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Bescheidenes Mittelmass
Neue Zürcher Zeitung

Eine vertane städtebauliche Chance an der Badenerstrasse

Das Überbauungsprojekt an der Badenerstrasse gegenüber dem Bezirksgebäude war umstritten. Dieser Tage werden die letzten Wohnungen der Neubauten bezogen. Sie sind zwar grosszügig. Städtebaulich und architektonisch ist aber vieles nicht gelungen.

5. November 2005 - Martino Stierli
Seit kurzem hat das „Schmuklerski“ an der Badenerstrasse zu beiden Seiten mächtige Nachbarn. Die Bauten lassen das schmucke Lokal aussehen wie ein zwischen riesigen Brandmauern eingeklemmtes Hexenhäuschen. Im Geviert Ankerstrasse, Grün- und Wyssgasse errichtete Andreas Eberle, St. Galler Unternehmer mit eigenem Architekturbüro, eine Blockrandbebauung, die mit ihrer Bauhöhe und den wuchtigen Volumina den Massstab der bestehenden Siedlungsstruktur in mehrfacher Hinsicht sprengt. Auf den ersten Blick hat gegenüber dem Bezirksgebäude eine grosszügige Urbanität Einzug gehalten, die das historische Stadtmuster zeitgemäss aktualisiert. Im Detail besehen überwiegt die Skepsis gegenüber den Neubauten.

Widerstand von Beginn an

Von Beginn an hatte sich im Quartier Widerstand geregt, als im September 2001 Eberle sein Projekt für Wohnungen und Büros der Öffentlichkeit präsentierte. Ein eigens gegründeter „Verein Viereck“ setzte sich für eine bessere Einbettung der Architektur in den städtischen Kontext ein sowie für die Erhaltung von günstigem Wohn- und Gewerberaum, die eine soziale Durchmischung gewährleisten sollten. In der Tat wurde das Bauvorhaben einige Monate später von der städtischen Bausektion zurückgewiesen, die den Neubau als nicht konform mit der geltenden Quartiererhaltungszone einschätzte. Konkret bemängelt wurden die Bauhöhe sowie die fehlende Rücksichtnahme auf das Bezirksgebäude und das Kino Plaza, die beide im Inventar der schützenswerten Bauten verzeichnet sind.

Das überarbeitete Projekt mit Änderungen in der Volumetrie, im Grundriss und in der Fassadengestaltung wurde im August 2002 bewilligt und gegen den Widerstand des Anwohnervereins und des Stadtzürcher Heimatschutzes realisiert. Dem Neubau musste unter anderem auch das bis Anfang 2004 besetzte Haus „Egocity“ weichen. Im vergangenen Mai richteten Unbekannte im fast fertig erstellten Gebäude einen Sachschaden in der Höhe von rund einer halben Million Franken an.

Der Neubau besteht aus drei Baukörpern, die zusammen mit zwei Altbauten an der rückwärtigen Grüngasse einen Innenhof umschliessen. Aufgrund ihrer fünf Geschosse setzen sich die Bauten vom städtischen Umfeld ab. Von urbanem Charakter ist die grosszügige Raumhöhe von 4"Metern im Erdgeschoss, welches gewerblichen Nutzungen vorbehalten bleibt. Das Attikageschoss ist jeweils gegenüber der Fassade zurückversetzt, was die Baukörper etwas weniger dominant in Erscheinung treten lässt. Von den insgesamt 41 Wohnungen in den Obergeschossen sind 10 Mietwohnungen im Haus an der Badenerstrasse, das übrige sind Eigentumswohnungen an den ruhigeren Seitenstrassen; die meisten davon sind bereits bezogen.

Was die äussere Gestaltung betrifft, orientiert sich die Schauseite zur Badenerstrasse an den benachbarten Lochfassaden mit hochrechteckigen Fenstern. Sie werden von einem Betonrahmen eingefasst, was die sonst grau verputzte Fläche angenehm belebt. Solche gestalterische Finesse sucht man an den seitlichen Fassaden vergeblich: Mit einer Konsequenz, die man sonst allenfalls aus dem Kasernenbau kennt, reiht sich ein Breitfenster ans nächste, was einen äusserst banalen Gesamteindruck hinterlässt.

Grundlegende Schwierigkeiten

Im Innern wird man von flexiblen Grundrissen überrascht, die über einen ausnehmend grosszügigen Wohnbereich und nur einzelne abgetrennte Zimmer verfügen. Was die Mietwohnungen betrifft, dürften die offenen Grundrisse sowie der edle Parkettboden in geräucherter Eiche, aber auch die modernen Einbauküchen mit Marmorabdeckungen den Geschmack des urbanen Zielpublikums treffen. Allerdings vermag der schöne Schein der Oberflächen auch hier nicht über grundlegende Schwierigkeiten hinwegzutäuschen, gerade, was die Grundrisse betrifft: Bei den Mietwohnungen werden die abgesonderten Zimmer praktisch vom Kochherd aus erschlossen, so dass ein Aufenthalt ohne Lärm- und Geruchsbelästigung kaum vorstellbar ist. Anderswo sind die Duschräume direkt hinter der Wohnungstür und in grösstmöglicher Distanz zu den Schlafräumen situiert. Insbesondere die Mietwohnungen sind aufgrund ihrer Zuschnitte kaum für Familien oder Wohngemeinschaften geeignet. Eine soziale Durchmischung, wie sie für die Stadt wünschbar wäre, dürfte daher nur schwer zu erzielen sein.

Der Gesamteindruck eines architektonisch wenig durchdachten Projekts nimmt schliesslich auch beim Innenhof überhand. Die Ausblicke von den Balkons auf das belebte Quartier stimmen zwar versöhnlich. Indes wirken diese Balkone wie turmförmige Fremdkörper, die vor die Fassaden gestellt wurden. In der Gestaltung des Innenhofs wird zudem die Grundidee der Blockrandbebauung in Frage gestellt: Die asphaltierte Fläche ist derart unglücklich mit Steinmauern von Pflanzenkisten verstellt, dass eine sinnvolle Nutzung praktisch unmöglich wird. Man hätte sich an dieser städtebaulich sensiblen Stelle ambitioniertere Architektur gewünscht.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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