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Hybridautos für Amerika
Der Standard

Der kalifornische Architekt Thom Mayne senkt in amerikanischen Regierungsgebäuden den Erdölverbrauch und fordert US-Richter auf, Kafka zu lesen, wenn er für sie bauen soll. Denn: Strategisches Denken in der Architektur ist angesagt.

28. Januar 2006 - Ute Woltron
Die Vereinigten Staaten von Amerika konnten ihre Sympathiewerte in den vergangenen Jahren aus unterschiedlichen Gründen nicht uneingeschränkt steigern - Leute wie der Kalifornier Thom Mayne (62) verkörpern geradezu bilderbuchartig die erfreuliche Gegenthese zum offiziellen Amerika, also jenen zu oft in den Polemiken vergessenen kritisch-wachsamen, innovativen Teil der amerikanischen Bevölkerung.

Dieser Tage weilt der Architekt, der 1972 in Los Angeles das Architekturbüro „Morphosis“ gründete, in Wien, um im Rahmen eines Postgraduate-Lehrgangs der Universität für angewandte Kunst angehenden Architekten und Architektinnen das zu vermitteln, was in der Spitzenarchitektur in Zukunft verstärkt benötigt wird: Durchsetzungs- und Überzeugungsvermögen, in allen Phasen des Entstehungsprozesses von Architektur.

Die Architekturstudenten der Angewandten kommen derzeit also in den Genuss, gleich von zwei Pritzkerpreis-Größen geschult zu werden. Von der raumfüllenden Zaha Hadid, die Entwurfsprogramme bis in atomare Gefilde zerlegt, und von Mayne, der den Rest des Universums in seine Überlegungen mit einzubeziehen gewohnt ist. Weitere Architekturgrößen unterschiedlicher Provenienz werden im Laufe des Semesters folgen.

Initiator der Intensivschulung „Urban Strategies“ ist Angewandte-Architekturchef Wolf D. Prix, der sich - der Wiener Neidgesellschaft zum Trotz - durchaus etwas auf diese Versammlung der internationalen Spitzenarchitekten im Dienste seiner Schülerinnen und Schüler einbilden kann.

Planung ist eines, sie umzusetzen ein ganz anderes, beides muss man können, will man gute Arbeit liefern. Wer, wenn nicht die renommiertesten Architekten der Welt können davon ein Lied singen, und wer, wenn nicht Prix, kann diesen Chor harmonisch an der Angewandten vereinen.

Thom Mayne beispielsweise produziert eine Architektur, die formal so jenseits der üblichen Investorenkisten ist, dass man sich auf den ersten Blick schon fragt: Was will dieser Mann? Und wie ist es ihm gelungen, diese Häuser umzusetzen? Stellt man diese Fragen ihm selbst, so erhält man präzise Antworten, und zwar auf jedes Detail, auf jedes architektonische Element seiner markanten und unverwechselbaren Gebäude.

Architekten, meint er, würden wie Regisseure funktionieren: Sie dirigieren eine Fülle verschiedenster Anforderungen, Bauherrenwünsche, Materialqualitäten. Architekten müssten all die unterschiedlichen Aspekte im Auge behalten, zu einer funktionierenden Form komponieren und sich zugleich darüber im Klaren sein, dass die Architektur nur die eine Hälfte eines Gebäudes darstelle. Die andere ergebe sich durch die Nutzer, die das Haus bespielen und für sich erobern.

Mayne behauptet, dabei durchaus traditionsbewusst und keineswegs der böse Bube zu sein, als der er gehandelt werde: „Mir geht es nicht darum, etwas zu verändern, sondern, strategisch denkend, das Beste aus den Gegebenheiten zu machen.“ Für die Stadtregierung San Franciscos baut er beispielsweise ein großformatiges Verwaltungsgebäude. Zwei Drittel des Hauses werden ohne Klimaanlage auskommen, was in den energieverschwenderischen USA etwa so üblich ist wie zweisprachige Ortstafeln in Kärnten. Die dadurch eingesparten zwölf Millionen Dollar wandern in eine intelligente Fassade, mit der Differenz der Energiekosten könnten 600 Häuser versorgt werden.

