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Plädoyer für gesellschaftliche Wachheit
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Fremdheit, Freiheit und der Mief der Mittelmäßigkeit standen im Zentrum von Wolf D. Prix' Eröffnungsrede beim „steirischen herbst“.

25. Oktober 2002
Der „steirische herbst 2002“ wurde am Donnerstagabend im Grazer Schauspielhaus mit einer Rede des Architekten Wolf D. Prix eröffnet. Seine Gedanken rankten um „Fremdheit“, das heurige Generalthema des „herbstes“. Außerdem beschäftigte er sich mit der Rolle des Architekten und der Politik sowie mit „dringend notwendigen“ Freiräumen.


Die Quotenidioten

Österreich berufe sich zwar gerne auf das Weltkulturerbe, so Prix, aber Erfinder und Erneuerer seien hier zu Lande nie geliebt worden. Die Österreicher würden sich „freud- und lustvoll“ der fundamentalen Selbstüberschätzung hingeben, dass sie auch in der Kunst die Größten seien. „Und Quotenidioten beginnen die Besucherzahlen von herumirrenden Touristen als Beweis dafür heranzuziehen, dass das Mittelmaß das Maß aller Dinge ist“.


Selbstbewusste Architekten

Auch die Rolle des Architekten müsse sich in Zukunft verändern, erklärte Prix. Zum einen werde es jene geben, die in vorauseilenden Gehorsam alles schön fänden, was ihm sein Auftraggeber abverlangt. Diese werden dann aber eher „Stimmungsbebilderer“. Das Feld werde somit frei für einen Architekten, der sich als „Strategiedenker“ begreife und der nicht „an Erfüllungszwang leidet“. Aufgabe der Politiker sei es, sich „nicht hinter uns zu stellen, wie sie gerne betonen, sondern vor uns“, betonte Prix.

„Die wirkliche Gefahr besteht aber darin, dass uns die Angst vor Fremdkörpern vom Schlaraffenland zum Land am Rand des Schlafes werden lässt, und der Mief der Mittelmäßigkeit alles zudeckt, was kritisch über den Tellerrand zu blicken droht“, schloss Prix.

Noch vor der Eröffnungsrede führte Gerhard Moser für das Ö1 Kulturjournal ein Interview mit Wolf D. Prix.

Frage: Welche Bedeutung hat der steirische herbst für Sie? Gibt es da besondere Erfahrungen, Begegnungen und Anregungen?

Wolf D. Prix: Ich erinnere mich an die „Trigon“ 1969, wo Helmut Swiczinsky und ich eine Installation gebaut hatten, eine Gesichtsmaske, die Gesichtsbewegungen in Licht und Ton übertragen hat. Wir sind damals von den österreichischen Kulturkritikern sehr skeptisch begutachtet worden. Unsere damalige Forderung, dass sich nicht die Menschen der Architektur anzupassen hätten, sondern die Architektur auf den Menschen reagieren muss, hat ein sehr bekannter Kritiker beschrieben: Na und? Das war die erste Lehre, dass wir in einem Land leben, wo subalterne Ignoranz und Mittelmäßigkeit im Vordergrund stehen und Utopien nicht gefragt sind. Trotzdem halte ich den steirischen herbst für ein ganz wichtiges Festival. Obwohl mich der Name Herbst nachdenklich für ein Avantgarde-Festival stimmt. Zeigt diese Jahreszeit doch das Ende eines Jahres an. Also sollte dieses Festival doch „Steirischer Frühling“ heißen, was ja der mittelmäßigen Romantik des Österreichers entgegen käme. Aber das wäre auch falsch.

Frage: Der steirische herbst hat im Laufe der Jahrzehnte einige Entwicklungen durchgemacht. In letzter Zeit gab es den Vorwurf der Beliebigkeit. Wie sehen Sie die aktuelle Positionierung?

Wolf D. Prix: Tatsache ist, dass ich der Stadt Graz nicht nur zum steirischen herbst gratulieren kann, sondern in diesem Fall als Architekt zu zwei ganz besonderen Ereignissen. Das eine ist die Ausstellung „Latente Utopien“, das andere, was sehr wichtig ist, ist die zukünftige Kunsthalle von Peter Cook und Colin Fournier. Ich wünschte mir, diese beiden Ereignisse würden in Wien stattfinden.

Frage: Bei der angesprochenen Schau „Latente Utopien“ ist auch Coop Himmel(b)lau vertreten mit einem Museen-Projekt in Lyon. Können Sie das Projekt kurz erläutern?

Wolf D. Prix: Es ist ein gewonnenes Wettbewerbs-Projekt, liegt an einer fantastischen Stelle, nämlich am Zusammenfluss zweier Flüsse in Lyon. Es ist ein naturhistorisches Museum, ungefähr so groß wie Bilbao, nur steht es auf Stützen. Man kann sich also auch unter diesem Projekt befinden. Was wir ausstellen, ist ein Teil des Projekts als Modell. Es hat aber mit der zukünftigen Darstellung von Räumen, mit denen wir uns beschäftigen, zu tun. Es wird nämlich eine Kamera das Innere übertragen, dass man die Gleichzeitigkeit der Erfahrung, nämlich das Modell von innen und außen zu sehen, machen kann.

Frage: Für dieses Museum gibt es, soviel ich weiß, zumindest einen geplanten Eröffnungstermin.

Wolf D. Prix: Baubeginn ist in einem Jahr, in drei Jahren ist der Eröffnungstermin geplant.

Frage: Von der Architektur nun zur Kultur. Der steirische herbst verzichtet ja ganz bewusst auf Eröffnungsreden von Politikern. Meistens sind es Künstler und Intellektuelle.

Wolf D. Prix: Was ich mir z.B. wünsche, ist, dass die Politiker, die so gerne sagen, wir stehen hinter euch, endlich vor uns stehen und dass sie sich zu einer Kulturnation wie Österreich in Form von einem Kulturprogramm bekennen, das sie zur Wahl stellen. Ich kann heute alles wählen, nur kein Kultur-Konzept, denn das finde ich in keinem Programm irgendeiner Partei. Das lässt mich rückschließen, dass Kultur in Österreich nur dann wichtig ist, wenn man reich ist. Wenn man ärmer wird und sparen muss, wird Kulturforschung und Denken nicht mehr wichtig genommen. Ich wünsche mir für die Zukunft, dass das nicht der Fall sein wird und dass man Kultur nicht nur als Werbung, sondern als lebendiges Leben empfindet.

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