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Anleitung zum Glücklichsein
Der Standard

Das hässliche Stichwort lautet: Baukostenüberschreitung. Nur die Verhinderung derselben führt zum Ziel, und das heißt gute Architektur, glückliche Bauherren, zufriedene Architekten.

17. Dezember 2005 - Ute Woltron
Da wir an dieser Stelle ohnehin stets das Hohelied der Architektur zu singen pflegen, dürfen wir ausnahmsweise auch einmal auf die schrilleren Zwischentöne zu sprechen kommen, die - gar nicht selten - den Produktionsprozess des Architekturmachens begleiten.

Selbstverständlich geht es um Geld - und da der Spruch, dass jeder Handgriff auf der Baustelle einen Tausender kostet, völlig richtig ist, geht es normalerweise um schmerzlich viel Geld.

Die Anleitung zum Unglücklichsein hat den Titel Baukostenüberschreitung: Die grässliche Vision der Kostenexplosion ist der Hauptgrund, warum beispielsweise private Häuslbauer nur ungern Architekten engagieren. Sehr schade, weil gute Architektur nicht teurer sein muss als schlecht Gebautes, doch, bei aller Liebe zur Baukunst: Verdenken kann man es ihnen nicht. Unzählige Häuslbauer- und Investorenleichen pflastern den Weg der Architektur.

Eine der legendärsten Entgleisungen, um großformatig in das Thema einzusteigen, lieferte etwa der geschmeidige und hochangesehene britische Architekturindustrielle Norman Foster: Für die zum Glück mit fetten Rücklagen gesegnete Hongkong Shanghai Bank plante er dereinst ein spektakuläres Hochhaus, das in weiterer Folge Architekturgeschichte schrieb, dessen Errichtung sich allerdings in den Büchern des zuvor reichen Bankunternehmens so empfindlich niederschlug, dass es erst fast Bankrott machte und dann Jahre brauchte, um sich davon wieder zu erholen. Das Haus war mit 500 Millionen US-Dollar veranschlagt gewesen, tatsächlich wurden 1,3 Milliarden verbraten.

Auch das neue Kanzleramt in Berlin, dem Volksmund nach seinem Bauherren als Kohlosseum bekannt, kostete statt der prognostizierten 399 Millionen Mark um 115 Millionen mehr. Und die steirische Therme Loipersdorf I, um ein heimisches Beispiel zu zitieren, ging mit Baukosten von satten 500 Millionen Schilling anstelle der angepeilten 80 ebenfalls als Horrorszenario in die Geschichte ein. Diese Liste von Blut, Schweiß und Tränen ließe sich beliebig fortsetzen, wovon wir aber absehen.

So recht Verlass scheint also auf die planende Zunft kostentechnisch nicht zu sein. Darauf deuten auch die sich seit geraumer Zeit häufenden Anrufe völlig devastierter Bauherren in der STANDARD-Architekturredaktion hin, die zwar über neue, in Hochglanzarchitekturmagazinen abgebildete Prachthäuser verfügen, diese aber ehebaldigst loswerden wollen, um ihre Bankberater vom Gang zum Gerichtsvollzieher abzubringen.

Das alles ist äußerst ärgerlich für alle Beteiligten: Für die Bauherren sowieso, aber auch für jene Architektinnen und Architekten, die im Gegensatz zur überwältigenden Mehrheit ihrer Kolleginnen und Kollegen der Kalkulation und seriösen Baukostenermittlung mächtig sind. Wir wissen, dass wir uns mit dieser Behauptung wütenden Anfeindungen seitens der Planerzunft aussetzen werden, doch die Beweislage ist bedauerlicherweise eindeutig.

Ebenso klar ist aber auch folgendes: Die Bauherren selbst spielen ebenfalls eine nicht zu unterschätzende Rolle in diesem Spiel. Denn was passiert, wenn sich jemand mit einem professionellen Planer ein Haus baut: Es werden Träume zur Verwirklichung gebracht. Winfried Kallinger von der Kallco drückt das so aus: „Das Bauen ist extrem emotional besetzt, hier beginnen Verdrängungsmechanismen zu wirken, der Bauherr wird zum Opfer seiner selbst, weil er diese Träume realisieren will - und zwar wann, wenn nicht jetzt.“

Meistens haben die Auftraggeber absolut keine Ahnung von den Bauprozessen, die sich zwischen Traum und Wirklichkeit, also der Vision und dem Endprodukt Haus, abspielen, und wenn die Baustelle einmal im Betrieb ist, nützt das Erwachen nichts mehr, dann galoppieren die Kosten dahin.

