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Architektur für Ground Zero
Neue Zürcher Zeitung

Ein Gespräch mit Ross Wimer von SOM

Soeben hat die Lower Manhattan Development Corporation (LMDC), die die Planung auf Ground Zero vorantreibt, fünf Entwürfe aus einem Mitte August durchgeführten internationalen Wettbewerb ausgewählt. Diese sollen zusammen mit dem Projekt, das Skidmore, Owings & Merill (SOM) im Direktauftrag für den Investor Larry Silverstein ausführte, weiterbearbeitet werden. Mit Ross B. Wimer, Mitinhaber des rund 1000 Mitarbeiter beschäftigenden Architekturbüros SOM, sprach Rahel Hartmann.

4. Oktober 2002
Mr. Wimer, welche Beziehung haben Sie heute zum Ort, auf dem die Twin Towers standen?

Auf eine seltsame Weise ist es unmöglich, sich diesem Ort zu entziehen. Die Katastrophe ist nach wie vor präsent - nicht nur wegen der Leere im Stadtgefüge. Ich komme da jeden Tag vorbei, denn unsere Büros liegen zwei Blocks vom einstigen World Trade Center entfernt. Die politischen Diskussionen über die Zukunft von Ground Zero vermengen sich daher mit meiner persönlichen Beziehung zu dem Ort.

Wie verträgt sich diese persönliche Beziehung mit der Tatsache, dass der Investor Larry Silversteins das Büro SOM, dessen Mitinhaber Sie sind, mit einem Projekt für Ground Zero beauftragte?

Für Silverstein ist der Ort immer noch der Ort, der er vorher war. Er will ganz einfach die Leerstelle wieder füllen. Als Architekt stellt man nicht unbedingt das Programm des Bauherrn in Frage. Zudem ist Silverstein ein verblüffender Mensch: Er war sich von Anfang an seiner Verantwortung bewusst und sagte, dass er als New Yorker einen Plan wolle, der nicht nur seine Interessen berücksichtige, sondern auch eine öffentliche Komponente und ein Memorial umfasse.


Die Zukunft von Ground Zero

Lower Manhattan soll also kein reines Finanz- und Geschäftszentrum mehr sein?

Das Gelände des ehemaligen WTC wäre ein idealer Ort, um ein Museum, eine Schule oder eine Bibliothek zu errichten und so Lower Manhattan, das nach Büroschluss weitgehend verwaist, in einen lebendigeren Ort zu verwandeln. Zu definieren, was aus downtown Manhattan wird, geht aber über die Projekte für Ground Zero hinaus. Dann gibt es noch einen ganz praktischen Aspekt: Das zerstörte Areal erscheint heute vielen wie ein Friedhof. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass es eine wichtige Verkehrsdrehscheibe war: Die PATH-Station ist von vitaler Bedeutung für die Gegend, weil hier Leute ankommen, die - wie beispielsweise ich - jenseits des Hudson River wohnen. Die Port Authority ist dabei, die Station, die sich unter einem der Türme befand, wieder aufzubauen.

Läuft Ground Zero nicht Gefahr, zum Ort für Architekturphantasien zu werden, wie sie zurzeit an der Biennale in Venedig zu sehen sind?

Zunächst, glaube ich, müssen die Dämonen vertrieben werden. Jedermann hat seine Vorstellungen, Laien ebenso wie Architekten. Die Menschen benutzen ihre Kreativität, um mit dem Schmerz umzugehen. Einige der in Venedig präsentierten Projekte haben eine gewisse Gültigkeit, andere aber die Schwäche, nichts weiter als ein Werbeträger ihrer Urheber zu sein. Um sensibel auf den Ort reagieren zu können, bedarf es einer gewissen Neutralität.

Das Büro SOM versucht also nicht, mit seinem Entwurf eine Duftmarke zu hinterlassen?

Wir möchten die dem Ort inhärenten Charakteristika entdecken und nicht Bauwerke implantieren, die eine spezifische Signatur tragen. Die Stadt ist ein gewachsener Organismus, deshalb suchen wir nach einer strukturellen Strategie.

Ihr Entwurf weckt aber durchaus eine konkrete Assoziation: Er erinnert an einen Gasometer.

