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Ringen um zukunftsträchtige Strategien
Neue Zürcher Zeitung

Athen im Banne der Olympischen Spiele

6. Dezember 2002 - Margarita Sanoudo
In knapp zwei Jahren werden in Athen die Olympischen Sommerspiele 2004 durchgeführt werden. Die Vorbereitungen lösen raumwirksame Prozesse von grosser Tragweite aus. Athen kann als internationale Metropole nur dann Schritt halten, wenn es die von dieser Grossveranstaltung ausgehenden Impulse langfristig zu nutzen weiss.

Auf einer Tagung im Juni 1998 fragte das Institut für Orts-, Regional- und Landesplanung an der ETH Zürich nach den Auswirkungen, die Grossprojekte wie Weltausstellungen oder Olympische Spiele auf den Lebensraum der Austragungsorte haben. Gleichzeitig lotete es das Potenzial von Grossveranstaltungen aus und spürte der Funktion nach, die dabei der Raumplanung zukommt. Mehrmals wurde dabei betont, dass Grossprojekte nachhaltig und langfristig für die betreffende Region von Nutzen sein müssten, und wurde auf den haushälterischen Umgang mit dem Boden und den koordinierten Einbezug öffentlicher Entscheidungsträger verwiesen. Festgehalten wurde, dass sich die Bewerbung Frankfurts für «Urbane Spiele am Main» positiv auf den Einbezug der Flussufer des Mains ins Stadtbild ausgewirkt habe und bei der Schweizerischen Landesausstellung der Raum der westlichen Mittellandseen profitieren werde, auch wenn nach Abschluss der Expo 02 auf den vier Arteplages fast durchwegs der ursprüngliche Zustand wiederhergestellt werden müsse.
Chancen für den Grossraum Athen

In diesen Tagen beginnt sich der Blick der «olympischen Weltöffentlichkeit» vermehrt auf die Entwicklungen in der Region Athen zu richten. Im Zentrum des Interesses stehen dabei auch die baulichen und organisatorischen Interventionen hin zu einer freundlicheren, angenehmeren und grosszügigeren Stadt. Die Olympischen Spiele sind für die griechische Hauptstadt eine einmalige Chance, um städteplanerische Visionen und Anregungen für eine integrierte Stadtentwicklung aufzugreifen und voranzutreiben. Denn dem Grossraum Athen mit seinen rund vier Millionen Einwohnern haftet hartnäckig das Stigma eines steinernen Meers an. Die Stadt mit ihrem starren und engen Strassenraster, ihren hohen Immissionswerten und ihrem grossen Verkehrsaufkommen vermag keine Bauvorhaben mehr aufzunehmen. Gleichzeitig sind die einzelnen Stadtquartiere, Siedlungen und öffentlichen Flächen schlecht miteinander verknüpft.

Im Hinblick auf die Ausführung der Spiele kommen deshalb vielfältige Anforderungen bezüglich Raumordnung, Infrastruktur und Vernetzung auf die griechische Metropole zu. Erwähnt seien nur die Effizienz der Verkehrsmittel, die Belastbarkeit des Strassennetzes, die touristische Infrastruktur, die koordinierte Raumnutzung, die Erfassbarkeit des Stadtgewebes. Besondere Belastungen, aber auch Chancen erwachsen der Stadt durch die eigentlichen olympischen Aktivitäten, die auf einem Modell geographisch verteilter Austragungsorte basieren. Diese kommen aus Konsensgründen auf bestehende Restflächen zu stehen. Potenziell eröffnen sich Entwicklungsmöglichkeiten wie die Förderung des öffentlichen Lebens, die Einbindung der Naherholungsgebiete am Meer und in den Bergen, aber auch Gefahren wie beispielsweise die Verschwendung von Ressourcen. Was einst temporäres Ereignis für den Geist und den Körper war, ist nun Erinnerung, die sich im Gebauten als «kollektive Skulptur» der bis ins Jahr 776 v. Chr. zurückreichenden Geschichte der Olympischen Spiele und der nationalen Zukunftsvisionen auf griechischem Boden manifestiert. So sehr allerdings die Erinnerung eine Stadtentwicklung stimulieren mag, so vehement wirken sich gesellschaftliche Verhältnisse als Hemmnis aus.

