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Ein Material als Lehrmeister
Spectrum

Gleich neun prämierte Objekte beim „Holzbaupreis Niederösterreich 02“ dokumentieren zweierlei: die gestalterische Vielfalt, die das Material ermöglicht; und die Breite, welche hochqualitative Holz-Architektur inzwischen gewonnen hat.

28. September 2002 - Walter Zschokke
Ein günstiger Preis und die leichte Bearbeitbarkeit haben Vorteile - man spart beim Bauen mit Holz und Holzwerkstoffen an Aufwand -, aber auch Nachteile: Jeder Dilettant kann mit Nägeln, Schrauben oder Leim etwas zusammen-basteln, das weder konstruktiv noch gestalterisch etwas taugt, denn das Material vermag sich gegen fehlerhafte Verwendung nicht zu wehren. In der Folge nimmt es Schaden und mit ihm das Gebäude. Ein qualitativ hochstehendes Holzbauwerk erfordert auch heute Detailkenntnisse, Erfahrung sowie Offenheit gegenüber neuen Entwicklungen und ist eine hochprofessionelle Angelegenheit für Entwerfer und Handwerker. Wer daher in das vielfältige Wesen von Holz eindringt und den Verästelungen nachspürt, die sich von technischen Aspekten bis zu kulturgeschichtlichen Bedeutungsfeldern auffächern, dem öffnet sich eine Wunderwelt von Möglichkeiten. Holz ist deshalb ein vorzügliches Baumaterial für ausgezeichnete Bauwerke. Zugleich fordert es Angemessenheit ein, ohne die es bald lächerlich wirken würde.

Seine selektiven Komponenten machen Holz zu einem kompetitiven Material par excellence, und die Landesholzbaupreise wurden zu hart umkämpften Wettbewerben. Das war beim kürzlich durch Umweltlandesrat Wolfgang Sobotka verliehenen „Holzbaupreis Niederösterreich 02“ nicht anders. 78 Einreichungen stellten sich einer Fachjury. Nach mehreren Durchgängen spießte es sich in der Endrunde. Von den neun verbliebenen Bauwerken wies jedes sowohl holzspezifisch als auch architektonisch klare Qualitäten auf, und doch stach keines heraus, sodaß jeder weitere Ausschluß ungerecht geworden wäre. Als salomonische Konsequenz erhielten alle neune einen Preis.

Die breite Spitze zeigt erstens, daß das Bauen mit Holz auch im Nordosten Österreichs verstärkt Einzug gehalten hat; zweitens, daß sich architektonische Qualität in erfreulicher Weise in die niederösterreichischen Regionen ausbreitet; und drittens, daß das Material Holz eine große Vielfalt an Erscheinungsformen bereithält, was der breitgefächerten
Situation aktueller architekto-nischer Strömungen entgegenkommt.

In der Kategorie der privaten Wohnbauten sind es fünf Preise. Da ist eine kleine Siedlung in Perchtoldsdorf, entworfen von Architekt Bernhard Holletschek. Vier Einfamilienhäuser, deren Haustyp in Lage und Form variiert wurde, integrieren sich in die bestehende Siedlungsstruktur in äußerst positiver Weise. Flexible Grundrisse in den Obergeschoßen, relativ spät durch die künftigen Bewohner festgelegt, nützen die Vorteile des Leicht- und Trockenbaus, und die warme Farb-gebung der Fassadenschalung erzeugt eine angenehm wohnliche Atmosphäre. Aber nicht nur im Umgang mit Holz, auch beim sparsamen Baulandverbrauch ist die Anlage vorbildlich.

In Nitzing bei Tulln plazierte Architekt Franz Schartner ein Einfamilienhaus mit Graphikatelier geschickt am Dorfanger, sodaß von den beiden Volumen ein Eingangshof und ein Gartenhof gebildet werden, die neben dem prächtigen Garten das kleine Anwesen aufwerten. Klare Grundrisse und eine geschickte Lichtführung über dem Gang zeichnen das Bauwerk aus, mit dem bewiesen wird, daß in alten Dorfkernen zeitgenössisch gebaut werden kann, ohne die Siedlungsstruktur aufzubrechen.

In frecher Kombination mit Holz, Glas und Stahl planten die Architekten Aichholzer und Klein ein Einfamilienhaus in Waidhofen an der Ybbs. Selbst unsichtbar ist Holz für die Deckenkonstruktion aus Hohlkastenelementen dabei.

Auf ein altes Sockelgeschoß aus Bruchsteinmauerwerk in Spitz an der Donau setzte Architekt Martin Ertl die hölzerne Hülle für ein Einfamilienhaus. Fünf schlanke Stahlrahmen bilden das Skelett, die Galerie und die Begrenzungen der Innenräume sind aus Holz gefertigt, wobei der hohe Anteil an Eigenleistung des Bauherrn auf architektonisch hohem Niveau erfolgte.

In Gablitz wiederum fügte Architekt Konrad Spindler an ein traditionelles Holzhaus einen zeitgenössischen Holzbau aus locker gefügten Scheiben. Der im Charakter präzisierte Bestand und der räumlich attraktive Neubau dialogisieren dank einer Balance der Volumen über die zeitliche Spanne des wechsel-haften 20. Jahrhunderts hinweg.

Unter den vier öffentlichen und gewerblichen Bauten bildet der Bauhof mit Feuerwehr in Tattendorf ein Beispiel für ei-nen einfachen und ansprechenden Zweckbau. Architekt Georg Reinberg hat mit lehmverputzten Mauern und einer südwestorientierten Kollektorwand ökologische und energetische Forderungen in selbstverständlicher Weise integriert, ohne sie architektonisch zu wichtig werden zu lassen.

