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Praise the Lord
Der Standard

Fostermania in London: Britanniens prominentester Architekt baut hoch und viel, teils spannend, mitunter auch trivial.

5. Januar 2003 - Reinold Heinritz
Lord Norman Foster hat London fest im Griff. Die Tower Bridge? Foster ist Nachbar. St. Paul's Cathedral? Der Lord weist Ihnen den Weg. British Museum? Foster schützt Sie vor Regen. Sie fliegen nach Stanstead? Foster baut Ihnen den Flughafen. Sie kommen per Zug nach King's Cross? Foster plant Ihre Ankunft. Sie fahren mit der U-Bahn? Er schafft neue Stationen. Sie überqueren zu Fuß den Trafalgar Square? Foster befreit ihn vom Verkehr.

Foster der Held und Retter! Doch fragt man sich allmählich, ob seine Architektur nicht zum Würgegriff werden kann. Bis vor kurzem schien London altbacken und in Traditionen verhaftet. Noch Ende der 60er war es eine Stadt der kleinen Häuser, das erste Bürohochhaus im Zentrum verursachte wegen seiner Dimensionen (114 m Höhe) und seiner progressiven Architektur einen Skandal. Als sich in den 80ern neue Architektur Bahn brach, verunglimpfte Prinz Charles den Fortschritt: „Es wäre eine Tragödie, wenn der Charakter und die Skyline unserer Hauptstadt noch weiter ruiniert würden und St Paul's noch zusätzlich durch einen riesigen Glasklumpen geschrumpft würde.“

Erst mit Ausklang des Millenniums änderte sich der Blickwinkel auf Architektur radikal. Neue Formen, neue Technik und neue Dimensionen waren plötzlich gefragt und dabei speziell die Architektur von Lord Norman Foster und Partners. Sein Einfluss geht so weit, dass die CABE (die Kommission für Architektur und Stadtplanung) auf ihrer Homepage klarstellen musste, dass große Büros, insbesondere das von Foster, bei Planungsaufträgen nicht bevorteilt würden. Doch nicht zuletzt ihm ist es wohl anzurechnen, dass London zum ersten Mal wirklich modern aussieht.

Fosters neuestes Gebäude in London wird als „erotische Gurke“ verspottet. Dabei ist die Zentrale des Rückversicherers Swiss-Re sicherlich der schönste Punkt der Skyline. Ausgehend von einem runden Grundriss zieht sich das Gebäude als lang gestrecktes Osterei in die beachtliche Höhe von knapp 180 Metern. Die Form ist jedoch nicht nur Spielerei, sondern soll die unteren Geschoße mit mehr Licht versorgen, der Aerodynamik dienen und schließlich auch eine neue Art der Ventilation für das Gebäudeinnere ermöglichen. Ein Bürogebäude, das mit mehr Außenluft arbeitet, kann entsprechend bei der Klimatisierung einsparen und umweltfreundlicher arbeiten.

Das Design wurde bereits von Buckminster Fuller in den frühen 70ern errechnet. Doch damals war die Konstruktion mit der „doppelt gewölbten“ Form technisch noch unmöglich. Erst neue Computerprogramme machten die Konstruktion denkbar und erschwinglich.

Foster und sein Team nützen sie konsequent. Sowohl die soeben fertig gestellte London City Hall, die Überdachung des British Museum wie auch der neue Masterplan für die Zwillingstürme in New York sind Früchte souveränen Computereinsatzes.

Die Versicherungsgurke ist insofern ein typischer Foster-Bau, als dass auf den Millimeter genau vorgefertigtes Material erst an Ort und Stelle zusammengefügt wird. Kabel und Rohre liegen dicht unter der Außenhaut und werden von bienenwabenartigen Betonrahmen vor Blicken geschützt. Tagsüber ohnehin ein Blickfang an der Skyline, wird Swiss-Re abends noch dazu grün und blau von innen beleuchtet und markiert einen fantastisch futuristischen Gegensatz zu seinen Nachbarn, der Tower Bridge, dem Tower 42 und - welch Niederlage für den Prinzen - der Kathedrale von St. Paul's.

