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Alt werden, ohne alt zu sein
Alt werden, ohne alt zu sein, Foto: Walter Zschokke
Alt werden, ohne alt zu sein, Foto: Luc Boegly
Spectrum

Die Lebenserwartung von Bauwerken ist nicht nur von technischen Aspekten abhängig. Der architektonische Ausdruck muß kulturelle und soziale Akzeptanz finden, sonst kommt ein Bau vor der Zeit in die Jahre.

28. Dezember 2002 - Walter Zschokke
Vor Jahrtausenden war es vermutlich die exakte Geometrie, jene der Pyramiden und später die dem Pantheon eingeschriebene Kugel, die diesen Monumenten eine Aura des Absoluten verlieh, die zerstörerisches Handanlegen hintanhielt und ihnen Dauer sicherte. Die technischen Probleme langlebigen Bauens waren bereits unter historischen Bedingungen und sind auch heute - theoretisch - weitgehend gelöst. Praktisch ergeben sich jedoch immer wieder Schwierigkeiten, weil wider besseres Wissen schleißig gebaut wird - oder weil der architektonische Ausdruck im Zuge allgemeiner kultureller Veränderungen verschlissen ist, bevor die materielle Substanz am Ende ihrer Tage steht.

Diesen Widerspruch mögen die beiden Abbildungen illustrieren. Da sind einmal vier Reihenhäuser aus Holz, errichtet in einem verstädterten Ballungsraum, sorgfältig geplant und ausgeführt von einem erfahrenen Architekten. Nahezu alles wurde bedacht und auf eine lange Lebensdauer ausgerichtet. Aber: Wirken sie nicht etwas streng, sogar lehrerhaft, ein wenig unfroh. Ob das ihre kulturelle Lebensdauer nicht eher behindert als fördert? Das zweite, ein Musiksaal hinter einem alten Café in einer Großstadt, ist so günstig gebaut, wie es eben ging. Der zeitgeistig gestaltete Innenraum wird von einer vielflächig deformierten Oberfläche definiert. Schrille Gegensätze - Kronleuchter aus einer Kirche, Lampen aus einem Operationssaal - ergänzen das Bühnenbild. Das mag zwar kurzlebig, aber für eine spritzige Anmutung zweckhaft sein. Nach zehn Jahren wird man sich voraussichtlich etwas Neues überlegen, um wieder dem Zeitgeist zu entsprechen. Der vom Rohbau unabhängige Innenausbau läßt sich, da amortisiert, bedenkenlos erneuern. Die Metallgitter des Ausbaus sind rezyklierbar, ebenso die Requisiten - falls sich wer findet.

Demonstrativ aktuell ist sowieso kurzlebig, allzu demonstrativ langlebig verbraucht sich auch. Aus dem von den zwei Beispielen aufgespannten Dilemma weist vielleicht Dietmar Eberle einen Weg, indem er frühzeitig fragt: „Wie wird ein Gebäude alt?“ Da 25 Prozent des Gesamtenergieverbrauchs beim Bau anfallen, entscheide sich deren optimale Nutzung „nicht anhand der Solaranlage, sondern anhand der kulturellen Qualität des Gebäudes. Denn diese bestimmt die Lebensdauer“: „Wenn wir irgendwelche technischen, ökonomischen oder energetischen Ziele umsetzen wollen, müssen wir dafür sorgen, daß sie eine soziale und kulturelle Akzeptanz haben.“ (Er sagt sorgen, nicht kämpfen.) Dietmar Eberle spricht hier die gesellschaftliche Verantwortung des Architekten an, die zu oft leicht abwertend, als naives Weltverbesserertum abgetan wird. Allerdings finden wir diese Forderung (wie so manches) bereits bei Vitruv.

