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Montanbaukunst
Neue Zürcher Zeitung

Die Architekten Schupp und Kremmer in Essen

23. Oktober 2002 - Hubertus Adam
Kaum eine Publikation über die Industriearchitektur des 20. Jahrhunderts verzichtet auf die Schachtanlage 12 der Zeche Zollverein in Essen- Katernberg. Das formal klare Doppelbock-Fördergerüst, welches die Kuben der Werksbauten mit ihren ausgemauerten Stahlfachwerkfassaden überragt, avancierte zur Ikone der Montanarchitektur. Der Einklang von Funktionalität und Ästhetik liess das zwischen 1927 und 1932 entstandene Hauptwerk der Architekten Fritz Schupp und Martin Kremmer zu einer Inkunabel des Neuen Bauens werden, und zu Recht fand die 1986 stillgelegte und zum Teil umgenutzte Anlage Ende 2001 Aufnahme in die Liste des Unesco- Weltkulturerbes.

Nun konnte auf Initiative der Stiftung Zollverein das Gesamtwerk der Architekten Schupp und Kremmer erstmals umfänglich erforscht werden. Resultat ist eine von einer Buchpublikation begleitete Ausstellung in der Halle 8 der Zechenanlage, die mit neu entdecktem Material aus Archiven und Nachlässen gut bestückt ist. Auch wenn das Werkverzeichnis eher eine Bautenliste darstellt und noch viel Platz für spätere Forschung lässt, wurde hier Pionierarbeit geleistet. 1916 hatten sich der aus Uerdingen stammende Schupp (1896-1974) und der aus Posen gebürtige Kremmer (1895-1945) während des Studiums in Karlsruhe kennen gelernt, 1922 gründeten sie in Essen und Berlin ihre Arbeitsgemeinschaft. Anfangs auch mit dem Siedlungs- und Kirchenbau beschäftigt, konzentrierten sie sich schliesslich auf die Planung von Montananlagen, zunächst im Ruhrgebiet, wo die 1926 durch Fusion entstandenen Vereinigten Stahlwerke AG wichtigster Auftraggeber wurden. Sukzessive lösten sich die Architekten vom Neoklassizismus der Behrens- Nachfolge und fanden zu einer Bauauffassung, welche den puren Funktionalismus um die Fragestellung ergänzt, wie Baukörper einer Gesamtanlage zueinander in Beziehung treten sollten. Das Abwägen der Baumassen gegeneinander unterliege «ewigen Gesetzen», formulierte Schupp 1931. Als zweites Hauptwerk der Sozietät ist die Erzaufbereitungsanlage des Bergwerks Rammelsberg (1936-39) am Harzrand bei Goslar einzustufen, das heute ebenfalls zum Weltkulturerbe gehört. Die am Hang gestaffelten Gebäude beweisen beispielhaft, wie sich landschaftsbezogene Architektur und strenge Funktionalität verbinden lassen, und wirken wie ein Urbild der «analogen Architektur».

Obwohl sie persönlich der nationalsozialistischen Ideologie fremd gegenüberstanden, wurden Schupp und Kremmer zu Profiteuren des NS- Staats. Industriebau durfte sachlich sein, und für projektierte Bauten in Wolfsburg näherten sich die Architekten dem Repräsentationsklassizismus der Zeit. Eine neue Auftragswelle rollte an, als nach dem Angriff auf Polen im Rahmen der wehrwirtschaftlichen Autarkiebestrebungen des Deutschen Reichs Kraftwerke und Schachtanlagen im oberschlesischen Industrierevier geplant wurden. Nach dem Tod Kremmers führte Schupp das Büro weiter. Die letzten seiner Bauten, nunmehr wieder in einer zeitgemäss-funktionalistischen Formensprache, entstanden zu Beginn der siebziger Jahre in Duisburg. Dass viele der Bauten nach dem Ende des Kohlenbergbaus im Ruhrgebiet achtlos abgerissen wurden, das verschweigt die sehenswerte Ausstellung leider.


[Bis zum 3. November. Katalog: Symmetrie und Symbol. Die Industriearchitektur von Fritz Schupp und Martin Kremmer. Hrsg. Wilhelm Busch und Thorsten Scheer. Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2002. 286 S., Euro 24.80.]

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