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Vergammelt und vergessen
Falter

Abbruch, Umbau oder Erhaltung: Seit mehr als fünfzig Jahren wird die Entscheidung über die Wiener Flaktürme aufgeschoben. Zuletzt ist aus einem Hotel auf dem Turm im Esterhazypark nichts geworden. Weg sollen die Mahnmale für das Dritte Reich aber nicht. Selbst wenn die meisten sich von den Betonriesen nicht mehr an finstere Zeiten erinnern lassen.

2. August 2000 - Julia Ortner
Finster. Monströs. Archaisch. Ein Symbol für Zerstörung und Tod. Jedes Mal, wenn Maria Kral vor dem grauen Monolith im Esterhazypark steht, erinnert sie sich an dunkle Zeiten: an damals, 1944, als die Nationalsozialisten an der Macht waren. Als Bomben auf Wien fielen und die Stadt brannte. Wenn die Bomber der Alliierten kamen, suchten Tausende Menschen aus dem Bezirk Schutz im Flakturm. „Es war grauenhaft. Das Dröhnen der Geschütze in den meterdicken Betonmauern: Man hat sich gefühlt wie in einem Grab“, erinnert sich die Pensionistin noch heute. „Besonders diese Geräusche, wenn man im Turm gesessen ist. Diese Geräusche werde ich nie vergessen.“ Fritz Kral legt den Arm beruhigend um die Schultern seiner Ehefrau. „Sie regt sich oft auf, wenn wir hier vorbeispazieren.“ Trotzdem wollen die Krals der Erinnerung nicht aus dem Weg gehen. „Der Turm ist ein Zeichen gegen das Vergessen.“

Mitten in Mariahilf steht unübersehbar und seit Jahrzehnten wohl der am zentralsten gelegene der sechs Wiener Flaktürme (sein Gegenstück steht im Hof der Stiftskaserne, zwei im Arenbergpark, zwei im Augarten). 45 Meter hoher Stahlbeton, von den Nationalsozialisten im Luftabwehrkampf „für viertausend Jahre“ erbaut. Nach dem Krieg in ein Mahnmal gegen den Faschismus umfunktioniert und einfach stehen gelassen. Heute tummeln sich Fische, andere Meerestiere und Touristen im Inneren des Stahlbeton-Riesen im Esterhazypark. Schließlich ist er mit dem „Haus des Meeres“ bisher der einzige Wiener Flakturm, dessen Inneres der Öffentlichkeit zugänglich ist.

Während die Berliner Flaktürme nach Kriegsende gesprengt und die Hamburger Türme weitgehend umgebaut wurden, werden die Entscheidungen über die Nutzung ihrer Wiener Pendants schon seit mehr als fünfzig Jahren verschleppt. Jüngstes Beispiel für einen Nutzungsplan, der wieder einmal nichts geworden ist: das 20 Meter hohe Glashotel auf dem Flakturm im Esterhazypark - ein Wunschkind des Mariahilfer Bezirksvorstehers Erich Achleitner (VP) - soll nach einem Bezirksbeschluss nun doch nicht gebaut werden. Weil der Park damit zur jahrelangen Baustelle würde und ein Hotel zu viel Verkehr in der Gegend verursache, so die Argumente der Hotel-Gegner.

Die Liste der gescheiterten Flakturm-Projekte ist lang: von Luxusapartments, Hotels, Großgaragen bis zu Ideen, die Türme als Basis für Kunstwerke zu nutzen. So veranstaltete etwa die Gruppe Rastlos um Gregor Eichinger und Christian Knechtl 1989 einen internationalen Workshop zur künstlerischen Ideengewinnung für den Flakturm Esterhazypark. Der Künstler Lawrence Weiner installierte 1991 sein „Smashed to pieces - Zerschmettert in Stücke“ an der Front des Esterhazypark-Turms - eines der wenigen Vorhaben, die tatsächlich realisiert wurden. Die anderen Projekte scheiterten entweder am technisch Machbaren, der Finanzierung oder an Streitereien um deren Ästhetik: wie das Vorhaben des Verpackungskünstlers Christo, der Mitte der Siebzigerjahre den Esterhazypark-Turm in Kunststoff verpacken wollte und damit öffentliche Empörung erntete. Auch ein Abbruch der Türme stand immer wieder zur Diskussion, wurde aber wegen der horrenden Kosten - die Beton-Riesen zu sprengen würde laut einer Studie aus dem Jahr 1995 etwa 1,5 Milliarden Schilling kosten, eine sanftere Methode mit Bohrungen bis zu 4,2 Milliarden Schilling - nie umgesetzt. Andere Forschungsarbeiten wie eine Studie von Jan Tabor, Erich Bernhard und Barbara Feller beschäftigten sich im Auftrag der Stadt mit Mythos und Geschichte der Betonmonolithen. Doch ob Abbruch, Umbau oder Erhaltung als Mahnmal: Die Stadt scheint sich trotz aller Diskussionen bis heute über den Umgang mit ihren Kriegsrelikten nicht ganz klar zu sein.

