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Deutschsprachige Baukünstler in Prag
Neue Zürcher Zeitung

Vergessene Architekten

Unter dem Titel «Begleichung der Schuld» versucht eine Prager Ausstellung, den vor allem in der Zwischenkriegszeit verdrängten und anschliessend oft völlig vergessenen deutschsprachigen Baukünstlern Tschechiens auf die Spur zu kommen. Die Schau scheint unspektakulär und ist doch in ihrem Bemühen bemerkenswert.

21. Januar 2003 - Katarina Holländer
Auf die Frage, warum in Prag nach dem hier geborenen Lyriker Rainer Maria Rilke keine Strasse und kein Platz benannt sei, wo doch viele weit weniger grosse Künstler lange schon zu solcher Ehre gelangt seien, antwortete vor wenigen Jahren ein für Strassennamensänderungen zuständiger Prager Beamter mit trockenem Sarkasmus: Weil kein Gesuch gestellt worden sei. Daran ist mindestens wahr, dass das Interesse der tschechischen Öffentlichkeit an ihrer einstigen deutschsprachigen Kultur jahrzehntelang mit einem Tabu belegt gewesen war und somit minim blieb; ihre Spuren sind gründlich verwischt worden. Wurden die meist deutschsprachigen Juden, die nicht rechtzeitig ihr Leben durch Emigration gerettet hatten, während des Zweiten Weltkriegs ermordet, so wurde der Rest der «Deutschen» nach dem Krieg aus der Tschechoslowakei verjagt.

In letzter Zeit mehren sich nun Ansätze, diese Aspekte der Geschichte aus der kollektiven Vergessenheit zu heben. Im Bereich der Architektur bemühte sich zum Beispiel vor zwei Jahren eine Brünner Ausstellung, jüdische (und daher meist deutschsprachige) Architekten, die zwischen 1919 und 1939 in Brünn ansässig und tätig waren, wieder ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zurückzuführen. Weiter werden «deutsche» Theaterbauten des Landes untersucht, Symposien abgehalten, etwa über Josef Zasche (1871-1957), einen Vertreter des Jugendstils und der Moderne. Zasche war einer der wenigen Architekten «deutscher Nationalität» (er ist im tschechischen Jablonec nad Nisou geboren), die nach der Gründung der Tschechoslowakei 1918 noch bedeutende Aufträge bekamen, und er wurde im Gegensatz zu den meisten anderen auch von den tschechischen Avantgardisten beachtet. Seine Kollegen versuchten sich nach dem Zweiten Weltkrieg sogar für ihn einzusetzen - vergebens; er wurde zu einem jener Vertriebenen, die aus dem Land geworfen wurden.

Der tschechische Architekturhistoriker Zdenk Lukeš stellt nun unter dem Titel «Begleichung der Schuld» in der Jaroslav-Fragner-Galerie rund 70 deutschsprachige Architekten, Architektur- und Baufirmen vor, die zwischen 1900 und 1938 in Prag Bauten realisierten. In deren Schaffen meint er einige Züge ausmachen zu können, die die Architekten deutscher Sprache von vielen ihrer tschechischsprachigen Kollegen unterschieden, wenn auch jede Verallgemeinerung hier gefährlich erscheint. So bezogen sich die «Deutschen» leichter auf den Expressionismus Mendelsohn'scher Prägung und mieden den um 1920 mit einigem Pathos angewandten tschechischen «Nationalstil». Sie waren jedoch nicht selten auch Vorreiter neuer Richtungen: Friedrich Ohmann führte als erster Jugendstilelemente in Prag ein, Zasche arbeitete mit Jan Kotra, dem Begründer der modernen tschechischen Architektur, zusammen, und der gebürtige Brünner Adolf Loos (der jedoch als «Ausländer» eine der Ausnahmen unter den präsentierten Autoren darstellt) baute in Prag 1928-30 seine epochale Villa Müller.

Ab Mitte der zwanziger Jahre widmen sich beide Gruppen vornehmlich dem vom Bauhaus ausgehenden Internationalismus, in Prag entstehen bedeutende funktionalistische Bauten, u. a. von den in der Schau vorgestellten Architekten Hermann Abeles, Eugen Rosenberg, Otto und Karl Kohn. Weltweit Beachtung fand die 1928/29 von Ernst Mühlstein und Victor Fürth realisierte Schück-Villa. Die Tschechoslowakei erlebte nach ihrer Gründung 1918 einen wahren Bauboom, die Architekten des Landes gehörten zur europäischen Avantgarde und bescherten Prag nach den architektonischen Höhepunkten zur Zeit der Gotik und des Barock eine dritte Blütezeit, der 1938 abrupt ein Ende gesetzt wurde. Von den «deutschen» Architekten sind nur einzelne nach 1945 noch im Land gewesen oder zurückgekommen, und nach 1968 scheint auch der letzte Prag verlassen zu haben.

Die Daten für den Katalog mussten zusammengekratzt werden: Vertreibung, Emigration und Mord haben dazu geführt, dass heute nur sehr lückenhafte Kenntnisse über manchen der Projektanten und Architekten existieren. Viele von ihnen hatten an der Prager Deutschen Technischen Hochschule studiert oder gelehrt, deren Archive in den fünfziger Jahren vom kommunistischen Regime vernichtet wurden. Hinterlassenschaften der Vertriebenen sind kaum vorhanden. Und von den Deportierten ist nicht viel übrig geblieben. Nach einer weitgehenden Nichtbeachtung durch ihre tschechischen Kollegen vor dem Krieg haben die Dekaden kommunistischer Ideologie den Rest besorgt. Einiges von dem wenigen, das sich an Dokumenten erhalten hatte, ist bei der Flut des letzten Jahres beschädigt worden und wartet auf Restaurierung. Sätze wie «sein Schicksal nach dem Krieg kennen wir nicht» oder «uns stehen keinerlei Informationen über diesen Architekten zur Verfügung» zeigen, worum es sich bei dieser Ausstellung handelt: um einen Anfang.


[Bis 16. Februar in der Jaroslav-Fragner-Galerie in Prag (Betlémské nám. 5a), anschliessend vom 25. Mai bis zum 31. August im Museum Ostdeutsche Galerie, Regensburg. Katalog: Begleichung der Schuld. In Prag tätige deutschsprachige Architekten 1900-1938. Hrsg. Zdenk Lukeš. Verlag Fraktály Publishers, Prag 2002. 224 S., tKr. 699.- (etwa Fr. 35.-). Der Katalog kann unter fraktaly@fraktaly.cz bestellt werden.]

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