In Amerika, meint Mayne süffisant, spiele die Erdöl-Liga derzeit eine nicht ungewichtige Rolle, weshalb es ihn besonders freue, ein Regierungsgebäude anderen energetischen Maßstäben angepasst zu haben. „Hey, ich bin in den Sechzigerjahren aufgewachsen“, sagt er, „und Sie fragen mich ernsthaft, was ich zur derzeitigen politischen Situation dieses Landes sage?“

Doch, die Frage ist ernst gemeint, und die Antwort darauf kommt wieder in aller Deutlichkeit: Schändlicherweise habe eine bestimmte Minorität in den vergangenen Jahren die Macht an sich gerissen, das Land unter sich aufgeteilt und in zwei deutliche Lager gespalten. „Das wird sich wieder ändern“, so Mayne mit erfrischendem Optimismus, und bis dahin demonstriere er anhand seiner Gebäude, dass die Architektur sehr wohl ein Statement abgeben könne - sogar jene, die er für die Regierung baue.

Als sich etwa ein durchaus dem konservativen Lager zuzuordnender Richter aus Oregon ein neues Gerichtsgebäude wünschte, legte der erst einmal eine Skizze eines vorgestrig-klassizistischen Gebäudes als Idealvorstellung auf Maynes Zeichentisch. Säulen und Tympanon und so. Der Architekt nickte nur bedächtig, um dann das zu leisten, was er in Wien den Studenten gerade beizubringen versucht: Überzeugungsarbeit.

Er entwarf ein geschmeidiges, in mehreren Baukörpern strukturiertes, den inneren Abläufen des Gerichts entsprechendes Konstrukt, breitete die Skizzen vor den ungnädigen Augen des Richters aus und meinte: „Das ist eine der unendlich vielen Möglichkeiten. Wenn Sie sie nicht mögen, kann ich genauso gut eine andere finden.“ Nur logisch und funktionierend müsse sie sein.

Das Endprodukt besteht nach wie vor aus sechs Teilkörpern, der Richter hat in der Zwischenzeit Kafkas Prozess gelesen - weil Mayne ihn dazu aufgefordert hatte - und es hat, wie der Architekt meint, ein „shift of tradition“ stattgefunden: alte Formen, alte Traditionen, in eine neue, zeitgemäße Architektursprache gekleidet.

Maynes Architekturen, um auf seine Gestaltqualitäten zu sprechen zu kommen, wirken wie knospende, sich eben entfaltende Organismen. Er arbeitet vor allem in den Fassaden mit intelligenten Schichtungen, zieht etwa die Außenhaut des Gebäudes solchermaßen über die Struktur, dass sich geschützte Zonen ergeben, die als Foyer und als öffentlicher Raum wirksam werden.

Sein vor etwa zwei Jahren fertig gestelltes Caltrans-Verwaltungsgebäude - ebenfalls ein öffentliches Haus - in Los Angeles, Downtown, demonstriert diesen Ansatz vorbildlich. Gerade in LA, wo sich niemand um öffentliche Räume kümmert, hat dieses Bemühen um städtebauliche Kleinareale für die Öffentlichkeit besondere Brisanz und nachgerade Aufforderungscharakter an die politische Führung. Ein von Mayne mitinitiiertes Kunstprojekt von Keith Sonnier, das in Lichtströmen die Verkehrs- und Freeway-Metropole raffiniert reflektiert, unterstreicht, dass der konstruktive, insistente Diskurs mit der Bauherrschaft gelingen kann, wenn die richtigen Argumente auf den Tisch gelegt werden.

Thom Mayne, so offen und konstruktiv er in Verhandlungen mit seinen Auftraggebern sein mag, ist andererseits auch dafür bekannt, den Kompromiss nur bis zu einem gewissen Punkt einzugehen. Selbstverleugnungen verweigert er sich, so manches Projekt hat er letztlich nicht mitgetragen. Der Pritzkerpreisträger des vergangenen Jahres wirkt wie jemand, der Condoleezza Rice ein solarbetriebenes Auto verkaufen will. Dass er seine Überzeugungen gnadenlos auch selbst lebt, beweist das Hybridauto, das in seiner eigenen Garage steht.

„Je älter ich werde“, sagt er, „desto mehr Energie habe ich, desto mehr drängt es mich weiterzutun.“ Gerade das Unterrichten, der Umgang mit den Studentinnen und Studenten und damit das ständige Eintauchen in die Welt der Jungen halte ihn frisch, wachsam und nicht zuletzt optimistisch.

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