Wir inspirierten uns an industriellen Strukturen, die universell sind, und fanden im Gasometer deren prägnante Ausformulierung.

Dem Gasometer entleihen Sie die Stahlkonstruktion, die den genutzten Kern spiralförmig ummantelt und im oberen Bereich an das Skelett gemahnt, das von den Twin Towers übrig blieb. Das erinnert an Salman Rushdies Idee, die Türme zu rekonstruieren und den oberen Teil als riesige leere Halle auszubilden.

Das ist eine kraftvolle Idee. Doch die Qualität einer Rekonstruktion läge eher in der bildhaften Wirkung. Denn man müsste die Türme entweder leer lassen oder mit neuen Nutzungen belegen. Für Bürozwecke lassen sich heute Räume nur bis zum 60. oder 70. Stockwerk vermieten. Zudem wäre ein neues WTC der Gefahr ausgesetzt, erneut Zielscheibe einer Terrorattacke zu werden.


Aspekte des Wiederaufbaus

Ist es überhaupt angemessen, auf Ground Zero zu bauen?

Es ist schwer zu sagen, was dem Ort angemessen ist. Für viele Leute, allen voran für Rudi Giuliani, ist Ground Zero ein Friedhof. Aber vom städtebaulichen Standpunkt aus gesehen wird Ground Zero nicht zu einem besseren Ort, wenn er leer ist. Denn ein urbaner Organismus wie Manhattan verlangt eine gewisse Dichte. Ein signifikantes Stück Architektur innerhalb des urbanen Kontextes ist besser als ein leeres Areal.

Bürgerorganisationen wünschen sich die Strassen zurück, die dem WTC zum Opfer fielen.

Im Plan, den wir entwickelten, ist der Rückbau einiger Strassen vorgesehen. Strassen sind fundamental für die Art, wie New York funktioniert. Der Strassenraster besitzt eine organische Qualität und bildet ein kleinteiliges Gitter. Städtebaulich war der Bau des WTC daher eine brutale Intervention: Strassen wurden abgeschnitten, Quartiere voneinander getrennt. Ausserdem war die gigantische, angehobene Plaza, obwohl Teil des öffentlichen Raums, privatisiert. Dennoch können wir nicht den Zustand vor dem Bau des WTC rekonstruieren. Der alte Raster wäre zu fein für ein grosses Gebäude. Aber es ist möglich, genügend Strassenraum zurückzugewinnen, um dem Ort Porosität zu verleihen.

Auf Ground Zero wurden Kameras installiert, die die Veränderung dokumentieren. Wann werden auf den Bildern Neubauten zu sehen sein?

Am letzten Freitag wurde der jüngste internationale Ground-Zero-Wettbewerb entschieden. Zur Weiterbearbeitung empfohlen wurden die Projekte von fünf Architekten und Architektenteams sowie unser Entwurf, der aus Silversteins Direktauftrag hervorgegangen ist. Aber ich glaube nicht, dass wir vor dem Winter etwas Konkretes sehen werden. Verzögerungen gibt es, weil noch vieles unklar ist. Dass wir in einem Wahljahr stehen, macht die Sache auch nicht einfacher. Zudem gibt es zurzeit keinen Bedarf an Büroraum. In New York dauert der Zyklus von Ab- und Aufschwung zehn Jahre. Bis Silverstein die Baubewilligung hat, wird es noch etwas dauern, so dass die Vollendung des Neubaus wohl mit dem nächsten Boom zusammenfallen wird.

Ausgeschrieben wurde der Wettbewerb von der Lower Manhattan Development Corporation. Der Entwurf, den SOM für Silverstein entwickelte, wird zusätzlich zu den fünf Wettbewerbsprojekten in der engeren Wahl bleiben. Wer wird schliesslich das Rennen machen: die öffentliche Ausschreibung oder der private Direktauftrag?

Wir werden die Beziehung zu Larry Silverstein weiterführen. Sollte der Masterplan schliesslich von einem andern Büro entwickelt werden, so bliebe uns allenfalls immer noch die Möglichkeit, den einen oder andern Bau innerhalb des Masterplans realisieren können.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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