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Und plötzlich Antworten, katalogweise
Spectrum

Architektur ist fast immer eine öffentliche Veranstaltung, Architekten hingegen stehen fast nie in der politischen Öffentlichkeit. Im Wahlkampf wurde den Parteien bei einer Podiumsdiskussion endlich Architekturprogrammatik abverlangt - ein Trugbild der Eintracht.

23. November 2002 - Walter Chramosta
Am vergangenen Montagabend sind im Wiener Semper-Depot alle alten Architektur- und Architektenprobleme sogar im Dreiparteienkonsens merkwürdig leicht ausräumbar: Architektur ist dort unbestritten ein ressortübergreifendes Feld engagierter Bundespolitik, das nicht dauernd der Administration überantwortet werden kann, im Bundesbau ist umfassende Qualität oberste Prämisse, das Wettbewerbswesen als Qualitätsgarant ist selbstredend auszubauen, die Architekturförderung des Bundes ist höher zu dotieren, und nicht zuletzt ist die angespannte Berufssituation der Architekten dadurch kurzfristig zu verbessern, daß die Honorarordnung der Architekten anerkannt wird.

Freudige Überraschung, aber zugleich Skepsis unter den Architekturschaffenden: Ist diese einmütige Einwilligung in eine aktive Architekturpolitik des Bundes trotz jahrelang gebetsmühlenartig vorgetragener Forderungen nur dem knapp eine Woche vor einer Nationalratswahl herrschenden hohen Bekenntnisdruck zuzuschreiben, oder ist tatsächlich eine Regierungstätigkeit absehbar, die gebaute Umwelt nach Kriterien gestaltend beeinflussen will? Auf Einladung der Plattform für Architektur und Baukultur beantworten Sozialdemokraten, Freiheitliche, Volkspartei und Grüne einen Fragenkatalog, der von den unerträglichsten Zwängungspunkten hiesiger und den Standards europäischer Architekturproduktion ausgeht. Zudem erklären sich die Parteien mit Ausnahme der Freiheitlichen bereit, an einer Podiumsdiskussion teilzunehmen, die architekturpolitische Lösungen für die nächste Legislaturperiode aufzeigen soll.

Die Bekenntnisse und Verwendungs- adressen in der gut besuchten Diskussion gehen in Kernfragen über die schriftliche Beantwortung hinaus. Die überparteiliche, aber sich ihrer grundsätzlich politischen Mission sehr bewußte Plattform für Architektur und Baukultur kann sich zugute halten, daß sie die Gunst der eiligen Politikerstunde nutzen konnte; die Bewährungsprobe bei der Überführung der Zusagen in Koalitionsvereinbarungen, Regierungsprogramme, Oppositionsstrategien et cetera steht noch bevor. Beharrlichkeit und mediale Präsenz werden unumgänglich sein, um die scheinbaren Randmaterien Architektur und Baukultur unumgänglich zu machen.

Die Anläufe zur Qualifizierung des Baugeschehens auf politischer Ebene sind längst zu zahlreich; die in der Endphase der Kanzlerschaft Klima bis ins Detail diskutierte Reform des Bundesbauwesens noch plastisch in Erinnerung. Um nach zwei Jahren diesbezüglicher Stagnation nun nicht neuerlich das „Rad der Architektur“ erfinden zu müssen, hat sich die Plattform für Architektur und Baukultur kürzlich mit dem Ziel formiert, die Anliegen der österreichischen Architekturschaffenden an die Parteien und die Parlamentarier heranzutragen, um weiteren ergebnisarmen Legislaturperioden vorzubeugen. Der Schulterschluß ist bemerkenswert, weil er die Kammern, die gesetzlich verankerten Interessenvertretungen der Architekten, mit den Hochschulen und den vielfach vereinten Qualitätslobbyisten in allzu selten wahrnehmbarer Allianz zeigt: Architektur kann auf dieser breiten Plattform nicht mehr als berufsständisches Anliegen in Konkurrenz zu anderen Sozialpartnern, als selbst zu regulierendes Überforderungsdilemma der Hochschulen oder als Teil der von allen Körperschaften im Wechselspiel herunterlizitierten Kunstförderung abgetan wer- den: Das öffentliche Interesse an Architektur ist glaubhaft manifestiert. - In- teressant sind, neben den unter www.architekturpolitik.at nachzulesenden Antwortkatalogen, besonders die Aussagen der Parteienvertreter, sofern sie ein Abgehen von bisherigen Haltungen signalisieren. Vorweg: Die Forderungen einer institutionenübergreifenden Architekturallianz haben mehr Gewicht; die von der Volkspartei auf das Podium entsandte Fachfrau Herlinde Rothauer hebt den integralen Charakter der Plattform hervor; damit ist offenkundig, welche politische Schubkraft nicht allein von den Kammern getragene Architekturinitiativen in Richtung Bundesregierung entfalten könnten. Rothauer definiert die Aufgaben der Bundesbaupolitik in zweierlei Richtung: Einerseits sollte die Rolle des Bauherrn Republik beispielgebend wahrgenommen werden, andererseits die atmosphärischen und materiellen Rahmenbedingungen für die Architekturentwicklung sichergestellt werden. Zentraler Terminus Rothauers ist die Partnerschaft zwischen Bauherr, Architektenschaft und Wirtschaft. Preis und Qualität stehen dabei in produktiver Wechselwirkung. Auch wenn die Honorarordnung der Architekten als Verpflichtung aufgehoben ist und in den schriftlichen Positionen der Volkspartei lediglich als „nützlicher Leitfaden“ benannt wird, beinhaltet diese Partnerschaft das Prinzip des fairen Preises. Festgehalten werden muß, daß dies eine Neuausrichtung der langjährigen Vergabepraxis im von der Volkspartei verantworteten Ressort Wirtschaft und Arbeit bedeuten würde, wo allzu oft Sparsamkeit und Risikominimierung vor Qualität, Transparenz und Fairneß gereiht wurden.

Die strukturkonservative Sicht der Volkspartei drückt sich auch darin aus, daß die verteilten Zuständigkeiten im Bundesbau bisher kein Problem seien, sofern die Verantwortung von allen wahrgenommen und die Querschnittskompetenz an zentraler Stelle moderiert werde. Ein Kunststaatssekretariat könne diese Koordination leisten. Ein Überblick über das Bundesbaugeschehen der neunziger Jahre würde aber zeigen, daß genau diese Festlegung von Mindeststandards im Bundesbau noch nicht gelungen ist; immerhin räumt Rothauer zusätzlich zum Antwortkatalog ein, daß erst ein Grundsatzprogramm für eine aktive Architekturpolitik erstellt werden müsse, das durchaus auch ein Konsultationsgremium für die Bundesregierung enthalten kann.

Für die Sozialdemokratie postuliert Josef Cap auch eine Langzeitstrategie der offensiven Architekturförderung, nach niederländischem Muster, getragen von gesellschaftspolitischen Intentionen etwa im Bildungs- und Sozialbereich, grundsätzlich gegen den in Österreich grassierenden Konservativismus gerichtet, auf gestrafften Baukompetenzen basierend, das Risiko von Aktualität und Radikalität einkalkulierend. Sein Slogan: Mutige Architektur braucht mutige Politik. Unter sozialdemokratischer Kanzlerschaft sind die mutigen Bauten freilich bisher nicht entstanden.

Für Cap ist Architektur ein Medium, in dem sich politische Epochen verfestigen; eine in Österreich notorisch vergebene Chance. Als ökonomische Randbedingung sei für Cap die Honorarordnung prinzipiell anzuerkennen - auch eine neue Situation, die bei der Stadt Wien erhebliche Lerneffekte auslösen wird. Ein Architekturrat soll ein Architekturleitbild für öffentliche Auftraggeber erstellen. Überhaupt zeigt sich Cap in konzilianter, fast gönnerhaft lockerer Diktion bereit, im Falle der Übernahme von Regierungsverantwortung den Vorschlägen der Architekturschaffenden Rechnung zu tragen.

Auf weite Strecken mit Cap inhaltlich übereinstimmend, am präzisesten und realisierbarsten ausformuliert die Positionen der Grünen, vertreten durch Eva Glawischnig. Ziel ist, erstmalig in Österreich eine umfassende Architekturpolitik zu betreiben, denn: Gute Architektur lohnt sich immer, und Bauen ist keine private Sache!

Eine neue Regierung müsse in einer Enquete den architektonischen Stand der Dinge erheben, in einer Regierungserklärung Ziele der Architekturpolitik benennen. Die Republik muß als Bauherr mehr Mut beweisen, die materielle Seite der Architektenleistung trotz Abgehen von der Bindung der Honorare an die Baukosten außer Streit stellen, die Qualitätssicherung in der Breite sicherstellen, ganzheitliche Kriterien zur Steuerung der Bundesimmobiliengesellschaft festlegen und auf die Privatisierung verzichten, ein Weißbuch zur Architektur und Baukultur verfassen, das Architekturbudget signifikant erhöhen . . .

Sogar die genereller verschrifteten Positionen der Freiheitlichen widersprechen im Grundsatz jenen der anderen Parteien nicht. Konsens und Akkordierung sollen daher in jedweder Koalitionsverhandlung möglich sein - wenn Architekturpolitik überhaupt auf die Agenda kommt. Noch ist die verheißungsvolle Eintracht zur Architekturpolitik trügerisch, zu viele Jahrzehnte sind Bundespolitiker gut ohne eine solche ausgekommen. Die Architekturschaffenden müssen mit noch geschliffeneren Argumenten nachsetzen, um den Entwurf einer Architekturpolitik in die Einreichung zu bringen.

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