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Wunschkisten aus Zürich 5
Neue Zürcher Zeitung

Die Expo 02 findet im idyllischen Dreiseenland statt. Entworfen wurde sie aber in städtischen Biotopen. Zum Beispiel in Zürichs kreativen Ateliers im Industriequartier.

14. Juli 2002 - Anna Schindler
Ob man sie nun als poetische Themenschau oder als buntes Spektakel erlebt für ihre Gestalter war die Expo vor allem ein gewaltiges Experiment. Am Anfang standen wilde, heitere Phantasien über ihr Aussehen. Immer neue Budgetkürzungen aber erdeten die Luftschlösser, machten die Pavillons zu pragmatischen Hüllen. Trotzdem erlebten viele Gestalterteams ihre Arbeit als begeisterndes Abenteuer. Sie hätten inhaltliche und gedankliche Freiräume genossen, von denen sie bei konventionellen Projekten nur träumen könnten, sagen etwa die beiden Erbauerinnen des Migros-Pavillons «Strangers in Paradise», die Zürcher Architektinnen Barbara Burren und Ingrid Burgdorf: «Unser Projektteam bestand aus lauter Profis in kulturellen Belangen. Wir sprachen alle dieselbe Sprache.»

Jungen Architekten- und Designerteams Projekte in Millionenhöhe anzuvertrauen, forderte risikofreudige Sponsoren. Den Mut brachten nicht alle auf, die eine Ausstellung finanzierten ebenso schafften es nicht alle Gespanne, bis zur Expo-Eröffnung zusammenzubleiben. Die meisten, die an der Landesausstellung herumfabulierten, taten dies im ehemaligen Zürcher Industriedreieck zwischen Limmat, Güterbahnhof und Hardbrücke. Das mag daran liegen, dass die künstlerische Direktion der Expo immer aus der Deutschschweiz stammte: Sowohl Pipilotti Rist wie Martin Heller standen die kreativen Biotope in Zürich und Basel näher als diejenigen in Lausanne und Genf zumal letztere wenig Interesse an der Landesausstellung bekundeten. Der Streifzug durch den Kreis 5 jedenfalls führt von einem Expo-Atelier zum andern.

Die Architekten Matthias Kohler und Fabio Gramazio haben ihre Studien an der ETH Zürich 1996 abgeschlossen. Drei Jahre später taten sie sich mit einem Partner zusammen und bezogen ihr Atelier über der Limmat. Heute steht das griffige Kürzel GJK für ein Duo: Den Expo-Pavillon «sWISH» der IBM Schweiz und der Rückversicherungsgesellschaft Swiss Re haben Gramazio und Kohler gebaut. Kaum ein anderes Team habe in der Arbeit für die Expo so viel Kontinuität erlebt wie GJK und ihre Mitautoren unter der Leitung der Zürcher Szenographen «Morphing Systems», sagt Matthias Kohler: «Wir haben im Auftrag der IBM Schweiz im Herbst 2000 bereits die Machbarkeitstudie für ein Expoprojekt zusammen erarbeitet.»

Damit war der Grundstein für die schwarze Wunschkiste «sWISH» gelegt. Dass sie das Unterfangen von der ersten Skizze bis zum konkreten Bau durchgezogen haben, darauf sind Kohler und Gramazio mächtig stolz: «Uns hat kein Generalunternehmen am Schluss die Realisierung unseres Projekts abgenommen!»

Die intensive gemeinsame Konzeptarbeit zwischen Architekten und Gestaltern prägt den Pavillon: Hübsche architektonische Details wie die weiche Aussenhaut aus Abdichtungsmaterial stammen ebenso aus dem Entwurfslabor von GJK wie wichtige szenographische Elemente. Kohler und Gramazio entwarfen die in die Fassade eingelassene Bank und fanden zusammen mit der Architektin Miriam Zehnder beim Wunschsee die Lösung, wie sich eine Schrift ins Wasser projizieren lässt und dabei lesbar bleibt: Die Wasseroberfläche wird mit Sprinklern gebrochen.


In Rauchlabyrinthen

So viel erfolgreiches Erfindertum macht Mut. Matthias Kohler und Fabio Gramazio vertrauen auch nach der Expo auf die Verknüpfung digitaler und physischer Welten: So entwickeln sie gerade einen Kunststofftisch, der sich auf dem Display des Natels entwerfen lässt. Ein leuchtend oranger Prototyp steht bereits im Atelier an der Wasserwerkstrasse.

Ganz in der Nähe, an der Pfingstweidstrasse 31a, logieren die Architektinnen Barbara Burren und Ingrid Burgdorf seit sechs Jahren im ersten Stock des Welti-Furrer-Gebäudes. Die beiden sind Pionierinnen im hippen Industriequartier: Als sie eingezogen seien, habe rundum noch reger Speditionsbetrieb geherrscht, erzählt Barbara Burren.

Diese städtebauliche Umgebung haben die beiden Architektinnen aufs Land getragen: Mitten auf der Arteplage Biel, wo man nur zu Fuss hingelangt, steht eine Art Parkhaus. Der transparente Betonbau aber beherbergt keine Autos sondern 71 überdimensionierte Einkaufswägelchen. Auf einer 540 Meter langen Bahn gleiten diese elektronisch gesteuert über drei Stockwerke auf und ab, durch einen phantastischen Supermarkt vorbei an prägnanten Bildern zur Geschichte der Schweiz.

Sie hätten versucht, ihr Bild der Migros «volksnah und bodenständig» in eine Architektur umzusetzen, die den künstlerischen und intellektuellen Ansprüchen der Ausstellung gerecht werde, erklären Burgdorf und Burren. Pate stand der schweizerische Alltag: Der Migros-Pavillon besteht aus Betonelementen, wie sie landesweit für Lagerhallen und Brückenbauten verwendet werden. Die Wellpolyesterplatten der Fassade finden sich in jedem Baumarkt.

