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Gebaute Zeitlosigkeit
Neue Zürcher Zeitung

Der neue IBM-Hauptsitz in Altstetten setzt den Quartierumbau fort

Mit dem neuen IBM-Hauptsitz in Altstetten setzt der Architekt Max Dudler einen grossstädtischen Akzent. Der eindrucksvolle Grossbau genügt höchsten technischen Ansprüchen, bekennt sich aber zugleich zur Tradition der euro-päischen Stadt. Für den wachsenden Stadtkreis Altstetten ist der Neubau städtebaulich bedeutsam.

30. April 2005 - Martino Stierli
Ein wenig im Schatten der grossen Entwicklungsgebiete der letzten Jahre in Zürich Nord, West und Süd tut sich neuerdings auch im Westend von Zürich architektonisch Bemerkenswertes: Nachdem bereits mit dem Bürohochhaus Obsidian von Baumschlager und Eberle Architekten ein markantes städtebauliches Zeichen gesetzt worden ist (NZZ 30. 10. 04), doppelt nun auf der gegenüberliegenden Seite des Geleisefeldes der IBM-Konzern mit seinem neuen Schweizer Hauptsitz nach. In einem „eingeladenen Wettbewerb“ konnte sich der international tätige Schweizer Architekt Max Dudler mit seinem Entwurf durchsetzen. Dudler galt in den neunziger Jahren als einer der Protagonisten der Gestaltung des „Neuen Berlin“.

Konzentration auf einen Standort

Investorin und Totalunternehmung in einem war bei diesem 180-Millionen-Projekt die Allreal AG, wobei mit IBM vorgängig ein langjähriger Nutzungsvertrag abgeschlossen werden konnte. So ist der nun fertig gestellte Bau optimal auf die Bedürfnisse des Technologiekonzerns zugeschnitten, lässt aber auch anderweitige künftige Nutzungen problemlos zu. Der Neubau beherbergt auf einer Nutzfläche von 37"000 Quadratmetern über 1200 Arbeitsplätze für rund 2200 Mitarbeiter und erlaubt es der IBM Schweiz, ihre bisher auf mehrere Zürcher Standorte verteilten Aktivitäten in einem einzigen Gebäude zu konzentrieren. Dass der Bau als grösster seiner Art den Minergie-Standards genügt, ist ein weiterer Pluspunkt, der stark zu einer effizienten Bewirtschaftung beitragen dürfte.

Gemeinsam mit der Scheibe über dem Bahnhof Altstetten und dem Hochhaus Obsidian schräg gegenüber spannt der Neubau an der Vulkanstrasse ein städtebaulich bedeutsames Dreieck in einer architektonisch sonst mässigen Umgebung. Zwar nimmt der IBM-Neubau die Vorgabe von Baumschlager und Eberle auf und egalisiert deren Gebäudehöhe von rund fünfzig Metern mit dreizehn Stockwerken. Doch Dudlers Entwurf verkörpert eine grundlegend andere Auffassung von Architektur. Während der Obsidian-Turm hinter einer schwarz-grünen Glashülle ganz den Eindruck von Transparenz und Leichtigkeit vermittelt, setzt Dudler mit einem rigiden Fassadenraster aus Granit, in das grossflächige Scheibenrechtecke eingesetzt sind, auf eine Verbindung von traditioneller Monumentalität und Hightech. Der Bau ist ein Bekenntnis zu einer dezidiert grossstädtischen Architektur; ein Stück steinernes Berlin gleichsam im kleinräumigen Zürich, ohne deswegen überdimensioniert oder gar massstabslos zu wirken. Mit der Verbindung von Stein und Glas und seiner minimalistischen, bisweilen monoton anmutenden Formensprache erweckt das Gebäude den Eindruck von Zeitlosigkeit, mit dem es sich von den teilweise nicht vorteilhaft gealterten Bauten der Umgebung abhebt.