Die neuen Prunkbauten Fosters sind eindeutig die erste Wahl bei repräsentativen Bauten, die um die Publikumsgunst buhlen. Das sieht man inzwischen auch in Hongkong (die Zentrale der HSBC-Bank), in Frankfurt (Commerzbank), Bilbao (Metro), Nîmes (Carré d'Art), Norwich (Sainsbury Centre for Visual Arts), Berlin (Reichstag) oder Palo Alto (Research Center der Stanford University). Oder beim neuen Londoner Rathaus, im Volksmund „the testicle“, der Hoden genannt. Der Repräsentationsbau wurde schnell zu einem neuen Wahrzeichen der Metropole.

Seine Form ist einzigartig: eine Art aerodynamischer Helm, in dessen Visier eine Aussichtsplattform Platz hat, frech nach vorne gerichtet und just frontal gegenüber dem Tower, dem Inbegriff des Verschlossenen, Undemokratischen und der Folter. Die Treppenkonstruktion ist atemberaubend: Eine nach unten sich verbreiternde Spirale ist pro Runde nur an drei Fixpunkten verankert, davon einmal der jeweilige Übergang zu einem neuen Stockwerk und zweimal durch schlanke Stahlträger von der Decke, was die Treppe leicht, luftig und zugleich schwindelerregend erscheinen lässt. Die Bauphilosophie ist makellos: Transparenz auf der Entscheidungsebene wird im Baustil fortgeführt und sogar auf die nähere Umgebung übertragen.

Foster und Partner haben gemeinsam mit dem Skulpteur Sir Anthony Caro und dem Ingenieur Ove Arup noch ein weiteres Wahrzeichen geplant, gebaut und jahrelang verbessert: „the wobbly bridge“ (die wacklige Brücke), offiziell die Millennium Bridge.

Bei der Eröffnung der ersten Fußgängerbrücke gab es derart starke Schwingungen, dass sie nach nur einem Tag gesperrt wurde und zwei weitere Jahre nötig waren, sie zu stabilisieren. Die Kombination von Kunst, Ingenieurskönnen und Konstruktion begeistert dennoch. 320 m lang, ist sie erstaunlich tief abgehängt. Y-förmige Träger stützen Kabel, die ihrerseits alle acht Meter über Stahlklemmen den Gehweg stabilisieren (mittlerweile wirklich). Eine hervorragende Aussicht ist allen Überquerern garantiert. Erstaunlich dabei ist nicht nur die technische Reife, sondern auch, dass Anthony Caros Entwurf zur Auslotung von diametralen Gegensätzen - wie konkav und konvex, Gerade und Kurve, Licht und Schatten - voll Rechnung getragen wurde.

Nicht alle Bauten von Foster sind so spektakulär und technisch derart raffiniert. Beispiele für zwar gute und solide, dennoch langweilige, konventionelle Architektur gibt es genug.

Das im Wortsinn herausragendste ist der 210 Meter hohe Turm für die HSBC-Bank. Er steht in Canary Wharf, dem unternehmerischen Vorzeigeprojekt in einer aus dem Boden gestampften künstlichen Bürowelt. Ende der 80er begonnen, ist es seither ein Areal in ständiger Erweiterung. 2002 wurden zwei neue Gebäude errichtet und dem höchsten Turm - dem Canary Wharf Tower von Pelli - an die Seite gestellt. Das von Foster ist schlicht, schön - und erstaunlich langweilig. Der Eingang grüßt in Retro - in den klassischen Tönen Schwarz, Rot, Weiß gehalten, erinnert er an Art déco und bringt nichts wirklich Neues.

Dabei gäbe es in London genügend andere interessante Architekten - etwa Fosters ehemaligen Partner Sir Richard Rogers oder ganz junge wie m3 architects. So schön, repräsentativ und technisch die Gebäude des geadelten Meisters auch sein mögen, es ist die Vielfalt an Planungsideen und disparaten Kräften, die einer Stadt erst ein organisches, lebendiges Gesicht geben.

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