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Schwebender Fels unter Glas
Schwebender Fels unter Glas, Foto: Martin Vavra
Spectrum

Natur, Kunst und Landeskunde: diese drei Sparten betreut das Niederösterreichische Landesmuseum. Hans Hollein hat mit seinem Neubau im Kulturbezirk Sankt Pölten für jede dieser Sparten individuelle Innenraumkonzepte entwickelt.

9. November 2002 - Walter Zschokke
Der vielgestaltige Gebäude komplex zwischen Fest spielhaus und ORF-Gebäude wurde soeben als letzter Bau im Kulturbezirk des niederösterreichischen Regierungsviertels fertiggestellt. Dabei verlängert ein neuer Gebäudeflügel im Westen die vom Festspielhaus vorgegebene städtebauliche Kante. Er ist über einen ebenfalls neuen Verbindungstrakt an den schon einige Jahre bestehenden östlichen Flügel mit der „Shedhalle“ angeschlossen. Gemeinsam umfassen die drei Trakte einen leicht abgesenkten, nach Süden offenen Gartenhof, in den drei große, gestaffelte Vierteltonnen hineingreifen. Der Hauptzugang zum neuen Mehrspartenhaus befindet sich unter der bekannten geneigten Glaswelle am Südrand des Schubertplatzes.

Der neue Verbindungstrakt enthält die Foyerhalle mit Kasse, Garderoben et cetera. Daran schließt ein fensterloser, mit dunklen Eternitplatten diagonal verkleideter Quader an. Das Innere ist als 3D-Kino eingerichtet, in dem ein zirka 25minütiger Film den Einstieg in den Bereich Landeskunde vermittelt. Im „Museumslabor“ im Erdgeschoß des westlichen Gebäudeflügels erfolgt dann die Möglichkeit zur Vertiefung und Vernetzung über eine Batterie Computerkonsolen.

Für alte Kunst aus Niederösterreich enthält das Ober-geschoß zwei Ausstellungssäle, die mit spätmittelalterlicher und barocker Kunst sowie Werken aus dem 19. Jahrhundert gut bestückt sind. Ein Verbindungsgang auf dem Dach des Foyers führt hinüber zur Shedhalle. Er dient als Skulpturenhalle und ist hoch und breit genug für Werke des Bildhauers Anton Hanak. Im östlichen Flügel sind ausgezeichnete Werke niederösterreichischer Künstler des 20. Jahrhunderts dank einer intensiven Ankaufstätigkeit des Landes bestens vertreten.

Die drei gestaffelten Vierteltonnen überwölben einen vier Geschoße hohen Raum, in dem eine vielfältige, dichte und sorgfältig gestaltete Naturschau entlang dem Leitthema Wasser junge und alte Besucher fesseln wird. Im Süden, zum ORF-Gebäude hin, wird ein mächtiger Trapezblechcontainer von einem massiven, rosa gefärbten Sockel leicht verkantet hochgestemmt. Er schließt den Komplex ab, bildet allerdings zur Nachbarschaft eine eher kühle Schulter aus.

Von außen betrachtet erscheint die Anlage gleichsam collageartig aus einem guten Dutzend individueller Elemente agglomeriert, die ihren Nutzungscharakter meist in abstrahierter Weise nach außen abbilden. Sie sind dicht aneinandergestoßen, sodaß der Besucher im Innern von einem Raumtypus in den nächsten wechselt. Oft weisen verbindende Verkehrsräume wie Gänge oder Treppen einen durchaus eigenen, ansprechenden Raumcharakter auf. Das pragmatisch erscheinende Äußere wirkt dagegen durchaus sperrig. Es ist in keiner Weise harmonisiert, etwa um einen geschlossenen Gesamteindruck zu erzeugen. Vielmehr wird mit Eigensinn auf konkreter Vielgestalt beharrt.

