der alten Konstruktion. „Bei der alten Kunsthalle haben wir vieles von einer Halle im Messepalast wiederverwendet - manche Teile werden jetzt also schon zum dritten Mal benutzt.“

Baubeginn ist Ende März, bis Juni werden die bestehenden Hallen Stück für Stück abgetragen. Die neue Konstruktion wird in Fertigteilen vorgefertigt. Das Kaffeehaus übersiedelt während der Arbeiten in ein großes Zelt gleich neben der Baustelle, die Kunsthallen-Mannschaft zeigt in einem kleinen Info-Container Experimentalfilme. Zum Jahreswechsel soll der Pavillon fertig gestellt sein. „Wir wollen den Standort Kunsthalle Karlsplatz auch während des Umbaus irgendwie am Leben erhalten“, erklärt Kunsthallen-Direktor Gerald Matt. Damit die in den vergangenen Jahren erwachte Kunstszene während der Bauarbeiten nicht abwandert. Und der Platz nicht wieder zum Niemandsland wird.

Ein weißer Fleck auf der Landkarte der Stadt, ein unstrukturierter Freiraum ohne spannende Akzente: Das war der Karlsplatz Anfang der Neunzigerjahre. Die prägnanten Bauwerke an seiner Peripherie, Karlskirche oder Secession, hatten mit dem Platz selbst nicht viel zu tun. Der Karlsplatz war für Fußgänger das, was übereifrige Verkehrsplaner und ein ambitionierter Gartenarchitekt übrig gelassen hatten. Besonders das Gelände vor der TU-Bibliothek war tristes Ödland, eigentlich wie geschaffen für einen Eingriff: Krischanitz' gelb-blaues Kunsthallen-Provisorium, das Kulturstadträtin Pasterk als Übergangslösung für die geplante neue Kunsthalle propagierte. Ein polarisierendes Projekt. Für die Wiener Avantgarde und die meisten Architekturkritiker war die Halle ein erfrischender Akzent im Stadtbild, eine durchaus gewünschte Provokation. Für FPÖ-Politiker und konservative Kulturschreiber war die „gelbe Schachtel“ eine Beleidigung für das Auge und die Aufforderung zum Kulturkampf.

„Warum stahltechnizistische Grobheit und Reißbrett-Kulturbeglückung? In den Ostblockstädten werden solche Auswüchse einer Amtskultur derzeit angeekelt entfernt“, polemisierte Presse-Kultur-Chef Hans Haider etwa gegen SP-Kulturstadträtin und Kunsthalle. Daraufhin schrieb Jan Tabor unter dem Titel „Halbblind und halbgebildet“ im Falter einen Essay, in dem er Haiders Ergüsse unter anderem als einen „dummen, schlecht gespielten, schlecht geschriebenen Empörungsquatsch eines vor Wut halbblind und stilschwach gewordenen Kulturchefs“ bezeichnete. Der Presse-Kulturchef klagte Tabor wegen übler Nachrede, der Falter-Autor wurde freigesprochen.

Rund um die Kunsthalle wurde nicht nur prozessiert und polemisiert, auch internationale Kamerateams nahmen sich der lustigen Wiener Posse rund um den Karlsplatz an. „Täglich sind Journalisten am Karlsplatz gestanden, haben mich interviewt und Straßenbefragungen bei den Autofahrern gemacht“, erinnert sich Architekt Adolf Krischanitz und schüttelt den Kopf. „Es war ein einziges Chaos.“ Mitten im Chaos hat dann auch noch Architekturkritiker Friedrich Achleitner dem Argument der Kunsthallen-Gegner, die gelbe Schachtel verdecke den Blick auf die Karlskirche, eine legendäre Abfuhr erteilt: „Im Prinzip verdeckt jedes Haus die Karlskirche, wenn man dahinter steht.“ Allen Kritikern zum Trotz hat sich die Kunsthalle samt Cafe in den darauf folgenden Jahren zum Szenetreff entwickelt, über eine Million Menschen besuchten seit 1992 die Ausstellungen. 84 Prozent der Besucher waren unter vierzig und damit das jüngste Kultur-Publikum der Stadt. „Die Architektur der alten Halle dient nur als Rahmen für die Kunst“, erklärt Architekt Krischanitz. „Und diese Kunst springt den Passanten im Stadtraum direkt an: Das interessiert auch junge Leute, nicht nur das klassische Ausstellungspublikum.“

