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Perforation und Porosität
Neue Zürcher Zeitung

Der New Yorker Architekt Steven Holl in Vicenza

Formale Einheit in Vielfalt zu verwandeln und somit zu bereichern, ist die Strategie des Architekten Steven Holl. Neben Frank O. Gehry zählt der in New York tätige Entwerfer zu den weltweit gefragtesten Baukünstlern der USA. Die diesjährige Herbstausstellung in Vicenza gibt einen knappen Überblick über Werke der letzten fünfzehn Jahre.

11. November 2002 - Hubertus Adam
Seit der Eröffnung des Kunstmuseums Kiasma in Helsinki im Jahre 1998 zählt Steven Holl zu den Stars der internationalen Architekturszene. Doch ein Newcomer war er zu diesem Zeitpunkt kaum mehr: Nach seinem Studienabschluss an der Architectural Association in London eröffnete der heute 55-jährige Architekt 1976 sein eigenes Büro in New York. Zwar konnte Holl einige Apartments einrichten und auch das eine oder andere kleine Einfamilienhaus bauen, doch die eigentliche Karriere begann - wie bei den meisten seiner prominenten amerikanischen Berufskollegen - im Ausland. Einen Markstein stellt zweifellos der 1988 mit dem ersten Preis ausgezeichnete Entwurf für die Erweiterung der Amerika-Gedenkbibliothek in Berlin dar, eine atemberaubende Assemblage aus Türmen, Scheiben und einem den bestehenden Gebäuderiegel überspannenden Wolkenbügel. Leider blieb das Projekt unrealisiert und reiht sich damit ein in die Sequenz grossartiger Visionen, welche in Berlin scheiterten: von Mies van der Rohes Glashochhaus am Bahnhof Friedrichstrasse bis hin zu Daniel Libeskinds Alexanderplatz-Projekt.


Magische Höhlungen

Mehr Erfolg war dem amerikanischen Entwerfer in Japan beschieden, das seit Mitte der achtziger Jahre, begünstigt durch eine prosperierende Ökonomie, auf den Import westlicher Architektur setzte; Philippe Starck und David Chipperfield, Nigel Coates und Peter Eisenman erarbeiteten sich wichtige Teile ihres beruflichen Renommees in Ostasien. Holl errichtete zunächst einen Wohnblock (1989-92) in der nach einem Masterplan von Arata Isozaki unter Beteiligung ausländischer Architekten wie Rem Koolhaas und Christian de Portzamparc entstandenen Siedlung «Nexus World» in Fukuoka, um dann zwischen 1992 und 1996 in Makuhari nahe Tokio selbst ein ganzes Stadtquartier zu gestalten. Das dortige Spannungsverhältnis zwischen der Rationalität von Lochfassaden und einer plastisch-expressiven Ausbildung von Baukörpern zieht sich durch das Œuvre des Architekten. Jüngstes Beispiel dafür ist die nahezu fertiggestellte «Simmons Hall», ein Studentenwohnheim des MIT in Cambridge, Massachusetts, mit 350 Betten.

Ausgangspunkt war eine mehr als 100 Meter lange zehngeschossige Scheibe mit gitterartiger Fassadenstruktur, die zunächst durch orthogonale Ein- und Ausschnitte differenziert wurde. Den eigentlichen Reiz des Gebäudes indes stellen die für Sozialbereiche und Lounges genutzten inneren Hohlräume dar, die wie Frassgänge eines stockwerkverzehrenden Tieres die Klarheit der Struktur von innen her unterwandern - nicht ohne Grund ist «Porosität» einer der Lieblingsbegriffe von Holl. Der mathematische Algorithmus des «Mengerschwamms», gemäss dem es möglich ist, in ein gegebenes Volumen eine unendlich grosse Zahl von Löchern einzuschreiben, bot die Inspiration für die Erweiterung des Bürogebäudes einer Wohnungsbaugesellschaft in Amsterdam. Der U-förmige Ziegelbau wurde zum Singel-Kanal durch ein stereometrisches Volumen ergänzt, das mit einer raumhaltigen Schicht aus grünlich patiniertem Kupferblech verkleidet ist. Die kleinteilige Perforation der Haut, aber auch die verschiedenen Einschnitte geben direkte Einblicke zum Teil in das Innere, zum Teil aber auch auf aleatorisch verteilte Farblichtfelder frei, welche - im Wasser bei Nacht gespiegelt - den Eindruck eines abstrakten Gemäldes entstehen lassen. Holls Formzerstörung ist weder von einem dekonstruktivistischen Furor noch von spielerischer Leichtigkeit, sondern von einer poetisch- romantischen Faszination getrieben, Einheit in Komplexität zu verwandeln.

