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Der Ziegel des 21. Jahrhunderts
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Heidulf Gerngross ist mit ungewöhnlichen Problemlösungen und Architektur-Experimenten bekannt geworden. Er hat sogar den weltweit ersten „Computerroman“ geschaffen.

29. August 2002
In den 90er Jahren hat Heidulf Gerngross den „Schnellhaus-Prototyp“ entwickelt: Neben der Wiener Secession hatte damals im Rahmen einer Ausstellung rasche billige Baukonzepte für die Flüchtlinge aus den Kriegsgebieten des ehemaligen Jugoslawien, ein Schnellhaus aus zehn Container-Modulen montiert.

„Ich habe den Satz geprägt: Der Container ist der Ziegel des 21. Jahrhunderts“, betont Gerngross. "Dieses „Modul“, das gleichzeitig Trag- und Infrastruktur ist, ist eben der Container. Ich habe gesagt: Mit einem Plan hilft man keinem Flüchtling, wir bauen ein Haus. Und wir haben in fünf Tagen ein Containerhaus mit über 220 Quadratmetern hingestellt."


Wiens Container-Pionier

Das Ergebnis: über 220 Quadratmeter für ein Drittel der herkömmlichen Baukosten. Dieser Prototyp, der Heidulf Gerngross den Titel „Wiens Container-Pionier“ eingetragen hatte, wurde auch als Jugendtreff der Stadt in Floridsdorf realisiert, als temporäres Cafe einer Ausstellung in Schloss Pöllau oder auch als Firmengebäude in Groß-Enzersdorf.

Die Idee eines bezugsfertigen aber rohen, das heißt räumlich für den individuellen Ausbau offenen Angebots mündete schließlich in das Patent „Wiener Loft“.

„Wiener Loft ist glaub' ich der ökonomischste und preisgünstigste soziale Wiener Wohnbau gewesen“, betont Gerngross.


Mustersiedlung

An der Peripherie von Wien entstand zwischen 1994 und 1997 die Mustersiedlung Wiener Loft, wo die Idee einer teilfertigen aber bezugsfertigen Loft-Wohnung realisiert wurde. 17 Lofts sind um einen Innenhof gruppiert, in Ziegelbauweise und in weiß und kräftiger gelber Farbe errichtet.

Eine seriell hergestellte sogenannte Technik-Zentrale mit Heizung, Kamin, Küche und Sanitäreinrichtungen und eine Galerietreppe bilden den fixen Kern des Lofts, eine zweite Ebene kann im Selbstausbau später erfolgen.


„Seismographische Aufzeichnungen“

Bereits in den 80er Jahren standen Projekte, die Heidulf Gerngross in seiner mehrjährigen Zusammenarbeit mit Helmut Richtern entwickelte, für die Aufbruchstimmung der neuen Wiener Architektur: Das Restaurant Kiang im ersten Wiener Gemeindebezirk, ein Geschosswohnbau auf den Gräf & Stift-Gründen in Wien-Döbling oder das Einfamilienhaus Königseder in Oberösterreich.

Die Intentionen des Heidulf Gerngross gehen deutlich über die Architektur hinaus. „Seismographische Aufzeichnungen“ nannte er eine Serie grafischer Blätter, die über Jahre hindurch entstanden sind und mit denen er die Welt mit Strichen zu erforschen und erklären suchte.


Erster Computerroman

1978 erschien nach zehn Jahre langer Arbeit der weltweit erste Computerroman auf über 1200 Seiten. Nach einem rhythmischen System setzte er eigene und fremde literarische Texte, die er per Zufallsgenerator auswählte, zusammen. Teile des Bandes sind in einem von ihm entwickelten Raumalphabet verfasst, dessen Buchstaben durch Drehung eines einzigen Zeichens, einem Winkel, gebildet werden.


Archiquant

Ein Architektur-Teilchen, Heidulf Gerngross, ist es auch, das ihn derzeit beschäftigt: Ein Archiquant.

„Der Archiquant ist eine Platte, die genau proportioniert im Goldenen Schnitt geschnitten ist, 70cm breit und 43 Zentimeter tief und hat einen Radius von 70 Zentimeter“, erläutert Gerngross. „Es ist so wie ein kleines Tischerl, wie ein Bauchladen, den man vor sich hat, das aber genau auf den Menschen angepasst ist. Es ist ein absolut menschliches Maß, ein Teilchen in der Architektur, das für die Architektur und für deren Proportionierung eine Rolle spielt.“

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