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Theoretische Durchleuchtung der Architektur
Neue Zürcher Zeitung

Zum 70. Geburtstag von Peter Eisenman

Als Theoretiker und Praktiker zählt der Architekt Peter Eisenman zu den einflussreichsten Vertretern seiner Disziplin. Von seinen ersten experimentellen Studien bis hin zu den neusten Projekten differenzierte er seine auf den Prinzipien der Modifikation, Manipulation und Transformation basierende Entwurfshaltung mit erstaunlicher Konsequenz.

10. August 2002 - Hubertus Adam
Im Jahr 2000, auf der letzten der für den architekturtheoretischen Diskurs des ausgehenden 20. Jahrhunderts zentralen «Any Conferences», zog Peter Eisenman ein bitteres Résumé. Der Versuch, mit anderen Disziplinen zu einem fruchtbaren interdisziplinären Austausch zu gelangen, sei gescheitert - und zwar auf Grund der Unfähigkeit der Architekten, die eigene Position zu reflektieren: «Es scheint, dass wir die kritische Fähigkeit verloren haben, die Themen, welche auf uns Architekten zukommen, zu diskutieren.» Pars pro toto war diese Kritik an zwei prominente Vertreter der eigenen Profession adressiert, an Greg Lynn und Rem Koolhaas. Bleibe Lynn die Antwort schuldig, welche Prinzipien und Entscheidungen sein computergeneriertes Entwurfsverfahren beeinflussten, so stelle sich bei Rem Koolhaas die Frage nach dem Verhältnis zwischen Research und architektonischer Form.


Architektonische Grundlagen

Kaum ein zeitgenössischer Architekt wäre berufener zu derartigen Überlegungen als der Amerikaner Peter Eisenman, dessen theoretisches und praktisches Œuvre seit Anbeginn einer «re-examination of the formal» gilt. Am 11. August 1932 in Newark (New Jersey) geboren, wurde er gemeinsam mit Richard Meier, John Hejduk, Charles Gwathmey und Michael Graves durch die Ausstellung «New York Five» im Museum of Modern Art in New York 1969 einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. In diese Zeit fallen eine Reihe (nur zum Teil realisierter) experimenteller Hausstudien, in denen Eisenman gleichsam wie in einem Labor die Grundlagen der Architektur untersuchte. Ziel dieser Projekte war es, zwischen Form und Bedeutung, Signifikant und Signifikat zu differenzieren, die architektonische Struktur also aus ihren üblichen, durch Funktion oder Ästhetik bestimmten Legitimationskontexten zu befreien. Dabei wurde das Diagramm zum wichtigsten Element einer Analyse der zunehmend komplexer werdenden Entwurfsarbeiten. Überlagerten sich - um konstruktive Eindeutigkeit zu überwinden - in «House 2» (1969) eine gleichwertig behandelte Wand- und Pfeilerstruktur, so stellte Eisenman mit «House VI» (1972-75) und seiner in den Himmel ragenden roten Treppe die Nutzung selbst in Frage; vom Boden abgelöst, kann «House VI» als ein wichtiger und nachhaltig wirksamer Schritt auf dem Weg von einem euklidischen zu einem topologischen Verständnis von Architektur gelten.

Während Richard Meier in einer formalen Repetition erstarrte und Michael Graves den Ausweg in einer populären Postmoderne suchte, setzte Peter Eisenman seine analytischen Untersuchungen fort, um zu immer komplexeren Synthesen zu gelangen. Nicht so sehr der erste grosse Baukomplex, der im Rahmen der Internationalen Bauausstellung (IBA) in Berlin realisierte Wohnbau an der Friedrichstrasse (1981-86), stellt den ersten Höhepunkt in seinem Werk dar, sondern das Wexner Center for the Visual Arts in Columbus, Ohio (1983-88). Anhand eines aus einem manipulierten Programm entwickelten Raumgitters gelang hier die Zusammenführung verschiedener «dekomponierter» Elemente zu einem neuen Ganzen; Heterogenes wird nicht homogenisiert, sondern als Fragment belassen und dennoch eingebunden. Obwohl am Wexner Center Nähen zur Postmoderne noch zu erkennen sind, avancierte Eisenman zum wohl reflektiertesten Vertreter der «dekonstruktivistischen Architektur», welche durch die gleichnamige Ausstellung des MoMA 1988 kodifiziert wurde. In Artikeln, Vorlesungen und Buchpublikationen setzt der Architekt seine eigene Entwurfshaltung immer wieder in Beziehung zur poststrukturalistischen Philosophie, besonders zu jener von Gilles Deleuze und Jacques Derrida; mit Derrida verband ihn zeitweise eine Freundschaft, die 1988 auch zur gemeinsamen Teilnahme am Wettbewerb für den Parc de La Villette in Paris führte.

Seit 1990 ist Peter Eisenman zunehmend international erfolgreich. Seine Tätigkeit in Japan begann 1990 mit einem Verwaltungsgebäude für eine Beleuchtungsfirma, bei dem er mit dem Japaner Kojiro Kitayama zusammenarbeitete. Statt nach einer gemeinsamen Entwurfshaltung zu suchen, inszenierten die Partner den Zusammenstoss zweier Konzepte: Eisenmans expressive Architekturplastik, ein mehrere Geschosse übergreifender Würfel, der sich in fünf kleinere Würfel differenziert, wird gefasst von dem opak-grauen Gebäude Kitayamas. Dabei bleibt das Miteinander eher ein Nebeneinander, die Integration eher Addition - wie es für japanische Städte überhaupt typisch ist. Eindrucksvoller noch ist der Bau für die Nunotani Company, der sich weit im Osten der Stadt befindet. Das Gebäude wirkt, als habe ein Erdbeben die Struktur zusammensacken lassen: Verschiedene Raster und Elemente überlagern sich, sind übereinander geschoben, aus den Fugen geraten scheint alles.


Berliner Mahnmal

In Amerika entstanden das Columbus Convention Center (1993), vor allem aber das um einen 300 Meter langen Erschliessungsraum organisierte Aronoff Center der University of Cincinnati. Hingegen blieben bedeutende Planungen - vor allem in Deutschland - auf dem Papier: so das Rebstockgelände in Frankfurt am Main, bei dem der Architekt sein Prinzip der Modulation und Modifikation, Transformation, Deformation und Manipulation auf den städtebaulichen Massstab übertrug, aber auch das Max-Reinhardt-Haus (1992), ein vom Prinzip des Möbiusbandes inspiriertes tordiertes Hochhaus, das im konservativ geprägten Bauklima Berlins chancenlos blieb. Mit dem Mahnmal für die ermordeten Juden Europas entsteht südlich des Brandenburger Tors nun das wohl meistdiskutierte Werk des amerikanischen Architekten; das grösste Projekt, die «Ciudad de la Cultura de Galicia», ist nach einem Wettbewerbssieg des Jahres 2000 in Santiago de Compostela in Planung.

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