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Zwischen Altägypten und Tennessee
ORF.at

Im Wiener Looshaus und in der Kunsthalle Krems sind Entwürfe und Objekte der Designer-Kultgruppe der 80er Jahre zu sehen.

12. September 2002
Ein kalter Dezember 1980 in Mailand. Bob Dylan besingt den „Memphis Blues“ und serviert einer Gruppe von Designern auf den Plattenteller den Namen für ihre Idee. Nur wenige Monate später veranstalten sie ihre erste Ausstellung. Nicht im Entfernsten haben sie daran gedacht, einen Erfolg zu landen, aber bei der Eröffnungsausstellung war die Zufahrtsstraße verstopft, weil sich so viele Interessierte vor dem Galerienraum gedrängt haben. Dem gutem Geschmack des Designs wird der Kampf angesagt. Aus dem Dogma „Design follows function“ wird der Slogan „Design swallows function“. Und aus „less is more“ wird „less is a bore“.


Doppelt gemoppelt

Zwei Ausstellungen lassen derzeit eine der wichtigsten Designergruppen der vergangenen Jahrzehnte wieder aufleben: Memphis, ein vom Italiener Ettore Sottsass Anfang der 80er Jahre initiierter Zusammenschluss junger Designer, steht seit Sonntag im Mittelpunkt einer Schau in der Kunsthalle Krems und wird seit Dienstag auch im Rahmen einer von Kuratorin Lilli Hollein zusammengetragenen Ausstellung in der Wiener „Designzone Looshaus“ gewürdigt.


Klingende Namen

Hans Hollein, Arata Isozaki, Alessandro Mendini oder Matteo Thun - viele der damaligen Gruppen-Mitglieder haben heute einen klingenden Namen. Als Gruppe, die mit Traditionen brechen und dem Funktionalismus etwas entgegen setzen wollte, präsentierte sich Memphis-Design erstmals im Herbst 1981. Eine wahre Explosion der Farben und Formen, der Materialkombinationen und der Anleihen bei Kunstgeschichte und Ethnologie war die Folge. Auch wenn die Gruppe nur bis 1988 zusammenblieb, war ihr Einfluss auf den Designnachwuchs wie auf den einfachen Möbelkäufer doch beträchtlich.


Einst und jetzt

Im Wiener Looshaus sind rund 60 Objekte, Poster und Originalzeichnungen zu sehen - ein grell-bunter Überblick, in dem die Sottsass-Klassiker „Carlton“ und „Casablanca“ ebenso zu sehen sind wie der Toilettetisch „Plaza“ des amerikanischen Architekten Michael Graves oder der Barschrank „Cipriani“ von Alessandro Mendini. Als Ergänzung dazu zeigt die Kunsthalle Krems, wohin sich die einstigen Memphis-Mitglieder in den vergangenen 20 Jahren entwickelt haben.

Im Treffpunkt Kultur sprach Barbara Rett mit Ettore Sottsass.

Frage: Ettore Sottsass, haben Sie damals eine Revolution geplant? Oder wollten Sie miteinander nur Spaß haben?

Sottsass: Es war eine Notwendigkeit. Wir mussten etwas Neues machen. Es war kein reiner Spaß. Etwas Neues zu machen bedeutet auch ein Risiko. Wir mussten Antworten geben auf Herausforderungen des Designs - des Industriedesigns und Gebrauchsdesigns.

Frage: Die einen haben Ihre Objekte geliebt, die anderen haben sie gehasst. Haben Sie gewusst, dass Sie so polarisieren werden?

Sottsass: Ja, aber wir wussten freilich nicht, dass wir so heftige Reaktionen ernten würden.

Frage: Den Konflikt, den Sie da ausgelöst haben, ist der Konflikt zwischen Bescheidenheit, zwischen Fülle und Minimalismus. Das ist ja ein Konflikt, der sich durch die europäische Kunstgeschichte durchzieht. Ich denke da an Barock und Biedermeier. Haben Sie ganz bewusst aus diesem Fundus der Kunstgeschichte geschöpft?

Sottsass: Ja. Schon als ich zur Schule ging hatte ich großes Interesse für das Bauhaus, für den nordischen Rationalismus. Gleichzeitig fühlte ich jedoch, dass diese Art zu denken nicht ausreichend war für mich. Ich wollte mir die Welt vorstellen als etwas Wahrnehmbares; Gerüche oder Farben kommen im Rationalismus zu kurz. Da ich Italiener bin, ein Mann des Südens, wollte ich auch sündigen. Im Laufe meines Lebens in der Politik, im Krieg habe ich gesehen, dass es nicht ganz falsch ist, das Leben als Komödie zu sehen.

Frage: Sie sind 1917 in Innsbruck geboren. Ihr Vater war Architekt. Ihre Mutter stammt aus einer Innsbrucker Familie. Sie sind, so glaube ich, ein Cousin des Malers Max Peitner. Ihr erstes deutsches Wort, das sie vorm Weihnachtsbaum sagen konnten, war „schön“. Was empfinden Sie heute noch als schön?

Sottsass: Woher wissen Sie das mit dem Wort „schön“?

Frage: Ich habe mit Ihrer Mutter gesprochen!

Sottsass: Meine Vorstellung von „schön“ bezieht sich auf Bewegung, auf eine Beziehung des Gleichgewichts, auf eine Balance. Die Fragen nach dem Sinn des Leben, nach Leben und Tod. Wenn man mit diesen Fragen glaubt, leben zu können, so wäre das ein Augenblick der ästhetischen Ekstase. Als ich einmal als kleines Kind im Wald bei Innsbruck plötzlich ein Licht sah, wünschte ich mir ein Schmetterling zu sein. Das machte mich glücklich. Ich fühlte mich als Teil des Universums. Ich bezeichne das als ästhetische Ekstase und ich glaube, dass man dies in einigen seltenen Augenblicken erleben kann.

Frage: Sie haben sich aus der Designbewegung etwas zurückgezogen. Sie sind vornehmlich in der Architektur tätig. Sie sind auch auf der Architektur-Biennale in Venedig vertreten. Wenn Sie einem jungem Architekten einen Ratschlag geben könnten, was wäre das?

Sottsass: Nun, ich gebe normalerweise keine Ratschläge. Die Jungen müssen ihren Weg alleine finden. Ich kann aber sagen, was Architektur sein könnte: Das Schaffen eines Ortes, der schützt. Der den Menschen schützt gegen Kälte, Hitze und Regen, aber der auch schützt im Rahmen der psychischen Dynamik des Lebens, oder der Komödie des Lebens. Wir machen eine Mauer. Wenn draußen ein schöner Park ist machen wir ein großes Fenster, wenn nicht, dann ein kleines. Einen Ort schaffen, wo man Liebe machen kann. Die Architektur kann also von der Dynamik des Lebens begleitet werden.

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