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Die Stadt aus der Retorte
Der Standard

Der spanische Stararchitekt Ricardo Bofill baut „Algeria“ für Präsident Bouteflika

27. Juli 2002 - Reiner Wandler
Für den Spanier Ricardo Bofill wird ein Traum wahr. Der 63-jährige Architekt aus Barcelona soll eine ganze Stadt planen und bauen. Auftraggeber ist kein Geringerer als der algerische Präsident Abdelaziz Bouteflika.

Ähnlich wie Brasilia von Lucio Costa und Oskar Niemeyer soll die neue Urbs aus dem Nichts entstehen. Auch beim Namen folgt Bouteflika ganz seinem brasilianischen Vorbild: Die City vom Reißbrett soll Algeria getauft werden.

Die moderne Stadt wird 200 Kilometer südlich der Hauptstadt Algier entstehen. Mitten in der Wüste, in der Nähe des kleinen Dorfes Boughzoul, soll sie 350.000 Menschen Wohnung und Arbeit bieten. Staatschef Bouteflika möchte mit dem Projekt eine neue wirtschaftliche Etappe einleiten; Banken- und Finanzgeschäfte sollen die bisher menschenleere Region entwickeln.

Bislang setzte Algerien auf die Schwerindustrie als Motor der Ökonomie. Dort, wo diese Zukunftsvision wahr werden soll, bekämpfen sich heute noch immer Armee und radikale Islamisten. „Das städtebauliche Modell von Algeria wird sehr große, vertikale Gebäude mit flachen Gebäuden kombinieren“, beschreibt Bofill seine grundlegende Idee. Der Architekt, dessen vor 39 Jahren gegründete „Werkstatt“ (taller) weltweit mit Bürogebäuden und Wohnkomplexen zu Ruhm und Ansehen gelangte, will sich die schnell wachsenden Metropolen in Südostasien und am Golf zum Vorbild nehmen.

Die Archiktenwerkstatt Bofill machte sich schon durch Studien und Pläne für Stadtteile wie La Place de l'Europe in Luxemburg, Nova Karlin in Prag, Port Praski, Warschau oder die zurzeit entstehende Verlängerung des größten Madrider Boulevards, der Castellana, einen Namen. Das wohl ausgereifteste Beispiel ist das Quartier Antigone in Montpellier. Hier verwirklichte Ricardo Bofill die von ihm gepriesene Mischung aus Wohnungen, öffentlichen Gebäuden und Plätzen. Seine Werkstatt zeichnet alleine in Frankreich für über 2000 Wohnkomplexe verantwortlich. Weitere 1500 entstanden in Spanien, 350 in den Niederlanden; sein bisher wichtigster öffentlicher Großauftrag ist der Flughafen von Barcelona.

Bofill beschäftigt sich schon lange mit der Stadt als komplexer Mischung aus Ordnung und Unordnung. Er ist davon überzeugt, dass die Metropolen nur dann lebenswert sind, wenn es gelingt, die heute übliche Trennung zwischen Wohnquartieren und kommerziellen Zonen aufzuheben. In diesem Sinne dienen ihm die mittelalterlichen Städte als Vorbild. In Algeria will er die von ihm geforderte Mischung von Gebäuden verschiedener Stilrichtungen und öffentlichen Bereichen wahr machen.

Bereits nach der Sommerpause wird er Pläne für die erste Bauphase vorlegen. In fünf Jahren sollen die ersten 10.000 Wohnungen 50.000 Menschen aufnehmen. In 20 Jahren soll Algeria fertig sein. 91.700 Wohnungen, dazu Bürogebäude, Hochschulen, Parks, Straßen und ein Flughafen werden sich über eine Fläche von 465 Quadratkilometer erstrecken.

Obwohl in Algerien jährlich ohnehin rund 150.000 Wohnungen gebaut werden, bleibt eines der Hauptprobleme des Landes bestehen: Seit der Unabhängigkeit 1962 hat sich die Bevölkerung fast vervierfacht. Das Bevölkerungswachstum liegt mit 3,4 Prozent weltweit mit an der Spitze. 90 Prozent der Wohnungen sind überbelegt. 40 Prozent nehmen Familien mit sieben bis zehn Personen auf. Und das bei einem Wohnungspark, der zu 60 Prozent drei Zimmer und weniger aufweist. Fünf Prozent der Wohnungen werden sogar von staatlichen Stellen gar als prekär eingestuft, 13 Prozent haben keinen Stromanschluss, jede vierte Familie ist nicht ans Wassernetz und jede dritte nicht ans Abwasser angeschlossen.

Neben öffentlichen Stellen sollen auch private Investoren das nötige Kapital für das Projekt bereitstellen. Die Rede ist von Rafik Khalifa, Ende 30 und der reichste Bürger des Landes. In den letzten Jahren hat er sich die langsame Öffnung des Marktes zunutze gemacht. Heute nennt er eine Bank und eine Fluggesellschaft sein Eigen. Beide hat er nach sich selbst benannt. Entsalzungsanlagen für die Wasserversorgung der großen algerischen Städte sollen folgen. Woher Khalifa das Geld hat, darüber schweigt er sich aus. Das gibt Anlass für Gerüchte: Die einen glauben, dass der junge Unternehmer Schwarzgeld hoher Staatsfunktionäre zurück ins Land bringt. Die anderen sehen ihn als Strohmann für reiche Scheichs aus der Golfregion.

Die Wahl von Staatschef Bouteflika fiel jedenfalls nicht von ungefähr auf Ricardo Bofill. Der katalanische Architekt hat seit den Siebzigerjahren gute Kontakte nach Algerien. 1978 baute er ein Studentenwohnheim mit 200 Zimmern in Rouiba, einer Kleinstadt vor den Toren Algiers. Und 1980 entwarf er ein landwirtschaftliches Dorf mit 350 Häusern sowie den erforderlichen Gemeinschaftseinrichtungen, das auf den Namen des historischen Präsidenten des unabhängigen Algeriens, Houari Boumedienne, getauft wurde.

Bei diesem Projekt stellte Bofill seine Fähigkeit, sich in fremde Kulturen einzufühlen, unter Beweis. Er hatte zuvor die traditionelle algerische Bauweise studiert: Unter anderem besuchte er die Stadt Ghardaia, die wegen ihrer Lehmkonstruktionen zum Weltkulturerbe ernannt wurde.

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