Die Architektur ist zum integralen Element der Ausstellung geworden: «Sie wird möglichst nirgendwo verdeckt, verkleidet und übermalt», sagt Ingrid Burgdorf. Wahrgenommen würden in der Öffentlichkeit aber trotzdem vor allem die Migros und die Ausstellung nicht die Architektinnen, deren Namen selbst in der Pressemappe des Pavillons fehlten. Dafür hat der Alltag das Duo längst wieder eingeholt: Burgdorf/Burren haben bereits den nächsten Beitrag für einen Architekturwettbewerb abgegeben.

Bei ihren Nachbarn im Maag-Areal klingt die Expo-Arbeit intensiver nach: Die Architekten Philippe Stuebi und Nader Taghavi vom «bureau k1» konzipierten den Pavillon der Kantonalen Gebäudeversicherungen «Beaufort 12» in Neuenburg von Beginn weg zusammen mit den befreundeten Schweizer Künstlern Christoph Draeger und Martin Frei. Naturkatastrophen sind die eigentliche Obsession des 37-jährigen Draeger: Er baut in seinem Atelier in Brüssel seit Jahren grossflächige Modelle verwüsteter Landschaften. Entsprechend hätten sie den ganzen Pavillon ursprünglich als Kunstinstallation geplant, erzählt Philippe Stuebi. Sie seien sogar zu viert nach Japan gereist, um Erdbeben-, Lawinen- und Feuersimulatoren zu testen, in Rauchlabyrinthen herumzuirren und den realen Katastrophenort Kobe zu besuchen.


Freundschaft war stärker

Allzu viel Kunst aber war den Kantonalen Gebäudeversicherungen suspekt: Auf ausdrücklichen Wunsch der Sponsoren ergänzten die Zuger Gestalter «DNS Transport» das skurrile Bühnenbild der künstlichen Schlammlawine mit einer Ausstellung zum Katastrophenschutz. Daneben aber sei die Zusammenarbeit mit den risikofreudigen Geldgebern sehr gut gewesen, betonen die beiden Architekten des «bureau k1». Die ungewohnte formale Freiheit habe sie fasziniert, sagt Nader Taghavi: einmal nicht die üblichen Wohn-, Ess- und Schlafzimmer zu entwerfen. Es würde das Architektenduo, das sich zuvor etwa mit dem Umbau des Zürcher Szenerestaurants «Josef» einen Namen gemacht hatte, auch gelüsten, eine neue ausstellungsarchitektonische Aufgabe anzupacken einen künstlerischen «Desasterpark» etwa. Denn, so Tahgavi: «Mit Katastrophenbildern muss man sich kulturell auseinander setzen!»

Fast in der Katastrophe hätte dagegen das Engagement der Belleville AG beim Internetprojekt «Cyberhelvetia» geendet. Das Quartier der Gruppe, die am längsten von allen an der Expo dabei war und doch nicht bis zum Schluss zusammengeblieben ist, liegt einen Steinwurf vom «bureau k1» entfernt. Gestalter Andreas Kohli und Ausstellungsmacher Martin Roth, die beiden Inhaber der eigens gegründeten Firma, aber haben die Enttäuschung über ihr vorzeitiges Ausscheiden bei der Expo verdaut: «Entscheidend ist, dass unsere Freundschaft gehalten hat!» Mittlerweile bearbeitet das verkleinerte Team andere künstlerische Aufträge.

Die zehnköpfige Gestaltergruppe Belleville erfand 1998 die virtuelle Stadt «Cy» als Modell einer Gegenschweiz und reichte sie bei der Mitmachkampagne der Expo 01 ein. Nach der dritten Überarbeitung hiess die Jury das Projekt gut, drei Tage später hatte sich bereits ein prominenter Sponsor gefunden: Die Credit Suisse Group wollte sich damit als führende Bank im elektronischen Sektor profilieren. Es folgte die Blütezeit des Belleville-Gespanns: «Wir arbeiteten wie Besessene!», sagt Andreas Hofer, Künstler, Plastiker und Gestalter von «Cy». «Ich hatte nie zuvor eine solche Bündelung kreativer Energien auf ein Ziel erlebt.»

Die Wende kam mit der Verschiebung der Expo um ein Jahr. «Wir standen wie eine Ariane-Rakete auf der Startrampe», sagt Kohli. «Dann kam das Aus der Expo 01 drei Tage bevor wir die Umsetzung Cy lanciert hätten.» Das geschenkte Jahr wurde dem Projekt zum Verhängnis: Der Boom des Internets ging zu Ende, und als die virtuelle Stadt im Februar 2001 schliesslich in Betrieb genommen wurde, fand sie zu wenige Bewohner. Dazu wurde die Ausstellung auf der Arteplage Biel immer mehr zum unabhängigen zweiten Projekt statt einer Verbindung von «Cy» mit der realen Welt.

Im Oktober 2001 gab Belleville die Projektleitung an die Credit Suisse Group ab und beschränkte sich in Sachen Expo auf die Betreuung der selbst entwickelten Fotobots: digitaler Selbstbildkameras, die in Schweizer Städten an zentralen Schaufenstern klebten. Ein Büchlein mit den besten 365 Fotobotporträts ist soeben im Zürcher Kontrast-Verlag erschienen. Gewidmet ist es all jenen 600 000 Porträtierten, die darin keinen Platz fanden.

Die Expo als Freiraum der phantastischen Art: «Ich hatte nie zuvor eine solche Bündelung kreativer Energien erlebt.»

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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