Die Innenräume sind für ihre Zwecke sehr individuell und auch sehr sorgfältig konzipiert. Die beiden Säle für die alte Kunst wurden mit durchaus definitiv wirkenden, aber de facto flexiblen Wandelementen bestückt, die für die Gemälde angenehm beruhigte Hängemöglichkeiten bieten. Die Auswahl und Präsentation der Sammlung kann somit leicht im Abstand von ein, zwei Jahren geändert werden. Von BEHF, einem Wiener Architektenteam der jungen Generation, wurde ein zweigeschoßiger Einbau in die Shedhalle geplant, der sich als abstrakte, begehbare Raumskulptur für Kunst des 20. Jahrhunderts ganz gut eignet. Freistehend, jedoch im gleichen Weiß gehalten wie die Umfassungsmauern, beansprucht dieser mittelfristig gesehen durchaus temporäre Einbau den Raum in zurückhaltender Weise und bietet vielfältige Möglichkeiten, Bilder und Objekte zu zeigen. Die beachtliche Auswahl wurde vom Basler Markus Brüderlin kuratiert.

Glanzstück der Gesamtanlage ist die Naturschau unter den teils verglasten Vierteltonnen. Sie wurde unter der Schirmherrschaft von Helmut Pechlaner konzipiert. Aus dem als Höhle gestalteten Untergeschoß entwickelt sich der Ausstellungsbereich über Rampen, Terrassen, gewendelte Treppen, Plattformen, Stiegen, Stege und Kanzeln in luftige Höhen unter dem Glasschirm. Querverbindungen erlauben individuelle Wege durch das im positiven Sinn dreidimensional labyrinthische Raumgebilde. Ein transparenter Aufzug verbindet in der Vertikalen. Die von Architekt Markus Eiblmayr betreute Ausstellungsgestaltung enthält zahlreiche zum Teil sehr große Aquarien mit Lebendexponaten, meist Fischen und anderen Wassertieren. Dabei ist die Spanne von perfekter Künstlichkeit, abstrakter Geometrie der Glasbehälter und zahllosen Naturexponaten sehr groß, aber gerade dadurch wirkungsvoll. Bereits surrealistisch ist in diesem Kontext der „schwebende“ Felsblock in schwankender Höhe, in dem ein kleiner Gletscher eingebettet ruht. Hier kippt das vermeintliche Naturobjekt hinüber in Konzeptkunst.

Die Fülle, die sicher gewollte Unübersichtlichkeit und Exponatdichte, vermag die Vielfalt der Natur in verschiedenen Lebensräumen gut wiederzugeben. Sie erzeugt zugleich jene geheimnisvolle Spannung, die anregend wirkt und selbst den mehrmaligen Besuch nicht langweilig werden läßt.

Wiederbegegnung und unerwartete Neuentdeckung werden eine positive Besucherbindung an das Landesmuseum sichern.

Für die differenzierten und qualifizierten Ausstellungskonzepte erweisen sich die individuell charakterisierten Innenräume als gut geeignet. Da und dort eingefügte Verbindungsräume, wie die schmale Treppenschlucht im Bereich alte Kunst, bieten den Besuchern kurze Abschnitte zum Durchatmen an, in denen nichts ausgestellt ist - außer dem spezifischen Raumtyp natürlich.

Ausblicksfenster, wie jene zum Hammerpark, konnten aus konservatorischen Gründen wegen des Lichteinfalls nicht genützt werden. Andere, wie jene im „Südturm“ genannten Annex, wirken in ihrer libeskindesken Unregelmäßigkeit etwas gezwungen, auch wenn sie den Blick auf den Gartenhof erlauben, der erst im Frühling in seiner ganzen Pracht ergrünen wird.

Die Halbierung des ursprünglichen Bauvolumens und eine niedrige Kostendecke haben dem Unternehmen nicht sichtbar geschadet. Vielmehr gewinnt man den Eindruck, daß die entgegengesetzten Themen Kunst und Natur hinsichtlich ihres Umfangs für die Besucher bewältigbar bleiben und in Beziehung gesetzt werden können. Damit wird das Haus zu einem Museum neuen Typs, das mit wechselnden Ausstellungskonzepten vor allem im Kunstbereich die produktiv konfrontierende Spannung noch wird steigern können. Anders als für nicht wenige in den vergangenen Jahren in Gottes Namen entstandene Kleinmuseen dürfte der Erfolg daher nicht ausbleiben.

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