Noch fällt es allerdings schwer, sich in der Hektik von Planung und Ausführung eine gültige Vorstellung des Geplanten an den zwölf im historischen Zentrum, am Fuss der attischen Hügel, am Meeresufer und an der Peripherie der Stadt gelegenen olympischen Polen zu machen. Es wird sich zeigen, ob eine stilprägende, im Zusammenhang wahrnehmbare visuelle Identität für die Olympischen Spiele und längerfristig auch für die Stadtentwicklung erreicht werden kann. Darf man einen situations- und zielgerechten Umgang mit der komplexen Aufgabe erwarten? Die sich dem Fortschritt verpflichtet fühlende Pasok-Regierung und die Organisatoren sprachen bereits von einer «Garantie auf Erfolg». Sie dürften daher bestrebt sein, nicht nur «gute Spiele» für die Besucher und die Sportler zu organisieren und somit ein attraktives Ereignis von hoher Qualität anzubieten, sondern auch auf Nachhaltigkeit und Urbanität zu setzen, damit sich Athen als moderne, international konkurrenzfähige Metropole und Griechenland selbst als historischer Knotenpunkt und Vermittler zwischen dem europäischen und dem asiatischen Raum präsentieren kann.
Eine zukünftige Identität

Entscheidend zum Erfolg der Spiele und der Stadtentwicklung soll die Verteilung der Austragungsorte in unterschiedlichen Stadtgebieten beitragen. Hier eröffnet sich die einzigartige Möglichkeit, über planerische Massnahmen die Stadt besser erfahrbar zu machen. Einerseits soll es so möglich werden, die Orte präziser zu fassen, andererseits sollen sich die Besucher auf Entdeckungsreise begeben und die Stadt als begehbares Exponat erleben. Die räumlichen Beziehungen zwischen historischer Stadtsubstanz, Meer und Gebirge könnten so von Ort zu Ort erfahrbar werden. Verkehrstechnisch, infrastrukturell und bezüglich des Stadterlebnisses bedeutet die geographische Aufsplitterung der Spiele allerdings einen erheblichen planerischen Mehraufwand, um dessen Bewältigung man sich intensiv bemühen muss.

Über den Erfolg der Olympischen Spiele von Athen wird auch das sie begleitende Stadtentwicklungskonzept entscheiden, das bereits Defizite aufweist: etwa den nur partiellen Ausbau der Metro. Im Sinne der Nachhaltigkeit werden die olympischen Interventionen im Raum Athen langfristig daran gemessen werden, ob die durch die Spiele bedingten Eingriffe in ein ganzheitliches Stadtentwicklungskonzept integriert sind, ob die kulturellen, wirtschaftlichen und geographischen Qualitäten Athens und Griechenlands als Botschaft erkennbar thematisiert sind und ob die Olympischen Spiele dem geistigen und wirtschaftlichen Leben der Nation zukunftsweisende Impulse zu geben vermögen. Von den Organisatoren ist deshalb mehr gefragt als die Vermarktung eines schön verpackten «Luxusgutes». Derweil sieht man sich auf Grund der bisherigen Entwicklung zu Skepsis veranlasst. Jenseits von Alltag und effekthascherischer Oberfläche sollte der Blick nicht verloren gehen auf das Land und die Menschen. Die Metropole darf nicht der tragischen Unachtsamkeit verfallen, die Chancen dieses internationalen Grossanlasses für Stadt und Region nicht wahrzunehmen.

Mögen Teilplanungen auch einen gewissen Fortschritt darstellen, so ist doch die Entwicklung einer urbanen Haltung ohne eine Gesamtschau und den entsprechenden baulichen Rahmen unvorstellbar. Die Metropole vermag ihre Grenzen zu überwinden. Sie könnte die Geographie des attischen Beckens in eine symbolische Stadtlandschaft verwandeln, in der sich das historische Zentrum, die Stadt der Gegenwart und das geistige Erbe auf höchst eindringliche Weise verdichten. Mit aller Kraft sind daher die Voraussetzungen zu schaffen für die langfristige Entwicklung eines leistungsfähigen öffentlichen Verkehrsnetzes, für die Erschliessung der Erholungszonen am Meer und in den Bergen, für eine lebenswerte und vielfältige Urbanität mit klarerer Profilierung des öffentlichen und kulturellen Lebens und für eine prosperierende Wirtschaftsdrehscheibe.

[ Die Autorin ist Architektin und Raumplanerin ETHZ in Athen und Zürich. ]

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