Artikel

Wie die Vernetzung die Stadt verändert
Der Standard

Beginn der Alpbacher Architekturgespräche

17. August 2002 - Gerfried Sperl
Alpbach - „Der Bericht über meinen Tod ist eine Übertreibung.“ Dieser Satz von Marc Twain könnte auch von Thomas Bernhard stammen und auf zweierlei passen: Auf das vom Tourismus fast erdrückte Tiroler Dorf und auf die von Angst und Erfolgszwang gleichermaßen geprägte moderne Großstadt. Zum Auftakt der Alpbacher Architekturgespräche zitierte der britische Stadtplaner Peter Hall den Dichter, um aus der Übertreibung eine Wiedergeburt abzuleiten, die sein Kollege und Landsmann William J. Mitchell in die „elektronische Stadt“ münden sah.

Hall, wie mehrere Vortragende Professor der Londoner Bartlett School of Architecture, sieht in der heutigen Großstadt vor allem vier Funktionen und Phänomene versammelt: 1.) Finanz- und Geschäft, 2.) Macht und Einfluss, 3.) Kultur- und Kreativindustrien sowie 4.) Städtetourismus. Das Verschwinden der alten Industrien schaffe völlig neue Verkehrs- und Kommunikationsstrukturen. Diese „neuen Hierarchien“ entwickelte Hall vor allem nach wirtschaftlichen und verkehrstechnischen Aspekten.

Was den Wiener Verkehrsstadtrat Rudolf Schicker zum Einwand provozierte, dass auch die Bewältigung sozialer Probleme und die Lebensqualität generell Teil der Bewertung sein müssten.

Mitchell, der auch am MIT in Boston lehrt, sah die „elektronische Stadt“ vor allem unter dem Einfluss geänderter Beziehungen. Die digitalen Netzwerke lösten die alte Kommunikation durch Trans- portsysteme ab. Wodurch sich auch die städtische Architektur verändere. Die drahtlose Kommunikation schließlich bilde die persönlichen Beziehungen völlig um. Stichworte: PC, Handy, SMS. Mitchell: „Die Unterscheidung zwischen dem physikalischen Raum und dem Cyberspace schwindet.“


„Gefühlte Bedrohung“

Da passte es gut, dass Hartmut Häusermann, Soziologe an der Humboldt-Universität in Berlin, soziale und psychologische Vermutungen über „Stadtentwicklung und Globalisierung“ anstellte. Das Wachstum ungewollter Jobs, bloß befristete Beschäftigung und vielfache Dauerarbeitslosigkeit führten zu „innerer Unsicherheit“ in den Städten. Die Sehnsucht nach einer „behüteten Gesellschaft“ steigere das Ausmaß der „gefühlten Bedrohung“, was zur Ablehnung alles Fremden führe.

Wenn Urbanität jedoch „ge-lassener Umgang mit Fremden“ sei, dann stehe eine ganze Stadtkultur auf dem Spiel. Weil nach jüngsten Untersuchungen gerade jene „vernetzten Städte“ auch wirtschaftlich erfolgreich seien, in denen überproportional viele „Fremde, Schwule und kulturell Aktive“ agieren, sei Sorge um die Zukunft von Städten am Platz, in denen gerade diese Gruppen sich nicht entfalten könnten. Wie hatte Bernd-Olaf Küppers von der Universität Jena am Donnerstag in seinem Alpbacher Eröffnungsreferat formuliert? Wir seien allesamt stark durch Vorwissen, Vorurteile und Wünsche geprägt. Was wir lernen müssten, sei eine „Vernetzung des Verstehens“ - als ein zentrales Element der Kommunikation.

teilen auf

Für den Beitrag verantwortlich: Der Standard

Ansprechpartner:in für diese Seite: nextroomoffice[at]nextroom.at

Tools: