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Wut zur Gestaltung
Der Standard

Von der Ästhetik der Informationstechnologie bis zum Design von Kanaldeckeln reicht die Formensprache des Karim Rashid, der ab 25. Oktober auch an einer Ausstellung des steirischen herbstes teilnimmt

25. Oktober 2002 - Robert Haidinger
Schwarze Sakkos und schwarze Rollis, anthrazitfarbene Anzüge und betongraue Hemden. Graue Gesichter sowieso. Vielleicht ein kleiner, rattenhafter Yuppie-Zopf im Genick, eckige Brille nicht ausgeschlossen. Wer sich in letzter Zeit mit Vertretern und Kommissären der Designszene traf, wer fleißig deren Messen und Vernissagen besuchte, dort nüchterne Möbel mit hohem Gebrauchs-IQ umzingelte, der konnte eines wohl kaum übersehen: nämlich die Präsenz einer Mode, die Sales-Manager, Kreativdirektoren, Designer in der Regel im kollektiven Dress antreten ließ - in einem uniformen Outfit mit dem gewissen Flair von Leichengräber-Intellektualität.

Betrachten wir hingegen Herrn Rashid, einen Mann, dessen Name von den oben georteten Design-Krähen heute nicht eben selten in den Mund genommen wird. Schließlich befindet sich auch die mit Experimenten eher vorsichtig gewordene Möbelbranche auf steter Entdeckungsreise. Sucht, tüftelt, forscht nach besseren Materialien. Investiert in die ultimative Eckverbindung sowie in andere Errungenschaften eines scheinbar stagnierenden Gegenwartsdesigns. Und hungert dabei nach Gegenfüßlern. Nach Leuten, die auch ohne Bauhaus und Memphis und Retro-Zeigefinger im Gepäck ihren Design-Weg suchen - und finden.

Herr Rashid darf als Exemplar letzterer Kategorie bezeichnet werden, und entsprechend planmäßig verlief auch seine Karriere. Irgendetwas fiel auf an seinen Entwürfen, die von New York aus zunächst lediglich die virtuellen Räume des Internets möblierten. Damals war er Mr. Geheimtipp, einer, der die Balance zwischen Underdog und Etabliertem besonders lang in der Schwebe zu halten verstand. Doch auf den Absturz wartet man auch heute, nach dem erfolgten Durchbruch, vergebens - Karim Rashid versagte sich das übliche Los der Geheimtipp-Menschen. Er galt als hip - und gilt heute als noch hipper. Eine Supernova mit guter Kondition, möchte man meinen. Einer, der entweder um zwei Jahrzehnte zu spät kommt oder viel zu früh. Oder einfach aus ziemlich weiter Ferne. Letzteres stimmt im Falle des gebürtigen Ägypters in der Tat und klingt ansonsten wie billige amerikanische Propaganda: Karim, das Immigrantenkind, wird in Amerika reich. Halleluja! Und größere Wunder sollten noch geschehen: Denn Karim, das Immigrantenkind, wird so etwas wie ein Popstar. Ob ihm dies auch auf musikalischer Ebene gelingt, wird sich erst noch herausstellen. Immerhin veröffentlichte Karim Rashid erst vor kurzem seinen ersten Track fürs Plattenlabel Mole Listening Pearls. Sicher sein kann man sich aber im angestammten Metier Design: Karim poppt, als flösse purer Kaugummi durch seine Adern, vielleicht als Erster seit Philippe Starck, der mittlerweile ja den Mick Jagger des Möbeldesigns abgibt. Doch das sind Reminiszenzen an die Achtzigerjahre, während Rashid als geschichtsloser Interpret der Postpostmoderne auftritt - und dabei eine große Lücke im internationalen Design füllen hilft. An geeignetem Rüstzeug fehlt es ihm jedenfalls nicht. Folgendes wäre nämlich zu vermelden: Erstens, und am wichtigsten, null Scheu vor weißen Lackschuhen mit orangefarbenen Socken. Zweitens die Tatsache, dass die Surfergemeinde fest hinter ihm steht und damit auch auf seine Teppiche, Möbel und Accessoires.

