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Bauen fürs Feuilleton
Spectrum

Muss (gute) Architektur nicht auch (gut) nutzbar sein? Warum die mediale Wahrnehmung und Bewertung eines Objekts und sein „Realwert“ für den Bauherrn mitunter so weit auseinander klaffen.

18. Februar 2006 - Karin Tschavgova
Die Reaktionen gleichen einander. Wer dem Bauherrn des außergewöhnlichen Hauses vorgestellt wird, das die Architekturseiten der Tageszeitungen genauso füllte wie die Fachmedien, der gratuliert diesem erst einmal und verneint im nächsten Moment die Frage, ob er das viel gerühmte Werk schon vor Ort besichtigt habe, wie selbstverständlich. Er kenne es jedoch aus Publikationen und finde das auch von öffentlicher Stelle ausgezeichnete Bauwerk toll - fallweise auch den Mut des Auftraggebers. Bauherren, die sich ihrer Rolle als Ermöglicher von Baukultur bewusst sind, noch dazu auf dem Land, wünsche man sich häufiger.

Der solcherart Geehrte lächelt gequält, weiß er doch am besten, wozu seine Offenheit gegenüber zeitgenössischer Architektur und sein Vertrauen in ein noch nicht arriviertes Architektenteam geführt hat.

Was ist passiert? Herr X. hat Pech gehabt. Er ist an Architekten geraten, die seinen Wunsch nach besonderer Qualität mit einer auf Bildwirkung konzipierten Architektur beantwortet haben - in der Hoffnung, damit aufzufallen und in der hall of fame der Architekturgeschichte Aufnahme zu finden. Das wäre legitim, hätte der Auftraggeber seinerseits bekommen, was er wollte: ein gleichermaßen außergewöhnliches wie funktionstüchtiges Haus. Dem Eigentümer gelingt es jedoch nicht, seine Wohnungen problemlos zu vermieten, weil deren Gebrauchswert aufgrund von überbetontem Formstreben und theoriegespickter Extravaganz auf ein Maß reduziert ist, das Interessenten abschreckt. Während Herr X. sich mit Absagen, zusätzlichen Kosten, Mängeln und der Sorge herumschlägt, dass sein Bau noch vor der Abzahlung der Kredite ein Sanierungsfall sein könnte, scheint das Kalkül der Architekten aufzugehen. Auf eine Personale bei einem renommierten überseeischen Architekturfestival folgen Ausstellungsbeteiligungen und Einladungen zu Vorträgen.

Die mediale Wahrnehmung und Bewertung des Objekts und sein „Realwert“ für Eigentümer und Nutzer klaffen weit auseinander. Die Enttäuschung des Bauherrn ist zwar ein individuelles Schicksal, ein Einzelfall ist es jedoch nicht, wie die Architekturgeschichte zeigt. Mies van der Rohes 1951 fertig gestelltes „Farnsworth-House“ in Illinois wurde als wohl radikalstes Glashaus, das je gebaut wurde, weltweit bewundert und ausgezeichnet und damit zur berühmtesten Ikone der Moderne. Seine Auftraggeberin, die Ärztin Edith Farnsworth, hat hingegen beklagt (und Mies geklagt), dass das Haus unbewohnbar, weil „durchsichtig wie ein Röntgenblick“ sei, zudem nicht ausreichend beheizbar und mit der ausschließlich von Mies bestimmten Möblierung nicht ausreichend funktionell. Noch heute beschränken sich die meisten Publikationen des Ferienhauses auf eine bestechende Bildästhetik, während die heiklen Punkte verschwiegen werden oder durch eine Bewertung umgangen, die zwischen Architektur und ihrem Gebrauch eine Trennlinie zieht. - Die Konzernzentrale der Hypo Alpe-Adria Bank in Klagenfurt von Thom Mayne ist ein zwischen Skulptur und bewegter Raumhülle oszillierendes Bauwerk, das die Expansionsdynamik des Unternehmens bestens zum Ausdruck bringt. Diese Qualität wurde von den Kritikern einhellig erkannt und zu Papier gebracht.

