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Glas zwischen Tradition und Neuerung
Neue Zürcher Zeitung

Zwei Bände zum Werk von Hans Gottfried von Stockhausen

27. Dezember 2002 - Irène Lochbrunner
Von der ungebrochenen Faszination des Werkstoffs Glas in der Moderne zeugen zwei im Hirmer-Verlag erschienene Bildbände, die dem Schaffen des deutschen Glasgestalters und Malers Hans Gottfried von Stockhausen gewidmet sind: dem «Architekturgebundenen Glasbild» der eine, dem «Freien Glasbild» der andere. Nach den erschütternden Erlebnissen des Zweiten Weltkriegs, die Stockhausen als junger Kriegsgefangener zeichnerisch bewältigte, wurde er aufgrund seiner Begabung 1947 Schüler des Glasmalers Yelin in Stuttgart. Im Zuge des Wiederaufbaus und der Wiederbelebung der Glaskunst in Deutschland war es ihm beschieden, eine grosse Zahl von kriegszerstörten Kirchen mit neuen Fenstern auszustatten. Der erste Band geht mit repräsentativen Beispielen (Ulmer Münster, Konstanzer Münster u. a.) auf die ebenso bedeutende wie eigenständige Rolle ein, die der Künstler in der von Deutschland ausgehenden Entwicklung der internationalen Glasszene übernahm. Wegleitend war für ihn in seiner Arbeit immer die Vorstellung einer tragenden Gesamtwirkung von Räumen. Der sensible Dialog mit der Architektur, der einfühlsame Umgang mit der Lichtführung sicherten seinen Erfolg bis heute auch im angelsächsischen Raum.

Wie das Buch zeigt, war dies selbst in den 1980er und 1990er Jahren der Fall, als die Bautätigkeit zurückging und vermehrt Anliegen privater Stifter zu Aufträgen führten (u. a. für die Thomaskirche Leipzig). Beim Betrachten von Stockhausens Glasfenstern, die im Buch sowohl als ganze Wände in Räumen als auch in Detailaufnahmen sehr sprechend zur Geltung kommen, fällt das weitgehende Festhalten an der figürlichen Darstellung auf. Glasgestaltung ist für Stockhausen nie Selbstzweck, nie bloss Farbsinfonie, vielmehr Dialog - auch mit dem Betrachter. Die vordergründig gegebene Schönheit des farbigen Glases in eine Sinngebung einzubinden, war ihm ein Grundanliegen in seiner Lehrtätigkeit an der Stuttgarter Kunstakademie. Bei der Gestaltung der Motive knüpft Stockhausen oft an die Tradition des Gesprächs mit der Bibel an, dies allerdings in völlig undogmatischem, oft mehrdeutigem Sinn. Die künstlerische Umsetzung des rational Unfassbaren bleibt nach seiner Aussage in der Schwebe «zwischen dem Bedürfnis, glauben zu wollen, und der Schwierigkeit, glauben zu können».

Parallel zu den wandgrossen architekturgebundenen Glasbildern entwickelte Stockhausen das freie Glasbild, um sich in Lehre und Praxis mit seinem Material auch im kleinen Format differenziert auseinanderzusetzen. Der aufgrund dieses Wirkens geprägte Begriff «Stuttgarter Glas» fand internationale Beachtung. Von den abstrahierend gehaltenen, häufig von Ostasien inspirierten einfachen Kompositionen der 1970er und 1980er Jahre führt der Überblick im zweiten Band zu den späteren Werken, die sich wieder vermehrt gegenständlich geben. Formal fällt auf, dass die Binnenzeichnung gegenüber der konturierenden Linie der Bleiruten mehr an Bedeutung gewinnt. Die Qualität der Reproduktionen, ein grosser Vorzug auch dieses Bandes, bringt die durch freie Verwendung der künstlerischen Mittel erzielte Modulation der Farben wunderbar zur Geltung. So bereichern neben Schwarzlot und Silbergelb auch keramische Schmelzfarben die Palette. Dazu kommt die Verwendung mechanischer Mittel wie Schleifen, Ätzen und Sandstrahlen. Anzumerken ist, dass Stockhausen seine Kunst immer mit der handwerklichen Seite verbindet und gewohnt ist, seine Gläser nach Erstellung der Entwürfe in den Werkstätten selbst zu bemalen.

Thematisch geht es auch im kleinen Glasbild um menschliche Grunderfahrungen. Dabei wird etwa der Dialog mit der Mythologie aufgenommen (Daphne) oder ein literarisches Vorbild aufgegriffen (Diotima). Ein Merkmal des Spätwerks ist der Einbezug kalligraphisch gestalteter Texte und Zitate in den Bildzusammenhang. Die Verbindung von Wort und Bild als Schriftbild fordert konzentriertes Sehen. Je mehr der Leser und Betrachter der Bücher sich Zeit nimmt, desto mehr wird er bereichert. Auf den ersten Blick ist Stockhausens Bildsymbolik kaum je zu entschlüsseln. Sie reflektiert im durchscheinenden Werkstoff die Vielschichtigkeit menschlicher Existenz. Licht wäre dabei nicht denkbar ohne Dunkelheit. Das Glas entwickelt die volle Strahlkraft der Farben erst im Kontrast zum Schatten.


[Peter Schmitt: Hans Gottfried von Stockhausen. Das Glasbild in der Architektur. Hirmer-Verlag, München 2002. Textteil 80 S., 196 Tafeln, Fr. 149.-. - Peter Schmitt: Hans Gottfried von Stockhausen. Das Glasbild. Hirmer-Verlag, München 2002. Textteil 56 S., 95 Tafeln, Fr. 89.-. Beide Bände mit einem Geleitwort von Thomas S. Buechner und einem Interview von Bert Hauser.]

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