Auch das Industriedesignstudium in Kanada und Schnupperjobs bei Ettore Sottsass und Rodolfo Bonetto schlugen sich positiv nieder, wie das vorläufige Zwischenergebnis beweist. Lautstark, grell und bunt sind Rashids Entwürfe. Wie im Rampenlicht eines Gigs knallen sie auf die Bühne des Designs, während die dazugehörigen Grafikjobs genauso gut auf der Unterseite von Skateboards oder im Portfolio eines trendigen Webdesigners auftauchen könnten. Man mag sogar so weit gehen zu sagen: Karim Rashid ist eine originäre Erfindung der

Stadt New York und die amerikanisch geprägte Popkultur des neuen Jahrtausends seine eigentliche Heimat und Projektionsfläche. Dahinter verbirgt sich nun so manches: beachtliche Dynamik ebenso wie das prinzipielle Dilemma der eher oberflächlichen Lesart der Dinge - besser bekannt als Pop. Nachhaltigkeit ist jedenfalls nicht der erklärte Fokus des Karim Rashid, so viel steht schon auf den ersten Blick fest. Vielmehr zählt für ihn der Moment, der Fluss und manchmal auch Strudel der Popkultur, wohl auch die Flüchtigkeit von Internet und medialer Welt. Virtuos lotet Rashid als eigentliche Basis seiner Arbeit die Ästhetik der Informationstechnologie aus, und die Vielfalt seiner Arbeit erinnert dabei tatsächlich ein wenig ans Surfen im Netz. Scheinbar mühelos springt nämlich auch der Designer zwischen entfernten Produktgenres hin und her, verwischt dabei mit beachtlichem Selbstverständnis traditionelle Grenzziehungen. Vom Parfumfläschchen zum Möbel, vom Informationskiosk zum tragbaren Computer, von der Gestaltung neuer New Yorker Gullydeckel bis zum Manschettenknopf reicht die Gestaltungswut des Karim Rashid und legt sich wie Brooklyner Graffiti über das Panorama der Produktwelt.

„Sensual minimalism“ nennt er seinen Arbeitsstil. Dinge der Alltagskultur in sinnliche und komfortable Produkte zu verwandeln, vielleicht auch in Fetische des persönlichen Gebarens. Moderne Materialien wie Plastik, Kunstharz oder Metalllegierungen, die eigentlich aus der Luftfahrt stammen, spielen dabei eine zentrale Rolle, ebenso natürlich wie der Computer, so wie es sich für ein Net-Kid eben gehört. „Papier“, sagt Rashid nicht ohne Stolz, „findet sich in meinem Büro keines.“ Auch der hauseigene Vertrieb mancher Entwürfe läuft logischerweise über das Netz. Der ideale Mann für Black & Decker, Sony, Villeroy & Boch und YSL zu sein setzt ein gewisses Maß an Flexibilität voraus.

Sich alle diese Kunden unter den Nagel reißen zu können erfordert ein hohes Maß an persönlichem Talent, in Rashids Fall wird dies zum Mix mit individuellem Stil. Denn allzu leicht lässt sich die Handschrift des mittlerweile bekanntesten New Yorker Designers aus dem Fundus der Produktwelt herauslesen, daran konnte auch der enorme Output des 41-Jährigen nichts ändern. Anfängern des „Karim Rashid Tracking“ sei in diesem Zusammenhang ein besonderes Augenmerk auf die Farbe Schweinchenrosa anempfohlen. Pink wie Buggs Bunnies Ohren ist der präferierte Farbton des New Yorkers, und fast schaffte es Rashid, der Farbe quasi im Alleingang zu einem Modefrühling zu verhelfen. Mit der Sitzbank „Momo 100 pink“, einer Art miniaturisierter Achterbahn zum Verschnaufen, setzte er bereits im Jahr 2000 ein erstes kräftiges Signal. Mit dem auf der diesjährigen Mailänder Möbelmesse präsentierten Lümmelmobiliar „Superblob“ legte er noch ein rosarotes Schäuferl - respektive eine an Vulven und phallische Wülste anmutende Sitzgelegenheit - nach.

„Sensual minimalism“ also, dem so gesehen auf Dauer wohl nur zweierlei Möglichkeit bleiben: die stete Steigerung ins künstlerische Gefilde des Hyperdesigns. Oder zurückkriechen, egal wohin - in Rechnergehäuse und den Schoß der großen Stadt. Robert Haidinger []

Karim Rashid wird ab 25. Oktober in der von Zaha Hadid und Patrik Schumacher kuratierten Ausstellung „Latente Utopien - Experimente der Gegenwartsarchitektur“ im Landesmuseum Joanneum in Graz neben Gestaltergrößen wie Ross Lovegrove, Greg Lynn und anderen mit einem Projekt beim steirischen herbst vertreten sein.

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