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Mit der Tür ins Haus
Falter

Die Künstlerhaus-Ausstellung „Manifeste des Wohnens“ stellt junge österreichische Architekturbüros in die Auslage. Auf der Schwelle zum Großauftrag präsentieren sie sich im Kleinformat.

3. Mai 2000 - Matthias Dusini
Eine Mischung aus Wut und Verzweiflung überfiel Alex, als er nach dem Abgang Kerstins im Garten der „Big Brother“-Villa stand. So genannte Fans grölten Parolen über den Stacheldraht. „Blöde Arschlöcher“, stieß er hervor und wurde von John, dem ehemaligen Hausbesetzer, getröstet: „Lass dich nicht auf deren Niveau herab!“

Diese Szene aus dem zeitgenössischen Wohnalltag könnte als Folie für die Ausstellung „Manifeste des Wohnens“ im Künstlerhaus dienen. Denn auch die von Falter-Architekturkritiker Jan Tabor, Architekturhistorikerin Karin Christof und Kunstgeschichtler Peter Bogner ausgewählten Positionen beschäftigen sich mit temporären Wohnsituationen und der Grenze zwischen gesellschaftlichem Außen- und privatem Innenraum; wie die Bewohner im Kölner Medienhaus reflektieren sie die Produktionsbedingungen junger, kollektiver Lebens- und Arbeitsgemeinschaften: Wo endet die Wohnung und wann beginnt der Arbeitsplatz?

Und noch eine Analogie drängt sich auf. Wie Kokurator Bogner bemerkt, beinhaltet der Ausstellungsuntertitel „den fuß in der tür“ auch die Wettbewerbssituation von jungen Architekten und Architektinnen. Wer wird übrig bleiben in dem umkämpften Berufsfeld? „Selbstmarketing ist für uns extrem wichtig“, sagt ein Mitglied des Büros awg („Alles wird gut“). „In den Niederlanden etwa investieren Architekturbüros 20 bis 30 Prozent ihres Budgets in Marketing.“ Eigeninvestitionen waren auch für die Beteiligungan der Ausstellung notwendig, die für jeden Beitrag ein Budget von 50.000 Schilling vorsah. Sponsoren sprangen in die Bresche, um die verschiedenen Aus- und Umbauten zu ermöglichen. Die Türen im Künstlerhaus bieten das Leitmotiv, um das herum diverse Wohnvorstellungen gebaut werden. Die Türen wurden den Architekten durch Losentscheid zugeteilt.

Die Gruppe sputinic bleibt wortwörtlich in der Tür, indem sie eine stählerne Stiege in den Rahmen lehnt. Die (Selbst-)Beobachtungssituation im trauten Heim wird über eine Kamera eingeblendet, die das Ausstellungsgeschehen aus dem zweiten Stockwerk überträgt. Das Thema Beobachten, Sich-selbst-Beobachten und Beobachtetwerden bildet den weiten Rahmen der Ausstellung, in dem auch Selbstporträts der Künstlerin Elke Krystufek und Lois Weinbergers Blick in die Natur Platz finden. Einmal mehr spürt das von Doris Rothauer geführte Künstlerhaus Überschneidungen zwischen diversen Bereichen der Kulturproduktion nach.

„Zum Crossover verpflichtet.“ So umreißt Peter Bogner die Startposition der Nichtetablierten. Künstlerische Interventionen im öffentlichen Raum, Ausstellungsgestaltungen oder ein Geschäftsumbau: Das Beispiel der ältesten Jungen - Propeller Z, pauhof und Poor Boys Enterprise - macht Schule: Die konzeptionelle Vorarbeit wird zunächst in kleinen architektonischen Einheiten erprobt. „Keiner beginnt mehr mit einem großen Bauauftrag. Außer er hat einen reichen Verwandten“, umreißt Friedrich Passler von awg die Situation. Die kleine Sprosse auf der Karriereleiter dient als modellhaft erweiterte Präsentationsmappe. Der Erfolg gibt Propeller Z Recht, die mit der Gestaltung eines Modegeschäfts auf der Mariahilfer Straße Flagge zeigen. Ausstellungen wie „Manifeste des Wohnens“ haben für die Beteiligten auch einen Marketingeffekt. „Für uns ist es wichtig, in dieser Liga dabei zu sein“, meint einer der Angesprochenen.

Der ursprüngliche Anlass der Ausstellung war eine Dokumentation des Wiener Wohnbaus. Das Kuratorenteam rückte von diesem Vorhaben zugunsten einer Präsentation weniger etablierter Büros ab; eine Entscheidung, die bewusst einen Generationensprung markiert. Die Professorengeneration Hollein, Coop Himmelblau und Domenig liefert mit Originalentwürfen einen „langen Blick zurück auf die Zeit um 1968“. Gruppen mit extravaganten und programmatischen Namen wie Missing Link oder Zünd Up werden als visionäre Vorgänger von Escpae spHere, Rataplan, Splitterwerk und Co. präsentiert: „Manifeste Namen“ nennt sie Peter Bogner. In Organisationsweise, Material und Form rückt die dritte Generation in die Nähe der Altvorderen.

Anders als so mancher der heute Sechzigjährigen gedenken die jungen Büros jedoch nicht, mit dem Fuß in der Tür alt zu werden. Von dem Bonus konkretisierter Wohnutopien können sie allemal zehren, nachdem die Wohngemeinschaft - dank „Big Brother“ - derzeit ja die populärste Wohnform zu sein scheint. In der Ausstellung klingt aber auch deren Scheitern an. So wie traditionelle Wohngemeinschaften nach dem Studienende auseinander fallen und bei RTL 2 gar alle zwei Wochen wer rausfliegt, ist auch das Zusammensein von Architekturkollektiven manchmal befristet: Die Gruppe Poor Boys Enterprises hat sich inzwischen aufgelöst. In der Ausstellung präsentieren sich ihre Mitglieder mit Einzelarbeiten.

[ Bis 12.6. im Künstlerhaus. ]

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