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14. September 2002 Neue Zürcher Zeitung

Bauen in den Tropen

Der brasilianische Architekt Paulo Mendes da Rocha

Bis heute steht die brasilianische Architektur im Schatten des Altmeisters Oscar Niemeyer. Doch nun wurde ein «neuer» Star gekürt; und der heisst gemäss einer Umfrage, welche die Zeitschrift «Projeto» unter fünf namhaften Kritikern durchführte, Paulo Mendes da Rocha. Diese zählen mehrere seiner neuen Bauten, die sich alle in São Paulo befinden, zu den bedeutendsten Realisationen im Brasilien der neunziger Jahre. Das 1992 vollendete Brasilianische Skulpturenmuseum steht dabei zuoberst auf der Liste, gefolgt vom Möbeldesign-Geschäft «Forma» (1987-92) sowie dem 1998 fertig gestellten Kulturzentrum FIESP. Dieses halb unterirdisch angelegte Gebäude mit Theater, Kunstgalerie, Bibliothek, Buchhandlung und Café verblüfft durch den imposanten, 60 Meter weiten Betonportikus, unter dem sich öffentliche Flächen sowie Aussen- und Innenräume durchdringen.

Vor zwei Jahren trat der 1928 in São Paulo geborene Architekt auch ausserhalb seiner Heimat ins Rampenlicht, als ihm in Barcelona der Mies- van-der-Rohe-Preis für lateinamerikanische Architektur verliehen wurde. Im Zeichen dieser Neubewertung des Werkes von Mendes da Rocha, das schon einmal in den sechziger und siebziger Jahren international diskutiert wurde, ist nun auf Deutsch und Englisch eine Monographie erschienen. Sie zeigt, dass die Kreativität des Brasilianers seit nunmehr 45 Jahren immer wieder zu herausragenden architektonischen Lösungen geführt hat. Die Aufgabe, Mendes da Rochas Lebenswerk gründlich zu durchleuchten, übernahm die Zürcher Architektin Annette Spiro. Während sie das Gesamtschaffen würdigt, kommentiert Mendes da Rocha selbst in knappen Worten die ausgewählten Bauten und Projekte. Abgerundet wird die ansprechende Publikation durch Luigi Snozzis Beitrag «Es lebe der Widerstand». Mit Snozzi verwandt ist Mendes da Rocha in seiner kritischen Entwurfshaltung, in seiner Freude am Experimentieren, in seiner Gelassenheit und in seiner Hoffnung, gute Architektur führe zu einer besseren Gesellschaft.

Im architektonischen Entwurf setzt Mendes da Rocha, wie Spiro erläutert, auf das Raumkontinuum und auf «den freien Schnitt», der oft im spannungsvollen Bezug zum Grundriss steht. Ungewohnte, mitunter sogar von unten kommende Lichtquellen tragen dazu bei, dass jener flimmernde tropische Raum entsteht, in dem «die Gefühle architektonisch geordnet» erscheinen. Denn ohne dem Rationalismus eine Absage zu erteilen, möchte Mendes da Rocha seine Architektur als ein Refugium jenseits der Mauern wahrgenommen wissen.


[ Annette Spiro: Paulo Mendes da Rocha. Bauten und Projekte. Niggli-Verlag, Sulgen 2002. 272 S., Fr. 98.-. ]

19. März 2002 Neue Zürcher Zeitung

Venezolanische Moderne

Die «Ciudad Universitaria de Caracas», das Universitätsviertel der venezolanischen Hauptstadt, gilt als Hauptwerk des Architekten Carlos Raúl Villanueva (1900-1975). Der zur gleichen Architektengeneration wie Oscar Niemeyer und Luis Barragán gehörende Villanueva revolutionierte die Architektur seines Landes, indem er die rationalistische Formensprache um Einflüsse aus der lokalen Bauweise bereicherte. Seine Bauten, die noch heute das Erscheinungsbild von Caracas prägen, wurden zum Symbol der Moderne in Venezuela. Nun bringt eine Ausstellung in der Salle Miró des Unesco-Sitzes in Paris dem französischen Publikum das Schaffen Villanuevas näher. Gezeigt werden vor allem die 40 Gebäude des Universitätsquartiers von Caracas, das im Jahr 2000 von der Unesco zum Weltkulturerbe ernannt wurde.


[Bis 25. März, danach in Graz und Berlin. Katalog: La Ciudad Universitaria de Caracas (englisch, französisch, spanisch). Hrsg. Faculdad de Arquitectura de Caracas. Caracas 2002. 96 S., Euro 15.-.]