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Faszination und Gewalt
Der Standard

Über den Umgang der deutschen Nachbarn mit der Nazi-Architektur

5. November 2005 - Robert Lessmann
Deutschland trägt schwer an den steinernen Zeugen seiner monströsen Vergangenheit. Der Umgang mit der Nazi-Architektur war unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg oft von der Not diktiert, in jedem Fall aber von Pragmatismus bestimmt - und das nicht nur durch die Deutschen: In das klobige Reichsluftfahrtministerium, Hermann Görings Machtzentrale in der Berliner Wilhelmstraße, zog die Sowjetische Militäradministration (SMAD), in die 1940 errichtete Reichsbank die SED. Hitlers Feriendomizil am Obersalzberg wurde Urlaubsort für US-Soldaten. Die „Große Straße“ der Aufmärsche des Nürnberger Reichsparteitagsgeländes diente der US-Army als Flugpiste, eine SS-Kaserne wurde bis zu ihrem Abzug 1992 in Merrell-Barracks umgewidmet. Teile des elf Quadratkilometer großen Geländes wurden von den Vereinten Nationen als Flüchtlingslager genutzt, andere von der Stadt Nürnberg in ein Neubaugebiet verwandelt, um die Wohnungsnot zu lindern: In diesem Stadtteil Langwasser leben heute 35.000 Menschen.

Das ehemalige Reichsluftfahrtministerium diente als Tagungsort des Deutschen Volksrates vom 7. Oktober 1949, der die DDR-Verfassung in Kraft setzte und damit die deutsche Teilung vollzog, später als DDR-Haus der Ministerien. Nach der Wende zogen verschiedene Bundesbehörden hinter die Natursteinfassaden, darunter die Treuhandanstalt. Nach der Ermordung des Treuhand-Präsidenten Detlev Rohwedder durch die RAF erhielt das Haus am 1. April 1992 auch dessen Namen. Mit der Verlagerung des Regierungssitzes von Bonn nach Berlin zog 1999 das Bundesministerium für Finanzen in das Detlev-Rohwedder-Haus.

Und die Vergangenheit? „Das Bundesministerium der Finanzen hat die historische Herausforderung angenommen, die mit diesem Gebäude verbunden ist“, heißt es in einer hauseigenen Broschüre: „Allein die Weiternutzung des Gebäudes bietet die Chance, die eigene Geschichte als Mahnung und Erinnerung für die nächsten Generationen lebendig zu erhalten.“ In der Eingangshalle erinnert - spät, aber doch! - eine Gedenkstätte an Mitglieder der Widerstandsgruppe Rote Kapelle, die hier tätig waren und die 1942 hingerichtet wurden.

Man könne nicht jede Kaserne zum Mahnmal machen, warf der Nürnberger Oberbürgermeister Peter Schönlein seinerzeit in die Debatte um die SS-Kaserne ein. Doch bis zu welchem Punkt ist eine „Banalisierung des Größenwahns durch alltägliche Nutzung“ (Hermann Glaser) statthaft, wo der doch einer Massenvernichtungsmaschinerie zu Diensten war und oft genug das Blut von Zwangsarbeitern an ihm klebt?

Inwieweit bemäntelt die eloquente Formel nur Verdrängung? So verschieden wie die Trägerschaft der Bauten durch die jeweilige Gemeinde, den Bund oder das Bundesland war auch der Umgang mit der Vergangenheit. Das Berliner Olympiastadion oder das Haus der Kunst in München glauben, ohne Bezug auf die Vergangenheit auszukommen. „Es musste erst einen Generationswechsel geben, um in der Aufarbeitung der Vergangenheit auch eine Chance zu sehen“, meint der Historiker Carlo Jahn, der sich als Initiator eines Vereins seit den 70er-Jahren für ein Informationszentrum Reichsparteitagsgelände in Nürnberg einsetzte. Erst 1985 wurde in der Zeppelintribüne eine provisorische Ausstellung „Faszination und Gewalt“ eröffnet. Hinweistafeln gab es anfangs nicht. Das Budget betrug ganze 80.000 D-Mark. Zur Restaurierung der Räume stand fast eine halbe Million zur Verfügung. Die Stadt war unter Zugzwang, seit die Gebäude 1973 unter Denkmalschutz gestellt worden waren.

Im Jahr 1999 wurde auf dem Obersalzberg ein Dokumentationszentrum eröffnet. Mit dem Fall der Mauer sei erstmals ein gesamtdeutsches Geschichtsverständnis möglich geworden, meint Hans-Christian Täubrich, Leiter des Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände. Das am 4. November 2001 von Bundespräsident Rau eingeweihte Zentrum erwies sich für Nürnberg als Attraktion und Publikumsmagnet: 750.000 Besucher sahen seither die Dauerausstellung „Faszination und Gewalt“.

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