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Ein Befreiungsschlag für Basel?
Neue Zürcher Zeitung

Vom Zentrum über die Stadtränder zur Region

Der Stadtkanton Basel verfügt über wenig Landreserven. Auch bestehen - im Unterschied etwa zu Zürich oder Baden - verhältnismässig wenig Industrie- und Gewerbebrachen. Vor kurzem stellten Herzog & de Meuron ihr Drehbuch für den langfristigen Umbau des Dreispitzareals zu einem neuen Viertel am Südrand der Stadt vor.

6. Dezember 2002 - André Bideau
Architektur und Städtebau bewegen sich zunehmend im Kräftefeld eines anonymer werdenden Immobilienmarktes. In einem Spiel mit immer mehr Variablen und Eventualitäten entfällt ein «authentischer» Zweckbegriff ebenso wie die Sicherheiten eines stabilen Kontextes - was nicht heisst, dass diese Parameter planerisch ausgereizt wären. Im Gegenteil. Zeitgenössische Urbanität ist eine dynamische Angelegenheit, die stets rekonfiguriert, neu ausgehandelt und interpretiert werden muss. Heute werden städtebauliche Anliegen weniger durch langfristig greifende Leitbilder und Dispositive als vielmehr durch projektbezogene Strategien und medienwirksame Interventionen geregelt. Zu Letzteren gehört auch die Beauftragung einer weltbekannten Architekturfirma wie Herzog & de Meuron, um Möglichkeiten für das Basler Dreispitzareal auszuloten. Herzog & de Meuron untersuchten für das ausgedehnte Gewerbegebiet, in dem sich auch das Basler Zollfreilager befindet, erste Konzepte für ein langfristig greifendes Umnutzungsszenario (NZZ 31. 10. 02). Dabei handelt es sich um eine Art Heimspiel für die Basler Architekten, die hier am Südrand der Stadt bereits mit mehreren SBB-Bauten sowie mit dem Stadion St. Jakob präsent sind. Seit kurzem befinden sich mitten im Dreispitzareal zudem die Räumlichkeiten der Fotostiftung Ruth und Peter Herzog, die von Herzog & de Meuron umgebaut wurden, während am Rand des Areals das Schaulager der Emmanuel-Hoffmann-Stiftung im Jahr 2003 seinen Betrieb aufnehmen soll.


Ruhige Gangart

Beim Dreispitzareal verzichten Herzog & de Meuron weitgehend auf objektbezogene Strategien. Sie schlugen zwar einen aus Hochhäusern bestehenden «Kopf» vor, der das Areal nach Norden zur City hin orientieren könnte. Sonst aber haben Herzog & de Meuron in ihrer Studie die bis vor kurzem «verbotene Stadt» lediglich hinsichtlich möglicher Dichtegrade und Erschliessungsstrukturen untersucht und mögliche Nutzungen vorgeschlagen. Die Devise «Öffnen und Programmieren» zeigt sich weitaus weniger einer morphologisch-topographischen Lektüre verpflichtet als die Studie «Basel, eine Stadt im Werden», die sie 1991 mit Rémy Zaugg entwickelten. Doch gerade in Anbetracht dieser Offenheit stellt sich die Frage, wer im Dreispitz investieren wird. Wer liefert die Initialzündung, um einen bisher abgeschotteten Stadtteil zu einer «Adresse» zu machen? Basel kann nicht auf die Investitionsschübe zählen, mit denen etwa eine «Global City» wie Zürich - um mit Saskia Sassen zu sprechen - immer wieder rechnen kann.

Die ruhigere Gangart eines weniger von internationalen und institutionellen Anlegern abhängigen Immobilienmarktes ermöglichte letztlich zwischen 1979 und 1994 Basels vielbeachtete lokale «Architekturpolitik» unter Kantonsbaumeister Carl Fingerhuth. Durch punktuelle Eingriffe konnte am Stadtkörper weitergebaut und rund um den Bahnhof mit den Euroville-Planungen der Grundstein für ein Dienstleistungszentrum gelegt werden. Im Unterschied zur jahrzehntelangen planerischen Blockade hinter dem Zürcher Hauptbahnhof (im Zusammenhang mit dem mittlerweile fallengelassenen Projekt Eurogate) konnte oder kann das Gros der um 1990 gestarteten Euroville-Planungen konkret umgesetzt werden.


Grossstädtisch trotz Wakker-Preis?

Von der Deindustrialisierung war Basel bisher kaum betroffen, während der Strukturwandel in Winterthur, Baden oder Zürich städtebaulich, wirtschaftlich und steuerpolitisch zum dominanten Thema wurde. Die dort aus Maschinenbaukonzernen wie ABB, Maag oder Siemens hervorgegangenen Liegenschaftenfirmen wurden von den sich flexibel gebenden Gemeinden umworben und in kooperative Entwicklungsplanungen eingebunden. In den neunziger Jahren wurden an den Rändern Basels dennoch einige neue Akzente für eine städtebauliche Entwicklung gesetzt, in denen sich zugleich ein Paradigmenwechsel und Repositionierungsversuche gegenüber Gross-Zürich spiegelten. Dies manifestierte sich etwa in der Diskussion rund um die Potenziale des Stadtkantons als Hub der «trinationalen Agglomeration» oder in einer gewissen Ungeduld bezüglich des Tempos der Basler Konsensfindung, aber auch im Wunsch, für die Urbanität am Rheinknie ein zugkräftigeres Image als den 1996 verliehenen Wakker-Preis zu gewinnen.

