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Räume machen Schule
Neue Zürcher Zeitung

Junge Schweizer Architekten

Die Bauten von Marco Graber und Thomas Pulver

1. November 2002 - J. Christoph Bürkle
Im August wurde er fertig gestellt, der Erweiterungsbau des Primarschulhauses Bachtobel in Zürich. Schon im Vorfeld hatte er auf Grund neuer Planungsprämissen des Zürcher Hochbauamtes für Furore gesorgt. Endlich sollten die Kenntnisse moderner Unterrichtsmethoden und die Bedürfnisse der Kinder in Planung und Architektur stärker berücksichtigt werden. Neben pädagogischen Vorgaben wurde bei der Jurierung auch kindgerechtes Bauen gewichtet. Zur Ausführung bestimmt wurde der Entwurf von Marco Graber und Thomas Pulver, der sowohl den pädagogischen Leitbildern entsprach als auch architektonisch überzeugte. Den alten Gegensatz zwischen guter Architektur - deren Definition immer das Privileg der Avantgarde ist - und den Bedürfnissen zeitspezifischer Nutzung mögen Graber und Pulver nicht gelten lassen. Während andere Projekte zu sehr auf die autonome Wirkung kubischer Formen oder die Analogien zum alten Schulhaus von Albert Heinrich Steiner setzten, schafften Graber und Pulver durch die Verschleifung unterschiedlicher Geometrien einen differenzierten Baukörper, der zugleich individuierte Raumfolgen zulässt und vom traditionellen Schema der an einem Flur aufgereihten Klassenzimmer abweicht.

Um der Turnhalle das mächtige Volumen zu nehmen, wurde sie halb in den Boden versenkt. Zugleich reflektiert sie die Fluchtlinie der angrenzenden Tennisplätze. Bei der Verbindung zu den Klassenräumen knickt das Gebäude leicht, wodurch der Bezug zum Schulgarten hergestellt wird. Wie von selbst entsteht so ein grosser, trichterförmiger Pausenraum, der gleichsam organisch den Bewegungsabläufen der Kinder folgt: Der Korridor etwa ist dort am breitesten, wo die zu Beginn der Pause nach draussen stürmenden Schüler zusammenlaufen. Er ist aber auch Aufenthaltsraum und ein Ort zum Spielen und Verweilen. Er ist Zugang zu den Klassenräumen, Verteiler für die Aufgänge zu den oberen Schulräumen und zugleich Treppenhaus für den Eingang der Turnhalle - ein komplexer Knotenpunkt also, der auch räumlich formuliert ist und dem Schulhaus nicht zuletzt dadurch die spezifische Note gibt.

Mehr als fünf Schulhauswettbewerbe konnten Graber und Pulver für sich entscheiden, so dass sie mittlerweile als Experten auf diesem Gebiet gehandelt werden. Erste Erfahrungen brachte das Gebäude der Lehrwerkstätten in Bern Felsenau (NZZ 3. 8. 01). Ähnlich wie im Schulhaus Bachtobel nutzten Graber und Pulver auch hier den Erschliessungsbereich, um räumlich komplexe Strukturen wirksam werden zu lassen. Der verglaste Windfang führt den Blick durch das grosse gegenüberliegende Fenster zu den Dächern der Werkhallen; hier wird sofort die Struktur des Gebäudes offenbar, eine wirkliche Erschliessung auch im übertragenen Sinn.

Dass Graber und Pulver auch ganz anderes können, haben sie nicht zuletzt mit ihrem Pavillon der Expo agricole in Murten bewiesen. Im Gegensatz zu vielen anderen Expo-Bauten betonte die Halle bewusst ihren ephemeren Charakter - allein schon durch die fast ausschliessliche Verwendung von rezyklierbaren Holzelementen. Auf den sich kreuzenden vertikalen Holzstützen liegen sechs Fachwerkträger auf. Sie tragen das rautenförmige Sparrennetz, auf dem das transparente Dach aus Scobalit montiert ist. Mit einem einfachen Vorhang aus glasfaserverstärktem Stoff kann die dreiseitig offene Halle vor der Witterung geschützt werden. So erinnert die einfache Halle an einen grossen Korb oder aber an einen überdimensionalen Gartenzaun. Allerdings vermieden sie handwerkliche Präzision, wie Schweizer Architekten sie sonst so gerne wiederbeleben. Die Balken liegen einfach aufeinander, werden durch Metallspangen gehalten und sind nicht verzapft oder verfugt. Das verstärkt die plastische Wirkung der Details.

Diese scheinbare Leichtigkeit zeichnet die Bauten von Marco Graber und Thomas Pulver aus. Im Gegensatz zur «Schweizer Kiste», bei der oftmals die starke Form auf Kosten räumlicher Komplexität geht, ist bei ihnen die autonome Form ohne spezielle Räume kaum denkbar. Vielleicht liegt das an den Lehrjahren in Spanien, in denen Graber und Pulver eine grössere Unbefangenheit im Umgang mit Architektur lernten. Nach der Ausbildung an der ETH in den achtziger Jahren, in denen es einen «ungeheuren Zwang zur Begründung» gegeben habe, sei das dringend nötig gewesen, meint Thomas Pulver. Ihre Architektur lebt nicht von konstruktiver Wahrheit und nicht von orthogonalen, entwerferisch leicht kontrollierbaren Räumen. Ihre Bauten irritieren, thematisieren Widersprüche, mischen sich in ihre Umgebung konzeptuell ein und sind somit ein wichtiger und konstruktiver Beitrag zum derzeitigen Architekturgeschehen.


[ Graber und Pulver stellen ihre Arbeiten am Mittwoch, 6. November, um 18 Uhr 30 im Architekturforum Zürich vor. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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