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Aufragend, aufregend!
Der Standard

Die öffentliche Debatte über den Umgang mit Nazi-Architekturen kommt spät. Den Auftakt dazu gab die Volkstheaterposse rund um ein vermeintliches „Führerzimmer“.

5. November 2005 - Ute Woltron
Die Nation hatte jüngst wieder einmal Gelegenheit, ihre Souveränität im Umgang mit der eigenen Vergangenheit anhand eines Schaustücks zu überprüfen. Ort der Inszenierung war das Volkstheater, als Hauptdarsteller agierte dessen neuer Direktor Michael Schottenberg, der Inhalt des Stückes befasste sich zumalen mit der Requisite:

Nicht ohne die Scheinwerfer der Öffentlichkeit sorgfältig auf sein Haus gelenkt zu haben, ließ der Volkstheaterdirektor im vermeintlich heiligen Zorn die schlichten hölzernen Verkleidungen eines neben der Direktion gelegenen Zimmers abreißen. Der Grund: Die Räumlichkeit stand im Geruche, seinerzeit im Jahr 1938 in der Erwartung des „Führers“ besonders sorgfältig ausgestattet worden zu sein.

Für seinen kleinen Akt der Denkmalschändung, verkündete der erzürnte Direktor öffentlich, sei er auch bereit, „eine Woche Gefängnis“ auf sich zu nehmen - denn das gesamte Volkstheater (1888/89 erbaut, 1938 sowie 1981 generalsaniert), und somit auch das „Führerzimmer“, steht unter Denkmalschutz.

In dem darauf folgenden Theaterwirbel fiel es offenbar vielen schwer, zwischen Schaustück und Realität zu unterscheiden, die Debatte war an Unsachlichkeit kaum zu überbieten, im Schaum der moralischen Aufwallungen verlor selbst die Politik in Person von Planungsstadtrat Rudolf Schicker die Weitsicht. Er verkündete, Schottenbergs Entscheidung, Bundesgesetze zu missachten, in diesem Fall zu begrüßen, ja zu unterstützen.

Zwischen den Fronten stand - und steht immer noch - das Bundesdenkmalamt. Das hatte sich vom Stadtrat unterschwellig braune Ten- Fortsetzung auf Seite A 2
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denzen vorwerfen lassen müssen. Schließlich sei hier ein Nazi-Relikt eben wegen seiner Provenienz unter Schutz gestellt worden, und eine Diskussion müsse jetzt endlich her.

Dass diese Debatte in den Reihen der etwas kühler und durchaus sorgfältiger agierenden Denkmalpfleger- und Architektenschaft seit Jahrzehnten geführt wird, und zwar international, scheint den Akteuren der Volkstheaterposse entgangen zu sein. Denn die Kriterien für die Unterschutzstellung von Objekten und Gebäuden sind klar definiert und im ersten Paragrafen des im Jahr 1999 novellierten Denkmalschutzgesetzes nachzulesen: Objekte werden aus „künstlerischen und/oder kulturellen“, aber eben auch aus „geschichtlichen Gründen“ unter Denkmalschutz gestellt.

Da der Nationalsozialismus unleugbar Teil der österreichischen Geschichte ist, sind auch Architekturen und Artefakte aus ebendieser, immer noch so gerne aus dem öffentlichen Bewusstsein verscheuchten Zeit mit exakt diesen Kriterien zu bewerten. Die Generalkonservatorin des Denkmalamtes, Eva-Maria Höhle, erklärt: „Wenn Objekte aus der NS-Zeit unter Schutz gestellt werden, dann nicht zuletzt deshalb, weil damit Denkanstöße für die Zukunft erhalten werden.“ (Siehe Interview unten)

Tatsächlich arbeitet das Denkmalamt laut Höhle bereits seit knapp zwei Jahren an der österreichweiten Erfassung von NS-Architektur. Höhle: „Wir hatten vor, nach der genauen Erfassung und Analyse ein Kolloquium zu diesem Thema zu machen, weil wir auch die Zeithistoriker einbinden wollten. Im Anschluss hatten wir vorgesehen, diese Problematik öffentlich ins Bewusstsein zu rücken. Letzteres ist jetzt wohl nicht mehr notwendig.“

Und noch eine weitere Tatsache wird öffentlich akzeptiert werden müssen: Spätestens seit Helmut Weihsmanns umfassender NS-Architekturanalyse Bauen unterm Hakenkreuz (erschienen 1998) ist auf vielen und sehr klein bedruckten Seiten nachzulesen, dass sich die Bautätigkeit des Dritten Reichs in der „Ostmark“ beileibe nicht auf die Errichtung der „Hermann Göring Werke“ in Linz, der Flaktürme in Wien oder die Konzeption von Autobahnen quer durch das Land beschränkte.

Tatsächlich ist ganz Österreich mit einer Vielzahl von Wohnanlagen, Industrie- und Verkehrsbauten aus dieser Epoche bestückt - und selbstverständlich hat das Bundesdenkmalamt den öffentlichen Auftrag, die markantesten, qualitätsvollsten und ihre Entstehungszeit am besten dokumentierenden Objekte zu analysieren und gegebenenfalls als Zeugen der Vergangenheit zu konservieren. Höhle: „Denkmale, egal welcher Epoche, sind immer aus der Geschichte in unsere Gegenwart ragende Dokumente mit einer direkten Mitteilungskraft, wie sie kein anderes Medium hat.“ Wer das nicht wahrhaben will, müsste halb Österreich wegreißen, müsste sofort die Salzburger Festung schleifen, alle Burgruinen vernichten und auch den Erhaltungswert der Hofburg überdenken.

In Deutschland hat man die Debatte über die NS-Architektur jedenfalls längst geführt, erste Unterschutzstellungen erfolgten bereits in den 70er-Jahren, und auch vor markanten Eingriffen in die großformatigen Nazi-Machtarchitekturen schreckte man nach ausführlichen, sich durchaus über Jahrzehnte hinziehenden Diskussionen nicht zurück. Günther Domenigs Dokumentationszentrum in der unvollendet gebliebenen Kongresshalle des gewaltigsten und architektonisch gewalttätigsten NS-Architekturrelikt, dem Nürnberger Parteitagsgebäude, steht hier exemplarisch für einen klugen und durchaus auch symbolträchtigen Umgang mit dieser noch jungen, „in unsere Gegenwart ragenden“ Vergangenheit: Der Grazer Architekt ließ das Gebäude unverändert, er schoss lediglich einen Pfahl zeitgenössischer Substanz durch das massive alte Gemäuer, riss es auf und legte in genau diese Wunde die Dokumente der NS-Vergangenheit.

Das Wiener „Führerzimmer“ hat Hitler übrigens nie betreten. Es ist laut Höhle nicht unwahrscheinlich, dass für die Ausstattung immerhin Josef Hoffmann verantwortlich war. Und der war, so Friedrich Achleitner, mit ziemlicher Sicherheit kein Nazi - wie übrigens viele andere Architekten auch, die damals ihrem Beruf nachgingen.

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