Doch werden ein paar grundsätzliche Gebote befolgt, müssen Baukostenüberschreitungen keineswegs sein. Hier also der Versuch einer Anleitung zum Glücklichsein für Häuslbauer und Architekten, denn: Erquickung hast du nicht gewonnen, wenn sie dir nicht aus eig'ner Seele quillt:

Erstes Gebot: Wer ein Haus bauen will, sollte zuerst den exakten Kostenrahmen abstecken, der tatsächlich zur Verfügung steht. Das ist die absolute, leistbare, die Lebensqualität nicht schmälernde Höchstsumme, die sich aus Bank, Omi & Co und Eigenkonto ergibt.

Zweites Gebot: Erst wenn diese Summe feststeht, und keine Sekunde früher, sollte der nähere Kontakt zu den Architekten der Wahl erfolgen. Der optimale erste Satz lautet: Diese Summe steht zur Verfügung, kein Cent mehr.

Drittes Gebot: Ohne exakte Angaben darüber, was das Haus leisten soll, wie in dem Haus gelebt wird, welche Qualitäten Priorität haben, können die besten Architekten keine guten Entwürfe liefern. Also: Klare Zielvorgaben sind die erste Pflicht der Auftraggeber.

Viertes Gebot: Spätestens bei der Ablieferung eines Vorentwurfs sind Ziviltechniker laut Honorarordnung dazu verpflichtet, eine Kostenschätzung samt Kostengliederung abzuliefern. Die Architekten sind sodann einem hochnotpeinlichen Verhör zu unterziehen, ob diese Kosten auch eingehalten werden können.

Fünftes Gebot: Sollten sich in dieser Phase bereits Überschreitungen des Budgets abzeichnen, muss eine sofortige Weichenstellung in die Gegenrichtung erfolgen. Wann, wenn nicht jetzt, ist die Möglichkeit dazu da. Später geht absolut nichts mehr, an Türklinken und Waschbecken zu sparen bedeutet den berühmten Tropfen auf den heißen Stein.

Sechstes Gebot: Steht der Entwurf, so empfiehlt es sich dringend, einen externen, unabhängigen Ziviltechniker mit der Überprüfung der Kostenschätzung zu beauftragen. Das wird je nach Projektgröße 20 bis 25 Ingenieurstunden erfordern und entsprechend 2500 bis 3000 Euro kosten. Doch dieses Geld ist bestens investiert.

Siebentes Gebot: Niemals sollte man auf eine Reserve von rund zehn Prozent im Baubudget vergessen. Man wird sie mit ziemlicher Sicherheit in Anspruch nehmen.

Achtes Gebot: Das Kostenverfolgungsmanagement laut ÖNORM 1801 ist einzufordern. Nur wer zu knapp hintereinander liegenden Stichtagen weiß, wie viel Geld verbraucht ist, und ob man damit im Plan liegt, wird ruhig schlafen.

Neuntes Gebot: Seriöse Architekten, so sie mit dem Gesamtpaket beauftragt sind, werden, wenn man das von ihnen quasi als Nagelprobe verlangt, eine Kostengarantie abgeben, die sich innerhalb eines Rahmens von fünf bis zehn Prozent bewegt. Überschreitungen haben Honorarkürzungen zur Folge.

Zehntes Gebot: Auch wenn Bauherren zwischendurch dazu neigen, mit ihren Architekten freundschaftliche Verhältnisse einzugehen, sollten Aktennotizen über Baubesprechungen etc. den Bauprozess begleiten. Denn: Wenn es um das Geld geht, ist jedem das Hemd näher als der Rock.

Wer diese einfachen und effizienten Maßnahmen als unsympathisch und kleinkrämerisch empfindet, sollte entweder kein Haus bauen oder sicherheitshalber um Gehaltserhöhung ansuchen. Wer sie befolgt, wer ausreichend mit seinem Architektenpartner kommuniziert, seine Träume im Griff behält, etwaige Reduktionen derselben verkraftet und ein, zwei Jahre seines Lebens mit emotionalen Höhen und Tiefen ungeahnter Intensität verbringen will, wird ein hervorragendes, maßgeschneidertes, glücklichmachendes Haus bekommen. Und niemand, der das haben will, sollte davor zurückschrecken.

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