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Ein Stück Stadt auf dem Lande
Neue Zürcher Zeitung

Das neue Verwaltungszentrum in Affoltern am Albis

Affoltern am Albis hat in den letzten Jahren einen Bauboom erlebt, der kaum von einem Bekenntnis zu qualitativ hochstehender Architektur begleitet war. Nun setzt die Gemeinde mit dem neuen Verwaltungszentrum ein Zeichen. Der Neubau von Müller Sigrist Architekten verleiht dem wild gewachsenen Ort ein urbanes Selbstverständnis.

6. Januar 2006 - Martino Stierli
Trotz der regionalen Bedeutung von Affoltern am Albis als Hauptort des Knonauer Amtes waren die Behörden der Ortschaft bis vor kurzem auf eine Reihe von Häusern im halben Dorf verteilt. Mit dem Entscheid, ihre Ämter unter einem Dach zu vereinen, ging für die Gemeinde das mutige Bekenntnis zu einer Architektur einher, die der zunehmen-den Urbanisierung von Affoltern gerecht werden will. Einen zweistufigen Wettbewerb konnten Müller Sigrist Architekten in Zusammenarbeit mit B+p Baurealisation 2002 für sich entscheiden. Als die Stimmberechtigten 2003 den Kredit von 21 Millionen Franken bewilligten, stand der Realisierung des Neubaus nichts mehr im Wege. Er wird heute offiziell seiner Bestimmung übergeben; die Gemeindeverwaltung hat ihn schon vor Wochen bezogen.

Ort der Begegnung

Der Bau steht am Anfang einer städtebaulichen Offensive im Bereich der Oberen Bahnhofstrasse. Die Durchgangsstrasse soll in den kommenden Jahren aufgewertet und so zu einem Begegnungsort werden. Damit würde die regionale Bedeutung des Bezirkshauptortes auch städtebaulich unterstrichen - eine Bemühung, die sich um so mehr rechtfertigt, als die Einwohnerzahl Affolterns wegen der neuen Autobahn durch das Säuliamt auch in den kommenden Jahren zunehmen dürfte. Müller Sigrist Architekten haben einen Bau realisiert, der auf Urbanität setzt und dabei den ästhetischen Widerspruch zur „Hüsli“-Architektur in der Umgebung wagt.

In Bezug auf die Obere Bahnhofstrasse ist das neue Verwaltungszentrum zurückversetzt; es befindet sich auf der Rückseite des bestehenden Kasinobaus, dessen Sanierung Bestandteil des Architekturwettbewerbs war; die entsprechenden Arbeiten dauern noch bis Ende 2006. Die etwas versteckte Lage erscheint nicht unproblematisch, erweist sich jedoch als Glücksgriff, konnte so doch die geschlossene Strassenbebauung erhalten werden. Anstelle des abgebrochenen ehemaligen Mehrzwecksaals in der Verlängerung des Kasinos wurde ein weiter Platz angelegt, der als Marktplatz dient und zugleich eine Art öffentliches Forum für die Gemeinde bildet.

Der Neubau schliesst an den neuen Platz an und präsentiert sich als mehrfach abgetreppter Baukörper, dessen unterschiedliche Bauhöhen die Funktionen markieren. Prägnant tritt ein grossflächiges Dach hervor, das zwischen Platz und Gebäude eine Übergangszone bildet und eine geschützte und dennoch offene Fläche zwischen zwei Gebäudeflügeln überspannt. Dahinter schliesst das etwas höhere, geschlossene Volumen der neuen Mehrzweckhalle an; seitlich befindet sich der eigentliche Verwaltungstrakt mit Büroräumlichkeiten für fünfzig Angestellte, dessen drei Obergeschosse die übrigen Trakte überragen. Die durchgehend anderthalbfache Raumhöhe des Erdgeschosses steht für Öffentlichkeit und kommunale Repräsentation.

Spiel aus Licht und Schatten

Architektonisch ist die aufwendig hinterlüftete Glasfassade augenfällig, die mit Stützen aus braun eloxierten Aluminiumprofilen eine prägnante Vertikalgliederung aufweist. Spielt diese Formensprache auf die Ästhetik des Geschäftshausbaus der 1970er Jahre an, so relativieren die Architekten diesen Eindruck durch grün getönte Glasscheiben, die im Sinne von Fensterbrüstungen vor diese erste Fassadenschicht gehängt sind. In den fensterlosen Bereichen des Verwaltungstrakts sowie der Mehrzweckhalle bilden die getönten Glasscheiben gar eine durchgehende, die Gesamtwirkung des Baus bestimmende Haut. Der Lichteinfall auf die dahinter liegende Blechverkleidung aus Streckmetall führt zu einem Spiel aus Licht und Schatten und verleiht der Fassade Struktur und Tiefe. Somit erreichen die Architekten einen einheitlichen Gesamteindruck. Unterschiedlich getönte Glasscheiben sind in quadratischen Kassetten in das Vordach eingesetzt und lassen auf dem darunter liegenden Vorplatz facettenreiche Farbstimmungen zu.

Positives Gestaltungskonzept

Die neue, in Anlehnung an den abgebrochenen Bau „Kasinosaal“ benannte Mehrzweckhalle wird über ein karg anmutendes Foyer erschlossen, das wie die restlichen Erschliessungszonen in Sichtbeton gehalten ist. Die Längsseite nimmt ein Wandbild in beissendem Aprilia-Gelb des Zürcher Künstlers Reto Boller auf. Der anschliessende Saal bietet mit seiner orangeroten Verkleidung einen optischen Kontrast zur Aussenfassade. Er verfügt über ein Parkett für 500 Sitzplätze sowie eine Galerie mit weiteren 155, fest installierten Sesseln.

Als Gestaltungselement weist die Halle grosse runde, in die Decke eingelassene Leuchten auf, die heruntergefahren werden können, um bei intimeren Anlässen den passenden räumlichen Rahmen zu bieten. Im Unterschied zu diesem fast fensterlosen Saal bilden die Büros im Verwaltungstrakt gegen innen und aussen verglaste Raumzellen, die auf je-dem Stockwerk von einer möblierten Wartezone aus erschlossen werden. Was als Ausdruck einer transparenten Ver-waltung zu begrüssen ist, bietet den Beschäftigten wie den Kunden nur wenig Privatsphäre. Dennoch überwiegen die Pluspunkte eines Gestaltungskonzepts, das sich bis auf die Ebene der eigens entwickelten Schrifttype erstreckt.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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