Klar ist nur, dass viele Wiener von einem Abbruch nichts halten, wie auch ein Projekt des Wiener Universitätsinstituts für Zeitgeschichte beweist. „Die Studenten befragten Menschen, die rund um die Türme leben, was mit ihnen passieren soll“, erklärt Historiker Siegfried Mattl. „Und der allgemeine Tenor war: Die Türme sollen unverändert bleiben. Nur einen neuen Anstrich sollten sie bekommen.“ Den Umgang der Wiener mit ihren Flaktürmen bezeichnet Mattl als ambivalent. „Man weiß, diese Architektur hat etwas Böses - und andererseits hat sie auch etwas Faszinierendes.“ Diese faszinierende Wirkung war vom Erbauer der Wiener Flaktürme, dem deutschen Architekten Friedrich Tamms, durchaus einkalkuliert. Er versah die Türme mit einem archaischen, heroischen Mythos, indem er elementare geometrische Formen als Grundlage seiner Konstruktionen verwendete. Die formale Ausgestaltung und Symbolik gewann mit Kriegsverlauf immer mehr an Bedeutung. Militärisch blieben die Türme nämlich relativ erfolglos. 1943 waren die ersten im Arenbergark errichtet worden, jeweils paarweise - ein Geschützturm, ein Feuerleitturm. Mit einem Durchmesser von 37 Metern hatten sie Nutzflächen von bis zu 13.000 Quadratmetern. Riesige Flächen, die seit Jahrzehnten brachliegen. Und vor sich hin gammeln.

Der ehemalige Gefechtsturm im Arenbergpark wird derzeit wenigstens vom MAK als Depot genutzt. Und von den Jugendlichen der Gegend. „Arenberg Boys“ steht in roter Farbe auf der Betonwand. Auch hier gibt es derzeit wieder einmal einen neuen Nutzungsplan. Diesmal möchte MAK-Direktor Peter Noever einen „Contemporary Art Tower“, einen Turm für zeitgenössische Kunst, wahr machen. Ob Mahnmal oder Kunst-Turm: Das ist Wolfgang Eichinger ziemlich egal. Er kommt auch nicht zum Erinnern auf den Spielplatz neben dem Betonriesen. „Die Kleine kann hier spielen, und ich kann mich währenddessen im Park entspannen.“ Der Flakturm erinnert ihn weder an Krieg noch an Faschismus. Und Eichinger glaubt, dass es den anderen Parkbesuchern so ähnlich geht. „Da macht sich keiner von den Jungen Gedanken. Nur den Alten bedeutet das noch etwas“, meint der junge Mann trocken.

Ein anderer Flakturm, ein anderer Fußballkäfig. Im Schatten des baufälligen Gefechtsturms im Augarten spielt David mit seinen Freunden Fußball. Der Fußballkäfig hinter dem finsteren Gemäuer ist so etwas wie ein erweitertes Wohnzimmer für die Buben. „Das kommt noch aus dem Krieg“ - nur das weiß der vierzehnjährige David über den Flakturm. „Und ziemlich schiach ist er auch.“ Psychologe Rudolf Marx wundert sich nicht über das Desinteresse der Wiener an ihren Mahnmalen. „Einfach zu glauben, ein Betonkoloss bringe die Leute dazu, sich mit der Geschichte zu befassen, ist zu wenig.“ Die Türme würden nur dann etwas zur Aufklärung der Menschen beitragen, wenn sie öffentlich zugänglich gemacht und mit Informationen über die Vergangenheit versehen würden. „Menschen brauchen Assoziationen, um Geschichte begreifen zu können. Sonst vergessen sie einfach.“

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