Die Fassadengestaltung wird geprägt durch den Raster mit den hochrechteckigen Fensteröffnungen, der sich gleichförmig über das Gebäude zieht. Einzig in den beiden unteren Geschossen sowie im obersten Stockwerk werden jeweils zwei Achsen durch grossflächige Panoramafenster miteinander verbunden, womit die drei klassischen Aufriss-Elemente des Hochhauses - Sockel, Schaft und oberer Abschluss - deutlich ablesbar werden. Dabei bildet der Turm lediglich das städtebaulich sichtbarste Zeichen eines weit komplexeren Volumens: Der Bau entwickelt sich aus einem sechsgeschossigen Wurmfortsatz an der Nordwestseite des Grundstücks, verzweigt sich sodann in einen rechteckigen Flachbau gleicher Höhe, der einen zentralen Innenhof umschliesst, und schwingt sich schliesslich an der Südostseite zum dreizehngeschossigen Turm auf. Die Grundrissfigur und die Kontrastierung von horizontalen und vertikalen Volumen tragen zur Dynamisierung des klar strukturierten Baus bei.

Der neue IBM-Hauptsitz wird an der Stirnseite des Turmes an der Vulkanstrasse betreten. Die Empfangshalle stellt durch ihre lichte Raumhöhe sowie durch die Kontinuität des Materials Öffentlichkeit her, indem der Granit der Aussenfassade in diesen Bereich hineingezogen wird. Nach dem Passieren zweier schwarzer, formal streng gestalteter Pavillons führt eine seitliche Treppe hinauf zu den Sitzungs- und Repräsentationsräumen des ersten Obergeschosses, während ein schmaler Gang zum zentralen Innenraum überleitet, der sogenannten Markthalle. Es handelt sich um einen grosszügigen, überdeckten Innenhof mit doppelter Geschosshöhe, der mit Elementen wie der verglasten Kassettendecke oder dem Pfeilerumgang auf den Fundus der klassischen Architektursprache zurückgreift. Das Ausgreifen der Bestuhlung der seitlich anschliessenden Cafeteria macht die Halle zu einer Art städtischem Platz. Gegenüber der vorherrschenden kühlen Materialisierung in Stein und Glas sind die Wände des Verpflegungsbereichs mit hellen Eichenpaneelen beschlagen, so dass der Eindruck von Intimität und Wohnlichkeit entsteht.

Gekonntheit in den Details

Die oberen Geschosse sind der Nutzung als Grossraumbüros und der Haustechnik vorbehalten. Die Etagen werden durch Erschliessungszonen erreicht, deren schwarzer Kunststein der edlen Materialisierung der übrigen öffentlichen Bereiche in nichts nachsteht. Auch die Pausenbereiche auf den einzelnen Stockwerken brauchen Vergleiche nicht zu scheuen. Dem Architekten oblag ebenfalls die Gestaltung dieser Innenräume, so dass stimmige Ensembles entstanden sind. Die Pausenbereiche öffnen sich auf den Innenhof oberhalb der Markthalle, dessen Aussenfassaden mit schwarzen Gitterrosten bedeckt sind. Das Dach der gedeckten Halle gewinnt von hier oben den Aspekt eines geometrisch konzipierten, jedoch unzugänglichen Gartens. Im Unterschied zu den öffentlichen Bereichen gestalten sich die Grossraumbüros wesentlich profaner, wobei die Mitarbeiter mit steigender Stockwerkzahl mit einem grossartigeren Blick belohnt werden. Gleichwohl wird auch hier den Details grosse Aufmerksamkeit zuteil, was sich etwa in den konsequent durchgezogenen Sockelleisten oder den durchwegs verborgenen Deckeninstallationen zeigt.

Die in den Fussböden eingelassenen Deckel, unter denen sich diverse Anschlüsse für die Arbeitsplätze und kilometerlang verlegte Kabel verbergen, lassen erahnen, dass der IBM-Neubau neben der repräsentativen Schauseite auch über ein hochgradig technologisiertes Unterbewusstsein verfügt. Dieses wird zwar kaum sichtbar, ist für die Funktion des Gebäudes aber unabdingbar. Der rastlosen Welt der Bits und Bytes hält der Architekt mit seinem Werk bildhaft die Kontinuität der Stadt entgegen.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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