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Zauberpalast im Licht
Neue Zürcher Zeitung

Der Petit Palais in Paris wiedereröffnet

10. Dezember 2005 - Marc Zitzmann
Wo sind wir? Die Monumentaltreppe führt zu einem Portal und zu einer Rotunde, die auf den Invalidendom anspielen. Die Kolonnade der Hauptfassade gleicht derjenigen des Louvre, die dahinter gelegenen Galerien erinnern an den Versailler Spiegelsaal. Unser verzücktes Auge erblickt Gemälde von Rubens und von Monet, altgriechische Vasen und venezianische Gläser, Beauvais- Tapisserien und Rodin-Skulpturen, Rocaille-Möbel und Hector Guimards Esszimmer. Und derweil draussen die Temperaturen wieder herbstlich frisch geworden sind, trägt im Innengarten eine Dattelpalme üppige Früchte zur Schau.

Wo sind wir? Im Pariser Petit Palais, einem Zauberpalast der schönen Künste. Nach viereinhalbjährigem Umbau wird der imposante Bau an den Champs-Elysées, der nur im Vergleich mit dem gegenüber gelegenen Grand Palais das Epithet «klein» verdient, heute wiedereröffnet. Wie sein Vis-à-vis war der Petit Palais für die Weltausstellung von 1900 erbaut worden. Während jener in den Besitz des Staates überging, dient der «kleine» Palast seit 103 Jahren als städtisches Museum der schönen Künste. Das trifft sich gut, hatte ihn der Architekt Charles Girault doch in jenem eklektizistischen Stil entworfen, der in Frankreich auch «style beaux-arts» heisst. Der symmetrische Grundriss hat die Form eines Trapezes, das einen halbkreisförmigen Innengarten umgibt. Diesen umlagern mehrere Ringe: in der Beletage ein Säulenumgang und zwei Galerien, im Erdgeschoss bis zu vier Raumfolgen.

Das mit dem 72,2 Millionen Euro teuren Umbau betraute Büro Chaix & Morel et associés hat den angegrauten grossbürgerlichen Palast von einst in ein modernes, für jedermann zugängliches Museum verwandelt. Neu sind Zugänge für Behinderte, ein Café mit Blick auf den Garten, ein unterirdisches Auditorium und eine Buchhandlung. Ausstellungs- und Nutzfläche wurden je um rund die Hälfte auf 7450 beziehungsweise 22 650 Quadratmeter erweitert. Vor allem jedoch hat der Petit Palais weitgehend seinen Ursprungszustand wiedergefunden. Und das bedeutet: Licht, Licht und nochmals Licht. Mit ihrem Spiel von Durchblicken und Reflexionen, mit dem durch meterhohe Glasfronten einfallenden Sonnenlicht und dem von Glasdächern verströmten Oberlicht war Giraults Architektur ihrer Zeit voraus. Mangels Klimatisierung mussten Fenster zugestellt und Zwischenwände errichtet werden. Jetzt ist das Gebäude wieder von Helligkeit durchflutet - so sehr, dass man in der Galerie für Wechselausstellungen zur Seine hin manchmal die Augen zukneift.

Laut Gilles Chazal, dem Direktor des Museums, hat dieses weder den Anspruch, enzyklopädisch zu sein, noch, einen chronologischen Parcours der westlichen Kunst auszubreiten. Vielmehr gehorche die Präsentation der Exponate dem Prinzip der «suggestiven Gegenüberstellungen». Ein schlüssiger Ansatz: Sowohl die räumliche Konfiguration als auch das Profil der - an überraschenden Schwerpunkten wie an augenfälligen Lücken reichen - Sammlung laden den Besucher dazu ein, gleichsam von Überraschung zu Überraschung zu vagabundieren. Wiewohl die Säle von 1 bis 40 nummeriert sind, empfiehlt sich ein Rundgang «à la carte». Mit etwas gutem (oder schlechtem) Willen kann man so Courbets «Demoiselles des bords de la Seine» und einen grazilen Nachttisch von Pierre IV Migeon aufeinander treffen lassen. Oder Delacroix' «Combat du Giaour et du Pacha» und mittelalterliche Elfenbeinschnitzereien. Oder ein Pastellbild von Odilon Redon und eine kretische Ikone. Wiewohl der Petit Palais so manches Meisterwerk besitzt, ist er nicht eigentlich das, was man ein «grosses Museum» nennen würde. Dafür aber eines, das durch seine Art, kleine und grosse Kunstwerke in Dialog treten zu lassen, Geist und Sinne kitzelt.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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