Alarmzeichen gingen von Kleinbasel aus, als vor bald zehn Jahren die Messe die Konkurrenzfähigkeit ihres dortigen Standortes zu evaluieren begann. Doch statt in die Region auszuweichen, bekannte sie sich zum Konzept eines innerstädtischen Messeareals und begann in Neubauten zu investieren. Im Jahre 1999 wurde Theo Hotz' Halle 1 eröffnet, und Mitte 2003 wird der schon fast vollendete Messeturm von Morger, Degelo & Marques als höchstes Hochhaus der Schweiz folgen. Dringenden Handlungsbedarf erkannte man beim überalterten Wohnungsbestand Kleinbasels, der zwischen den Anlagen der chemischen Industrie, dem Rheinhafen, den Transitkorridoren und den Landesgrenzen gefangen ist. Für neue Nutzungen konnten die vom Hafen besetzten Gebiete zwar nicht erschlossen werden, doch mit dem Bau der Nordtangente und dem Rückzug der Deutschen Bahn vom Güterbahnhofareal wurde das wichtige Planungsgebiet im Norden Kleinbasels frei. Der erste Anlauf zu seiner städtebaulichen Anbindung versandete allerdings.

An Basels strategischen Rändern kam es im Jahr 2002 zum Startschuss auf drei Entwicklungsgebieten gewerblich-industrieller Herkunft. Auf dem Areal des DB-Güterbahnhofs wurde der städtebauliche Ideenwettbewerb von 1996 neu aufgerollt, wobei man den Schwerpunkt auf die in Kleinbasel fehlenden Familienwohnungen und Grünräume legte. In der Endrunde des mehrstufigen Wettbewerbs konnte sich das junge Aarauer Büro Ernst, Niklaus, Fausch mit etappierbaren Grossformen gegenüber einem Vorschlag des Wiener Architekten Adolf Krischanitz durchsetzen. Novartis hingegen setzte für den schrittweisen Umbau seines linksrheinischen Betriebsgeländes zum firmeneigenen «Campus des Wissens» auf einen bekannten Namen: Vittorio Magnago Lampugnani. Der Publizist, Architekt und ETH-Städtebauprofessor wurde direkt mit der Erarbeitung eines Masterplans beauftragt. Medienwirksam sollen Arkaden und einheitliche Traufhöhen auf dem 20 Hektaren grossen Novartis-Gelände das «Erbe» der europäischen Stadt verklären (NZZ 25. 5. 02). Auf der Grundlage von Lampugnanis Masterplan wurde inzwischen ein Studienauftrag für das neue Pharma-Hauptquartier durchgeführt, den Diener & Diener für sich entscheiden konnten.


Vom Puzzle zum Scharnier

Was das Dreispitzareal betrifft, so gehört dieses der Christoph-Merian-Stiftung (CMS). Als grösste Immobilienbesitzerin in Basel-Stadt überlässt sie dessen Verwaltung dem Kanton. Ursache des Studienauftrags an Herzog & de Meuron war nicht ein Strukturwandel, sondern der Wunsch, künftig im Dreispitz eine höhere Bodenrendite zu erwirtschaften, da die CMS ihre kulturellen und sozialen Engagements über den eigenen Grundbesitz finanziert. Handlungsbedarf ist angesagt, da die CMS in der Goldgräberstimmung der neunziger Jahre weder an die Börse ging noch das Dreispitzareal - mit 50 Hektaren ihr grösstes Grundstück - auf den Markt brachte. Für einen grossen Investor wäre es auf Grund der kleinmaschigen Nutzungsstruktur ohnehin wenig attraktiv gewesen: 350 Firmen mit zum Teil bis ins Jahr 2053 reichenden Baurechtsverträgen nutzen das Gelände heute. Zu den traditionell hier ansässigen Gewerbebetrieben und Logistikfirmen kommen eine Reihe von kulturellen Nutzungen, seitdem das Zollfreilager nicht mehr als ein Sperrbezirk hinter hohen Mauern funktioniert.

Die Zukunft des Dreispitzes mit seinen vielfältigen Nutzungen - Arbeit, Freizeit, Bildung und künftig vielleicht auch experimentelles Wohnen (möglicherweise ausgehend von einer Wohnbauausstellung) - ist ein Anliegen, auf das die Stadtplanung über kurz oder lang wird Einfluss nehmen müssen. In der erwähnten Diskussion rund um die Dynamik zwischen Zentrum, Agglomeration und Region erhält das Areal schon dadurch eine wichtige Scharnierfunktion, dass sein Südende in den Kanton Baselland hineinragt. Ohne diesen erweiterten Massstab zu berücksichtigen, dürfte der mit der Studie von Herzog & de Meuron ins Auge gefasste Umbauprozess kaum zu meistern sein. In Zeiten entfesselter Standortkonkurrenz gilt es, vorhandene Nutzungspotenziale und «Hot Spots» aufzuspüren: Brennpunkte, die seit längerem nicht mehr in der Kernstadt, sondern in der Peripherie oder gar Region anzutreffen sind. So muss die - nicht risikolose - Entwicklung solcher Areale ihren Blick gerade auch auf die Agglomerationen richten, wo sich die Prozesse der Umnutzung und Vernetzung oftmals abseits planerisch und medial vermittelbarer Konzepte «spontan» vollziehen.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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