In kaum einem der zahllosen Fachbeiträge wurde jedoch erwähnt, dass durch die vom Architekten gewollte Schichtung der Außenwand in zwei Ebenen die nach Norden gerichteten Büroräume nur unzureichend belichtet sind. Was für das Komitee, das dem Architekten im vergangenen Jahr den bedeutendsten unter den Architekturpreisen, den Pritzker-Preis, verliehen hat, vermutlich eine Lappalie wäre, stellt für den Büroangestellten der Bank ein Berufsleben lang eine Beeinträchtigung seiner Arbeitsplatzqualität dar. Er wird seine Empfindungen in den Lobreden der Architekturkritiker genauso wenig wiederfinden wie der durchaus gegenüber Neuem offene, eingangs genannte Bauherr. Der hatte angesichts der Phalanx von positiv rezipierenden Fachleuten als Laie gar nicht den Mut, die Frage zu stellen, die sich ihm aus der eigenen Bauerfahrung heraus aufgedrängt hat: Muss (gute) Architektur nicht auch (gut) nutzbar sein?

Herr X. zählt nicht zu dem Typ von Bauherren wie jene japanischen, von denen berichtet wird, dass sie sich ein Haus von Architekten planen lassen, einzig, um auf die Titelseiten der angesehensten Hochglanzmagazine zu kommen. Bewohnbarkeit ist kein Thema. Es wird nur ein Anspruch an das Bauwerk gestellt: dass es extravagant, auffallend und gut abzulichten sei.

Der mediale Starkult hat auch vor der Architektur und vor den Architekten nicht Halt gemacht. Was Sir Norman Foster beim feinen Dinner bevorzugt, erfährt man am nächsten Tag in den „Seitenblicken“ britischer Privatkanäle. Bauten werden auf ihre Bildwirkung hin entworfen und schon lange, bevor sie realisiert sind, über virtuelle Schaubilder vermarktet. Die wiederum zeigen ein Ideal, das weder den Gesetzen der Schwerkraft oder der Wohnbauförderung noch pekuniären Beschränkungen folgt. Liegt erst das gebaute, mit allen Realzwängen belastete Ergebnis vor, dann kann passieren, dass sich für die wenig mehr als 20 Wohnungen im Spittelauer Wohnbau von Zaha Hadid, für die vor Planungsbeginn angeblich 800 Interessenten vorgemerkt waren, keine Käufer finden.

Im Zeitalter von Icons und Marken zählt das Bild mehr als das Ding dahinter. Deshalb müssen Bauwerke für den schnellen, kurzen Blick „etwas hergeben“, spektakulär und einzigartig sein. Nicht selten führen von Architekten geplante Häuser ein Doppelleben. Sie haben ein reales, funktionsgeprägtes Alltagsdasein mit Schwächen und Unzulänglichkeiten und werden von den Nutzern okkupiert und verändert, nicht immer im Sinne ihres Erfinders. In Publikationen werden sie als unbefleckt-frische Architekturikonen festgehalten, frei von Spuren des Gebrauchs und der Alterung, oft sogar ohne Möblierung. Störendes in ihrer Umgebung wird ebenso ausgeblendet wie Kompromisslösungen oder nicht gelungene Details.

Zu so selektiven Wirklichkeitsausschnitten passen keine kritischen Töne. Das mag ein Grund sein, warum in Fachzeitschriften wie in Tageszeitungen kritische Würdigungen und Analysen von Architektur Mangelware sind. Eine Begründung kommt immer wieder: Offenes Ansprechen von Fehlern und Fehlentwicklungen käme einer Nestbeschmutzung gleich, die die Bemühungen vieler mit Architektur befasster Institutionen um eine Qualitätssteigerung durch Beauftragung von Architektenleistung torpediere. Kann sein. Allenfalls lässt sich differenzieren zwischen der Architekturpublikation im Feuilleton und der in der Fachpresse. Hat Erstere die Aufgabe, für eine Verbreiterung von Wissen und Bewusstsein über zeitgenössische Baukultur zu sorgen, so sollte Letztere offen und differenziert berichten und fachlichen Diskurs fördern. Beschönigende Texte erweisen der Architektur ebenso einen Bärendienst wie oberflächlich in Szene gesetzte „Landmarks“ gebauter Architektur. Beide verstellen den Blick auf das, was die Qualität von Architektur über modische Kurzlebigkeit hinaus ausmacht: Raumwirkung, Materialität, Detailausbildung und - ihre uneingeschränkte, individuell bestimmte Bewohnbarkeit.

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