Als Veranstaltungszentrum dient der große Saalbau hinter dem von der Gemeinde Weitersfeld reaktivierten Gasthof. Die schwungvolle Dachrundung ent- warf „Kislinger Architekten“ aus Horn. Das schlichte Dunkelgrau der Fassade aus Faser-zementtafeln beschirmt eine Leimholzkonstruktion, einen in warmem Holzton ausgekleideten Großraum sowie das dazu passende Foyer. Das unmittelbare siedlungsbauliche Umfeld wird aufgewertet zu öffentlichen Räumen: Zwei Stege überbrücken den nahen Bachgraben und verbinden zum Dorfteil auf der anderen Seite.

Architekt Manfred Rapf hatte eine ungewohnte und brillante Idee für eine Aussichtswarte bei Schrems, die durch den Zimmermeister Otto Strohmeier konkretisiert wurde. Zwei lange Reihen entrindeter Fichtenstämme ragen aus der Lichtung auf der Hügelkuppe und tragen einen ebenso langen Steg. Dazwischen zieht sich diagonal eine Kaskadentreppe hinauf, deren Unterbau die Gesamtkonstruktion in Längsrichtung aussteift. Himmelsleiter genannt, ermöglicht sie nicht bloß Aussicht über zahllose Wipfel, sondern in der Höhe auch einen kleinen Auslauf.

Von mutiger unternehmerischer Initiative zeugt das erneuerte Firmengebäude des Möbelgeschäfts und Innenausbau-betriebs Johann Will in Zwettl, entworfen vom Sohn des Inhabers, Architekt Johannes Will. Aus der schrägen Glasfassade des Empfangs-, Ausstellungs- und Bürogebäudes stößt forsch der mit wetterfestem Sperrholz verkleidete Eingang. Überzeugende Details der Holzkonstruktion und spannungsvoll-dynamische Innenräume holen internationales Flair ins Waldviertel.

Es fällt auf, daß die Bauwerke über ganz Niederösterreich verteilt sind und daß oft wenig bekannte Architektennamen dahinterstehen, was ein positives Zeichen allgemeiner Qualitätssteigerung ist. Nahezu allen Preisträger-Bauwerken ist gemeinsam, daß in zeitgemäßer Weise auf den siedlungsbau-lichen Kontext eingegangen wurde: nämlich mit der Größenordnung und der Plazierung der Bauvolumen, mithin der Organisation der Baustruktur. Damit wird das Feld frei für ein Gestalten mit Holz, das den heutigen technischen Möglichkeiten entspricht, die sich durch hoch-exakte computergesteuerte Verarbeitung und weitgehende Vorfertigung auszeichnen. Das handwerkliche Erfahrungspoten- tial kommt dabei nicht zu kurz, denn weiterhin gilt es mitzudenken, was Holz kann, welche Eigenheiten zu berücksichtigen sind und wie die Wirkung des Materials im Zuge des Alterungsprozesses sein wird.

Damit erschließt das Bauen mit Holz eine anspruchsvolle Disziplin mit durchaus hochkulturellen Aspekten. Wer sich das Material Holz zum Lehrmeister wählt, seine Vielfalt erforscht und zu immer wieder neuen Anwendungsmöglichkeiten findet, hat ein interessantes Berufsleben vor sich. Denn das anspruchsvolle Material fordert heraus, und wer mit offenen Sinnen damit arbeitet, wird mit Erfahrungen belohnt, die man anderswo kaum noch sammeln kann. Es erstaunt daher nicht, daß Handwerker wie Zimmerer und Tischler am und mit dem Holz auch menschlich reifen.

Und der Architekt, der sich auf Holz einläßt, wird daran lernen können, was Angemessenheit bedeutet. Eine siedlungsbauliche, architektonische, konstruktive, ökonomische und ökologische Angemessenheit, die im weitesten Sinne eben kulturell ist. Eine Angemessenheit aber auch, die sich nicht auf Oberflächlichkeiten beschränkt, sondern in der Tiefe der Strukturen gründet.

Angenehm beim Holz ist aber auch, daß es kaum arrogant wirkt. Zwar kann es dümmlich und falsch verwendet werden, aber da es zu Einsichten zwingt, was die Grenzen seiner spezifischen Möglichkeiten betrifft, steht es zu anderen Baumaterialien nicht im Gegensatz. Überheblichkeit zählt sicher nicht zu seinen Konnotationen.

Seine viele Jahrtausende alte Geschichte im Dienst der Menschen und seine Anpassungsfähigkeit haben unzählige Kombinationsformen in technischer und gestalterischer Hinsicht aufgezeigt, in denen Holz nicht herrisch, sondern immer leistungsbereit und oft geduldig dienend auftritt.

Trotzdem: Fehler verzeiht das Holz weder Entwerfenden noch Handwerkern - was das Material trotz seiner einfachen Handhabung so selektiv macht. Wer nicht vorauszudenken vermag, wird scheitern. Das ist in unserer schnellebigen Zeit eigentlich ein toller Aspekt. Wo medial geförderte Simplifizierung und Verblödung um sich greifen und das Individuum bedrängen, bietet das Material Holz Vertiefung und Differenzierung, für die ein Menschenleben nicht ausreicht. Diese Aussicht auf das Unendliche macht ein Berufsleben mit Holz zwar anstrengend, aber wertvoll. Darum erzählt ein qualitätvolles Bauwerk nicht geschwätzig von seiner Herstellung, auch nicht von Jux und Spaß beim Entwerfen - den man durchaus haben soll -, sondern es wirkt nachhaltig mit der sinnlichen Qualität von Material, Raum, Konstruktion und Form.

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