Adolf Max Vogt, Zürcher Emeritus für Architekturgeschichte, formuliert im Gespräch mit Anton Schweighofer zurückhaltend: „Architekt zu werden bedeutet, in irgendeiner Weise etwas besser machen, etwas verändern zu wollen, und zwar sehr konkret zugunsten von jemandem. Wenn man dieses Bedürfnis nicht hat, kann man tausend andere Berufe wählen.“ Wolf D. Prix sagt es etwas elitärer: „Der Architekt, der die Welt nicht verbessern will, bleibt Häuslbauer.“ Maßstab ist für ihn die gebaute Innovation. Man kann es auch billiger geben, es muß nicht immer gleich die ganze Welt sein. Die Bedenken von Wolf D. Prix hinsichtlich des Mittelmaßes teile ich nicht. Warum soll eine Anhebung des Durchschnitts die Spitzenleistungen behindern? Etwa weil sich letztere dann nicht mehr so deutlich abheben?

Damit sich nachhaltiges Bauen und nachhaltige Architektur gesamtökonomisch auswirken, muß auch die Masse des Gebauten besser werden. Das braucht die Spitzenleistungen keineswegs zu kratzen, sie wirken ohnehin als Leitsterne. Architektur wird weiterhin eine langsame Kunst bleiben, weil eine vielfältige Industrie dahintersteht, die Baustoffe, Bauteile und Bauverfahren zu ökonomischer und technischer Machbarkeit und Reife entwickeln muß, sollen die neuen Ideen auch zu annehmbaren Kosten realisiert werden. Erfahrungen bei Montageverfahren müssen sich verfestigen, sonst sind die Kosten nicht kalkulierbar. Ein zu schnelles Rotieren der Innovationsspirale führt zu einem gewaltigen „Potlach“, jener demonstrativen Vernichtung künstlerischer oder kultureller Werte durch konkurrierende Potentaten.

Beim Bauen betrifft dies vor allem das Fachwissen der Ausführenden. Was das für die Dauerhaftigkeit der Gebäude heißt, läßt sich leicht ermessen. Dem Tübinger Philosophen Otfried Höffe verdanken wir den Begriff „Verblüffungsresistenz“. Damit bezeichnet er „die Fähigkeit, nicht jede Neuerung von heute für revolutionär neu zu halten“. Sondern dafür Erfahrungen und die Lehren der Geschichtswissenschaften zu nutzen.

Architekten dürften sich an Adolf Loos erinnern, der eine Neuerung nur guthieß, wenn sie eine Verbesserung brachte. Modernisten neigten zu allen Zeiten, die Rolle der Geschichte zu verdrängen oder zu ignorieren. Im blinden Vorwärtsstürmen vergessen die selbsternannten Avantgardisten, ihr Schaffen sozial und kulturell abzustützen, wofür ihnen die Geschichte zahlreiche Ansätze bieten würde. Unterwegs wundern sie sich, wenn Bauherren und Nutzer zurückbleiben. Anstatt zu reflektieren, beschimpfen sie diese dann noch.

Beim derzeitigen Zustand öffentlicher Haushalte sind überproportional hohe Baukosten für Bauaufgaben kaum mehr argumentierbar. Diese Form des Potlach mögen sich vielleicht einige Private leisten. Mancher mag sich mit einer miniaturisierten Spielform des Potlach, dem häufigen und demonstrativen Rauchen teurer Zigarren zufrieden geben. Denn es bringt nichts, gegen die Facility-Mangager zu polemisieren. Sie sind eine von vielen Randbedingungen. Eher hilft die Bescheidenheit eines Jacques Herzog: „Nachhaltigkeit hat keine Form, keine Gestalt. Wenn man von Formen ausgeht und an diesen festhält, ist die Nachhaltigkeit schon im Eimer. Man kann keine gute Architektur machen, ohne all diese Regeln der Kunst zu beachten. Manchmal gelingt es besser, manchmal weniger gut. Die Techniker helfen uns dabei. Manchmal besser, manchmal weniger gut.“

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