Plötzlich wollten auch ehemalige Kunsthallen-Gegner nicht mehr, dass das ungeliebte Provisorium ersatzlos abgerissen wird - auch weil ein Abriss vier Millionen Schilling gekostet hätte. Besser irgendetwas als ein trister Drogenumschlagplatz. Diverse Institutionen interessierten sich für ein Nachfolgeprojekt: Da war von einer Flohmarkt-Halle für die Müllabfuhr, einem „Museum des Dritten Mannes“ oder Sportstätten die Rede - durchgesetzt hat sich nach langen Diskussionen der Projektraum der Kunsthalle. „Wir wollten die funktionierende Szene hier nicht verdrängen“, erklärt die Wiedner Bezirksvorsteherin Susanne Emmerling (VP). Der neue durchsichtige Glaspavillon sei auch eher nach dem Geschmack der Bürger. „Man sieht jetzt die Karlskirche wieder. An das Provisorium haben sich viele nie gewöhnt.“

Auch Kulturstadtrat Peter Marboe (VP) hat sich überzeugen lassen, das dem versprochenen Kunsthallen-Abriss etwas Neues folgen muss. „Das Konzept von Architektur in Bewegung funktioniert hier, der Projektraum fungiert als Brückenschlag von der Vergangenheit der Kunsthalle am Karlsplatz zu ihrer Zukunft im Museumsquartier.“ Trotzdem hat die Kunsthalle für Marboe „kein Monopol“ auf die künftige Nutzung des neuen Glaspavillons: Der Kulturstadtrat könnte sich auch vorstellen, hier künftig sein „Museum auf Abruf“ oder ein „Kunstcafe-Zentrum“ unterzubringen. Davon will der SP-Bürgermeister allerdings nichts wissen: Michael Häupl hat sich gemeinsam mit Matt für die Kunsthallen-Dependance stark gemacht und den Umbau mit einer außerordentlichen Finanzierung der Stadt doch noch ermöglicht. „Die Kunsthalle ist Matts Baby und soll es bleiben“, heißt es aus Häupls Büro. „Er ist jahrelang für die gelbe Schachtel gebasht worden und hat sich mit diesem schwierigen Standort durchgesetzt.“

Viele Stammgäste des Kunsthallencafes werden auch dem umgebauten Pavillon treu bleiben. Junge Leute wie das Architekten-Duo Sputnic benutzen das Cafe als zweites Büro. Schon seit Jahren hängen Norbert Steiner und Martin Huber hier täglich ab: Viele Projekte der Architekten, die sich dem experimentellen Arbeiten verschrieben haben, sind hier entstanden. Mitten in der Nacht, nach ein paar Bieren. „Das Angenehme hier ist die Offenheit, die Transparenz“, meint Huber. „Man sitzt auf einer Insel - und das neben einem Verkehrsknotenpunkt.“ Sputnic Steiner schätzt das „angenehme Publikum“ und das mediterrane Lebensgefühl der Kunsthallen-Insel. „Wo kann man in Wien schon sonst die halbe Nacht im Freien sitzen, ohne jemand zu stören?“

Im Museumsquartier kann man das nicht. Hier wird sich das zeitgenössische Programm der neuen Kunsthalle (Film, Fotografie, Installationen, neue Medien) künftig im neuen Riesen-Museumsviertel neben Leopoldmuseum, Museum Moderner Kunst und diversen Initiativen behaupten müssen. Gerade deswegen will Direktor Matt die Synergien mit dem eingeführten Kunststandort Karlsplatz nutzen. „Die verkleinerte Halle ist ein Missing Link, eine kulturelle und wirtschaftliche Brücke zum Museumsquartier.“ Und über diese Brücke soll auch die junge Szene an eine für sie ungewohnte Location gelotst werden: Hinter die barocken Fassaden des Hochkultur-Museumsviertels.

Ein letztes Wochenende im gelben Container, 9. und 10. März: Sleazy Conclusion. Freitag: An evening with Herbert (live), feat. Matthew Herbert, Dani Siciliano (vocals), Philip Parnell (keyboards). DJs: electric indigo, gächter. Samstag; the audioroom TM starring: Mushroom & Rob Rob.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Falter

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: