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Kunst - Natur - Architektur
Neue Zürcher Zeitung

Herzog & de Meuron im CCA in Montreal

7. Dezember 2002 - Hubertus Adam
Im Gegensatz zu Kunstausstellungen, die eine direkte Konfrontation des Betrachters mit den Werken der Kunst erlauben, besitzen Architekturausstellungen lediglich Verweischarakter: Die Exponate fungieren als Stellvertreter von Bauten, die sich ausserhalb des Museumsraums an einem anderen Ort befinden. In asketischer Manier Pläne und Zeichnungen zu präsentieren, ist allein für ein architektonisches Fachpublikum interessant; Modelle oder Computerperspektiven sprechen eine breitere Öffentlichkeit an, besitzen jedoch eine Suggestivität, welche vielfach eine dem räumlichen Erlebnis des realen Gebäudes kaum adäquate Eigendynamik entwickelt. Aufgrund dieser Problemlage misstrauen die Basler Architekten Herzog & de Meuron seit je der musealen Repräsentation ihrer Bauten. Schon ihre erste Ausstellung 1988 - zehn Jahre nach Bürogründung - im Architekturmuseum Basel brach mit den Konventionen: Fotos der eigenen Bauten waren im Siebdruckverfahren auf die Fensterscheiben aufgebracht, so dass die immateriellen Bilder gleichsam wie ein Filter zwischen Museumsraum und Aussenwirklichkeit fungierten. Anlässlich der Architekturbiennale Venedig 1991 wurden mit Balthasar Burkhard, Margherita Spiluttini, Thomas Ruff und Hannah Villiger vier Künstlerinnen und Künstler gebeten, im Schweizer Pavillon ihre Sicht auf Bauten der Basler Architekten zu dokumentieren. Und für die Retrospektive im Centre Pompidou 1995 wählte Rémy Zaugg als Displaystruktur eine strenge Reihung von mit Glasplatten versehenen Tischen, in deren Oberflächen sich die Neonröhren der Decke spiegelten.


Prinzip Wunderkammer

Während die Präsentation von 1995 auf asketische Reduktion setzte, wirkt die «Archaeology of the Mind» betitelte opulente Schau im Centre Canadien d'Architecture (CCA) in Montreal, welche auf einem für die Fondazione Prada in Mailand 2001 entwickelten Ausstellungskonzept basiert, in jeglicher Hinsicht wie eine Gegenposition. Passten in Paris einzig zweidimensionale Arbeiten zwischen Tischplatte und Glasscheibe, so finden sich nun ausschliesslich dreidimensionale Objekte auf Sockeln, die von gebogenem Plexiglas überwölbt werden. Und die rigide chronologische Abfolge wurde durch ein Arrangement ersetzt, das die sechs zentralen Säle des CCA in beliebiger Reihenfolge zu begehen erlaubt. Kurt W. Forster als Initiator des Projekts und Philip Ursprung als Kurator haben sich an der Idee der Wunderkammer orientiert, also an einem vormodernen Sammlungskonzept, bei dem Gegenstände heterogener Provenienz und Qualität zueinander treten.

Der Gedanke einer alchimistischen Metamorphose von Natur- und Kunstform, welcher die Kunstkammern der frühen Neuzeit bestimmte, ist dem Werk von Herzog & de Meuron durchaus adäquat. Neben den Eigenschaften des Materials interessierten die Architekten in den vergangenen Jahren zunehmend auch die formalen und morphologischen Dimension des Natürlichen: Die Linie führt vom Ricola-Lagergebäude in Laufen, dessen Eternitfassade in unmittelbare Korrespondenz zur Kante eines früheren Steinbruchs tritt, zu den biomorphen Projekten der jüngsten Zeit - handele es sich dabei um den aus konkaven und konvexen Formen sich bildenden Baukörper der Bibliothek in Cottbus oder die geplante Hafenanlage von Santa Cruz de Tenerife, bei der eine Struktur aus sich überlagernden Pixelrastern naturähnlich erscheint und somit Interferenzen und Irritationen erzeugt. Abweichend von der Ausstellung trägt der Katalog den Titel «Naturgeschichte», wobei man den Begriff nicht evolutionär verstehen sollte, sondern im Sinne der «naturalis historia» des Plinius: morphologisch und physiognomisch. Dabei steht auch der Gedanke des Sammelns und Stapelns in sinnvoller Beziehung zum Œuvre von Herzog & de Meuron, denkt man an die Ricola-Lagerhäuser in Laufen und Mülhausen, vor allem aber an das Schaulager, das im Frühjahr in Basel eröffnet wird.
Inspiration oder Assoziation

