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Geteilte Territorien
Neue Zürcher Zeitung

Urbanismus in Paris

3. Dezember 2002 - Marc Zitzmann
«Territoires partagés, l'archipel métropolitain» heisst die neue Ausstellung im Pariser Pavillon de l'Arsenal. Ihr Ziel ist es, das Entstehen, Sein und Werden der Metropole Paris in möglichst vielen Facetten zu beleuchten. Über hundert Autoren - Architekten, Stadtplaner, Wissenschafter usw. - befassen sich in kurzen Bild- und Textbeiträgen mit Themen wie der Geographie des Pariser Beckens, den Schwankungen der Bevölkerungsdichte, den Strategien der öffentlichen Verkehrsplanung, den Universitätsprojekten oder der Rehabilitierung der Bièvre, des zweiten, weitgehend unbekannten Flusses in der Stadt.

Oft geht dabei der Blick über den Tellerrand, um die jenseits des Périphérique gelegenen Randgemeinden, ja die gesamte Region Ile-de-France mit einzubeziehen. So zeigen viele Beispiele, dass zwischen Zentrum und Peripherie nicht nur ein Austausch besteht, sondern geradezu ein symbiotisches Geflecht. Zudem können neue Zentren in der Peripherie attraktive Alternativen zur Pariser Innenstadt bieten. Symptomatisch für die Emanzipation der früheren Vorstädte sind die hochmodernen, die Kapitale völlig umgehenden Tramverbindungen zwischen Banlieue-Städten.

Als Ganzes betrachtet, mag man in der Schau einen roten Faden vermissen. Auch nach dem Lesen des 390-seitigen, wie immer in Zusammenarbeit mit Picard Editeur (hervorragend) realisierten Katalogs ist als einzige übergreifende Gemeinsamkeit auszumachen, dass sich alle Beiträge mit urbanistischen Fragen aus dem Pariser Grossraum befassen: Doch da dieser Grossraum alles andere als homogen ist, muss die Ausstellung diesen Sachverhalt wohl oder übel widerspiegeln. Auch die Kritik, der Besucher werde mit Material erschlagen, greift nicht. Zum einen ist es zu loben, wenn eine Institution nicht der Mode des theorielastigen Firlefanzes erliegt oder auf eine sinnenvernebelnde Flut spektakulärer Bilder setzt, sondern sich auf Fakten und Zahlen konzentriert. Zum andern dürfte gar nicht intendiert sein, dass eine jede und ein jeder sich sämtliche Texte und Bilder zu Gemüte führe, von A bis Z. Der Pavillon de l'Arsenal wendet sich schliesslich nicht nur an Fachleute, sondern auch an Herrn und Frau Jedermann, die nur geschwind einmal hereinschnuppern wollen, um zu erfahren, was an Projekten läuft in ihrem Viertel oder in der Vorstadt, wo ihre Kinder oder Bekannten leben. So ist die Ausstellung auch als ein Beitrag ans Gemeinwesen zu verstehen, und nicht nur als ein akademisches Exerzitium.

Nicht zuletzt regt auch die Szenographie das Interesse an. Wie immer wurde für die Gestaltung des Parcours ein auswärtiger Architekt verpflichtet, mit Shigeru Ban sogar ein hochkarätiger. Seiner Recycling-Ethik und -Ästhetik treu, hat der Japaner aus runden oder quadratischen Pappröhren mannshohe, lang geschlängelte Paravents gebastelt, worauf Texte, grossformatige Fotos und Pläne geklebt sind. In zehn Meter hohen, tornadoförmig zur Decke aufragenden «Zelten» aus Filzstoff sind drei Fotoreportagen über Vorstadtlandschaften zu sehen; in geschlossenen Strukturen aus Aluminiumgeflecht sogenannte «Parcours» - deren Texte allerdings zum Teil in jenen vage konzeptuellen Jargon verfallen, den die Schau sich im Übrigen wohltuend versagt.


[Bis Februar 2003. Katalog: Territoires partagés, l'archipel métropolitain. Ed. du Pavillon de l'Arsenal, Picard Editeur, Paris 2002. 390 S., Euro 53.-.]

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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