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Architekturhöhenflüge unter Glas
Der Standard

Der Wiederaufbau von Manhattans Ground Zero wird das spannendste Architekturunterfangen 2003

28. Dezember 2002
Klarer, als es Werner Oechslin, Architekturprofessor an der ETH Zürich, ausdrückt, lässt sich kaum formulieren, welche gegenpoligen Kräfte derzeit in und um die prominenteste Baustelle der Welt im Ground Zero in Manhattan walten. Der renommierte Kenner der vergangenen und aktuellen Architekturwelt meinte vergangene Woche in der Neuen Zürcher Zeitung, alle „plans for world's tallest“, also das oft und laut formulierte Ansinnen, über den Fundamenten der ehemaligen Twin Towers jetzt erst recht die höchsten und tollsten Wolkenkratzer der Welt zu errichten, passten „bestens zur Führungsrolle, die in jedem Interview aus Washington unvermindert anklingt. Wer so selbstverständlich von der eigenen Überlegenheit ausgeht, wird sich wohl kaum auf architektonische Nachdenklichkeit oder gar auf Bescheidenheitsformeln wie der von der ,Demokratie als Bauherr' einlassen wollen.“

Oechslin weiter: „Man wird sehen, welches der Projekte am besten zum Kalkül der developers passt, welche icon zum neuen Symbol erhoben wird. Ob hier - europäisch - der alte neue Traum des Babylonischen ,als eine Art Rache am Allzumenschlichen' (J. Ponten in Architektur, die nicht gebaut wurde) mühsam angepeilt wird, oder ob im direkten Gang der amerikanische Traum wieder einmal in Erfüllung geht, wird sich weisen.“

Wie DER STANDARD bereits in der vergangenen Woche berichtete, liegen nunmehr die Entwürfe der sieben ausgewählten internationalen Architekturteams auch der Öffentlichkeit vor (bestens dokumentiert unter www.renewnyc. org). Es sind allesamt saubere, gründlich durchdachte Arbeiten, teils erfrischend experimentell, teils streng pragmatisch, und alle wachsen sie hoch in den Himmel über der Stadt - was nach den nationalen Debatten in den USA im Nachfeld der Terroranschläge vom 11. September des Vorjahres wenig überrascht.

Besonders hoch hinauf will Norman Foster mit seinem Turm, doch auch das kommt nicht gerade unerwartet, hat doch der britische Architekturgroßindustrielle traditionell einen Drang zur Höhe, er arbeitet immerhin gerade am höchsten Gebäude der Welt, das als Millennium Tower in Tokio alle bisherigen Rekorde brechen soll. Auch Daniel Libeskind setzt auf enormen Himmelwuchs, allerdings weit dezenter und poetischer als Foster, was ebenfalls wenig überrascht, Libeskind wurde schon die längste Zeit als Geheimfavorit des Verfahrens gehandelt.

Besonders interessant ist das Geschehen um Ground Zero insofern, als sich die Stadt New York (wie auch der Rest der Nation) - abgesehen von einigen schönen, jedoch weit von der Realisierung entfernten Projekten - von hoch qualitativer Architektur zugunsten eines knappest kalkulierenden Investorentums verabschiedet hat, hier aber die Chance hätte, ein bedeutendes Zeichen für eine neue Architekturzukunft zu setzen. Wer jemals ein großes amerikanisches Durchschnitts-Architekturbüro besucht hat, weiß, dass der Developer meist nicht nur quasi am Zeichentisch kontrollierend sitzt, sondern sogar das Unternehmen selbst besitzt, was zu jenem gräulichen Architektureinheitsbrei geführt hat, der heute die US-Großstädte kennzeichnet. Amerika, einst eine führende Architekturnation, hat das verloren, wofür es einmal berühmt war: seine hoch qualitative Mitte. Zum Standard wurden Trash in Glas und Beton, Qualität ist die Ausnahme. Vielleicht gelingt sie hier wieder.

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