In der Ausstellung tritt eine Vielzahl von Modellen, plastischen Skizzen und Materialproben neben diverse kunst- und naturhistorische Exponate. Das können Fossilien oder Insekten, chinesische Gelehrtensteine oder Daguerreotypien, Farbproben oder Musterbücher sein. Viele dieser Arrangements sind suggestiv, manche erhellend, einige bemüht - je enger der tatsächliche Bezug, desto überzeugender. Dass ein Grossteil der Vergleichsobjekte aus dem Magazin des CCA stammt, ist naheliegend und verräterisch zugleich, entsteht doch zuweilen der Eindruck, alles passe irgendwie zu allem, wenn man denn nur lange genug nach einem Link suche. Kategoriale Differenzierung scheitert bei einem derartigen Vorgehen, und es ist kein Wunder, dass sich die Einteilung des Katalogs in sechs Kapitel (Transformation und Verfremdung, Aneignung und Umbau, Lagern und Komprimieren, Eindruck und Ausdruck, Verschachtelte Räume, Schönheit und Atmosphäre) in der Ausstellung nicht wiederfindet. Zweifellos: Das assoziative, von methodischen Präsentationsrastern freie Konzept entspricht dem Gedanken der Wunderkammer und damit einer Zeit vor der positivistischen Wissensstrukturierung des 19. Jahrhunderts, in dem sich die Kunstgeschichte als eigene Disziplin ausbildete. Und doch wird mitunter des Guten zu viel getan, wenn etwa ein historischer Spielzeugbaukasten neben Modelle von Herzog & de Meuron tritt, weil - so die Beischrift - viele Modelle der Architekten wie Spielzeug aussähen.

Somit besteht das eigentliche Problem der Ausstellung darin, dass zwischen tatsächlichen Inspirationsquellen der Architekten und Assoziationen des Kurators nur mit Mühe unterschieden werden kann. Besonders deutlich wird das angesichts der Werke bildender Kunst, welche in der Ausstellung ebenfalls zu sehen sind. Die vielfältige Beziehung der Architekten zur Kunst ist bekannt: Jacques Herzog war in seinen frühen Berufsjahren als Künstler tätig - die Einladung von Joseph Beuys zur Basler Fasnacht 1978 bildet nahezu einen Gründungsmythos des Büros. Die Masken der damaligen Aktion «Feuerstätte II» sind somit in Montreal am richtigen Ort. Wenn man jedoch, um in die Ausstellung zu gelangen, einen mit Filz ausgekleideten Korridor passieren muss, der überdies - wie auch die folgenden Ausstellungssäle - mit den «blp» genannten Strichmarkierungen von Richard Artschwager gespickt ist, so schlägt eine zu Recht auf Sinnlichkeit zielende Inszenierung in Auratisierung um. Ähnlich verhält es sich in den Sälen, wo potenzielle bildkünstlerische Anregungen neben Werke treten, die in tatsächlichem Zusammenhang mit Arbeiten von Herzog & de Meuron stehen: Bilder von Rémy Zaugg, Fotos von Thomas Ruff oder, erstmals in Montreal zu sehen, ein grandioser, im Auftrag des CCA entstandener Silbergelatine-Print der Dominus Winery von Jeff Wall. - Weniger wäre folglich auch hier mehr gewesen. Denn die wahre Alchimie des Werks von Herzog & de Meuron zeigt sich anhand der Arbeitsmodelle, die sonst verborgen in den Kellern des Büros an der Basler Rheinschanze lagern. Aus Gips oder Kupfer, Plastic und Holz, Beton und Lochblech geschnitten, gesägt, gegossen oder gefaltet, offenbaren sie, wie unspektakuläre Materialien in einem kontinuierlichen Formfindungsprozess veredelt werden. Dass Experimentierfreude und Phantasie nicht nachlassen, ist bei einer Bürogrösse von beinahe 200 Mitarbeitern ohne Beispiel. Dies zu beweisen, bedarf es keiner prätentiösen Kontexte.


[ Bis 6. April im CCA in Montreal (anschliessend im Heinz Architectural Center in Pittsburgh; weiter sind Präsentationen im Schaulager Basel und im NAI in Rotterdam geplant). Katalog: Herzog & de Meuron. Naturgeschichte. Hrsg. Philip Ursprung. Lars Müller Publishers, Baden 2002. 472 S., Fr. 89.-. ]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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