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Warum auch die Zigarre Architektur ist
Der Standard

Der britische Architektur-Querdenker Cedric Price gilt als Visionär seiner Zunft. Er predigt die Baukunst als Disziplin der Geschwindigkeit und des Wandels, in deren Zentrum stets der Mensch zu stehen hat. Heute, Montag, erhält er den Friedrich-Kiesler-Preis.

9. Dezember 2002 - Ute Woltron
Wien - Cedric Price ist einer jener Architekten, die die Welt anhand von Kleinigkeiten erklären können, so etwa am Beispiel der Montecristo No 2. Die meisten Architekten rauchen den Zeppelin unter den Zigarren deswegen, weil nur er die perfekte Form aufweise: Je nach Befindlichkeit, je nach Nervosität oder Entspannung, sagt er, könne der sich verjüngende Querschnitt beschnitten und so in seiner Rauchdurchgängigkeit vom Nutzer selbst definiert werden.

Der Benutzer: Er steht und stand stets im Mittelpunkt der Überlegungen des 68-jährigen Briten, der heute, Montag, für sein visionäres Architektur-Querdenken in Wien mit dem Friedrich-Kiesler-Preis bedacht wird. Was die mit 55.000 Euro satt dotierte Auszeichnung für ihn bedeute, werde er zwar erst im Moment der Übergabe ermessen können. Ganz sicher sei er jedenfalls „delighted“, und die Leute, die ihn dafür erwählt hätten, müssten „enorm kluge, wahrscheinlich als genial zu betrachtende Menschen“ sein.


Theorie-Ahn mit Pfiff

Price selbst ist einer der Ahnen eines ganz speziellen Nachdenkens über die Welt, die Menschen und ihre Gebäude, er ist einer derjenigen, die Funktionen und Befindlichkeiten miteinander vermischen können, denen es schon in den 60er-Jahren nicht um die Schönheit bestehender, sondern um den Gebrauchswert künftiger Formen ging - und bis heute geht. In diesem Sinne ist der verschmitzte alte Mann, der hier in Zigarrennebel eingehüllt bei roten Weinen sitzt, ein kraftvoller jugendlicher Revolutionär, der der Bauwelt immer noch mehr zu sagen hat als viele seiner jüngeren, glatten, marmordenkenden Kollegen.

Das meiste dessen, was dieser Tage gebaut würde, sei verstaubt und kraftlos; in London, Los Angeles, New York würden die gleichen schlechten Häuser emporschießen wie in Nairobi oder Schanghai. Die Architekten - egal, ob talentiert oder eher schwachbrüstig - seien allesamt viel zu eitel und mehr auf ihr eigenes Werk als auf die Benutzer bedacht. Doch das sei bereits in den 60er-Jahren so gewesen, und wenn die Zunft der Baukünstler zunehmend an Einfluss verliere, so hätte sie das ausschließlich sich selbst zuzuschreiben.

„Ich will die Angelegenheit mit den Tugenden eines guten Küchenchefs vergleichen“, sagt der Brite: „Wenn der meint, er sei ein Künstler und brauche eben zwei Stunden länger, um das Mahl zu erstellen, dann hat er schon verloren, weil kein Mensch so lange auf seine Speise warten will.“ Niemand käme außerdem je auf die Idee, Waffen, Helikopter oder Flugzeugträger von saumseligen, selbstverliebten Architekten designen zu lassen, denn „diese Dinger müssen perfekt, sofort und ununterbrochen funktionieren, sonst werden Kriege verloren“.

Zeit, Geschwindigkeit, Bewegung, Veränderung: Das sind die Begriffe, die Price als einer der Ersten schon vor vier Jahrzehnten auch in die Architektur einzuführen versuchte, was ihm anhand tatsächlich gebauter Projekte nur gelegentlich gelang, was er als Lehrer an der renommierten Londoner Architectural Association aber theoretisch ausbaute und an den Nachwuchs weitergab.

Prices Konstrukte sind allesamt Legende. So entwarf er etwa den „idealen“ Vogelkäfig für den Londoner Zoo, dessen Struktur sich je nach Windlage verändert, dachte aber gleich weiter und ersann bisher nicht realisierte Käfige, die sich mit den Vögeln im Flug in die Lüfte erheben könnten. Ebenfalls unrealisiert blieb Prices Kulturkomplex Fun Palace, der all das widerspiegelt, was dem Architekten ein Anliegen ist: Multifunktionalität und die Begabung des Gebäudes, sich ununterbrochen während der Benutzung verändern und anpassen zu können. „Kultur ist eine wesentliche Komponente des Wandels im Laufe der Zeit“, meint er: „Sie wird durch Erzeugen und Konsumieren geschaffen, nicht aber durch Identifizieren, Klassifizieren und Lagern.“

Price vertritt die Ansicht, dass jede Generation die für sie spezifische Architektur brauche, weshalb er ein vehementer Verfechter der Abrissbirne ist. Für London baute er seinerzeit ein Kulturzentrum mit Ablaufdatum: Als dieses überschritten war und sich Architekturdenkmalschützer für den Erhalt stark zu machen begannen, intervenierte der Architekt so lang bei den zuständigen Behörden, bis das Ding tatsächlich zu seinem großen Vergnügen abgerissen wurde.


Stadt als Konzentrat

Die „versteinerten“ Städte Europas seien letztlich eine Bürde, die Stadt selbst ein Konzentrat in verschiedenen Stadien, das ordentlich aufbereitet werden müsse, und auch dafür bietet Price visionäre Lösungen an: Sein Projekt Magnet City zeichnet sich durch sich stets wandeln könnende Strukturen aus, die „Beziehungen und soziale Räume loszutreten, neue Muster und Situationen auszulösen“ vermögen.

Mit Friedrich Kiesler selbst, dem der nun vergebene Preis gewidmet ist, sieht sich Cedric Price insofern ein wenig verwandt, als der, „wie mir scheint, die richtigen Fragen gestellt hat“. Es seien zwar nicht seine, Prices Fragen, doch die Denkrichtung stimme. Während Kiesler aber ein einzelgängerischer Solist gewesen sei, habe er, als alter Linker, immer die Menschen im Vordergrund seines Handelns gesehen. Die Architektur ist keine Kunst, sondern die Kunst zu entsprechen, Schutz und Freiheit zugleich zu bieten, und zwar für diejenigen, die sie verwenden. Der Architekt selbst hat eine Hintergrundfigur zu bleiben. Wenn das Werk vollbracht ist, darf er dann zufrieden eine Zigarre rauchen.


[Vortrag Cedric Price: Erste
Bank-Arena im quartier21/
MuQua, 10. 12., 19 Uhr]

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