Auf Strukturen wie diese bezieht sich Steven Holl auch mit seiner derzeitigen Ausstellung in der Basilica Palladiana in Vicenza. Seit einigen Jahren wird die grosse, von Nischen gegliederte und mit einem grandiosen Holzgewölbe überdeckte Halle des Obergeschosses von Palladios Meisterwerk jeweils im Herbst einem prominenten Architekten zur Präsentation seines Werks zur Verfügung gestellt. Hatte Toyo Ito im letzten Jahr mit von der Decke abgehängten schlauchartigen Gebilden die gewaltigen Dimensionen des Raums selbst zum Thema gemacht, so zeigt sich die von Holl unter dem Titel «Dalla Città al Deserto: densità nel paesaggio» eingerichtete Schau zurückhaltend. Fünf mit verschiedenen Durchbrüchen versehene Wände aus Aluminiumgitter wurden auf der einen Schmalseite der Halle installiert und dienen nun als Displaystruktur für ungefähr zwanzig Projekte des Architekten. Von Modellen abgesehen, arbeitete Holl dabei ausschliesslich mit Reproduktionen, die auf Tafeln aufgezogen wurden. Das mag bei Plänen zwar unproblematisch sein, ist aber angesichts der von ihm zur Ideen- und Formfindung stets eingesetzten Aquarelle bedauerlich.


Städtebauliche Projekte

Mit Bauten wie dem Kiasma oder den jüngsten Museumsprojekten für Lyon, Burgos und die Fondation Pinault in Paris stösst man auf Bekanntes, warum aber anderes fehlt - die zur Ausführung bestimmte Erweiterung des Nelson- Atkins-Museums in Kansas City, aber auch gerade vollendete Bauten wie das Bellevue Art Museum oder die Architekturfakultät in Minneapolis -, bleibt fraglich. Erkennbar ist lediglich, dass Holl bei der Dokumentation in Vicenza auf Privathäuser verzichtete und städtische oder stadtplanerische Projekte favorisierte. Von den enigmatisch die Grenzen der Besiedlung markierenden Projekten für die Umgebung von Phoenix oder Fort Worth (1989-90) spannt sich dabei der Bogen bis zu einer als geknickte Bandstadt entworfenen und von fragmentierten erratischen Riesenblöcken rhythmisierten Siedlung für 27 000 Einwohner im chinesischen Nanning (2002). In Zusammenarbeit mit dem Rotterdamer Architekturbüro MVRDV entstand ebenfalls in diesem Jahr ein mit dem ersten Preis ausgezeichneter Bebauungsplan für Toolenburg-Zuid nahe dem Flughafen Schiphol, eine Mustersiedlung des heutigen niederländischen Wohnungsbaus. Kaktusähnliche Wohntürme, Hofbebauungen aus containerartigen Strukturen und schachbrettförmige Flächensiedlungen treffen aufeinander.

Gegenübergestellt wird der Dokumentation der zwanzig Projekte in Vicenza auf der anderen Seite der Halle das im Massstab 1:1 in Originalmaterial errichtete «Turbulence House», das derzeit als Gästehaus des Künstlers Richard Tuttle auf dessen Anwesen in der Wüste von New Mexico entsteht. Der computergenerierte Aluminium-Kleinbau ist ebenfalls durchbrochen, so dass der Wind für die Lüftung sorgt. Die Gegenüberstellung des Wüstenbaus und der städtischen Strukturen bleibt etwas holzschnitthaft, und Steven Holls erklärende These, Architektur verbinde Natur und Gesellschaft, ist wenig mehr denn ein Allgemeinplatz.


[Bis 1. Dezember. Katalog: Steven Holl architetto (Documenti di architettura 143). Hrsg. Kenneth Frampton. Electa, Milano 2002. 420 S., Euro 50.- (Euro 40.- in der Ausstellung). Zu empfehlen sind ausserdem zwei in diesem Jahr bei Lars Müller Publishers in Baden erschienene Publikationen: Steven Holl: «Idee und Phänomen» sowie «Written in Water».]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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