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Bigger is not better
Neue Zürcher Zeitung

New Yorks Museums-Szene im Umbruch

24. Januar 2003 - Andrea Köhler
Vielleicht war die Umwandlung der New Yorker Guggenheim-Filiale in eine Prada-Boutique die Entstellung zur Kenntlichkeit. Mit dem von Rem Koolhaas glamourös gestylten Konsumtempel in Soho habe man dem Ort lediglich ein neues Outfit und einen neuen Markennamen verpasst, hiess es seinerzeit süffisant; einen Markennamen freilich, muss man hinzufügen, der sich den Showroom für seine Luxusprodukte auch leisten kann. Das war im Dezember 2001. Nun ist Ende des Jahres auch das ehrgeizigste Projekt des Guggenheim unter grösstmöglichem Stillschweigen beerdigt worden: das seit langem geplante Museum in Lower Manhattan. Frank Gehrys kühnes, silbernes Architektur-Gebirge, eine Art gigantisches zweites Bilbao, war auf 950 Millionen Dollar veranschlagt worden, von denen ein Teil die Stadt übernehmen wollte. Davon kann nach dem Schock vom 11. September 2001 und Bloombergs neuesten städtebaulichen Plänen für Downtown Manhattan nicht mehr die Rede sein. Was mit Frank Gehrys ambitioniertem Bau freilich auch noch zu Grabe getragen wurde, ist das «Guggenheim-Prinzip», wie Hilmar Hoffmann die Idee nannte, ein Museum nach den Gesetzen eines weltumspannenden Kunstkonzerns führen zu können - kurz: das Vermächtnis der neunziger Jahre.


Vom Primus zum Prügelknaben

Dabei scheint der Bauboom trotz der überall spürbaren Krise wenigstens in der Museumswelt ungebrochen. Das Los Angeles County Museum bekommt von Rem Kohlhaas einen Neubau für rund 200 Millionen Dollar, die Erweiterung des Bostoner Museum of Fine Arts durch Norman Foster wird auf 450 Millionen veranschlagt, der Ausbau des MoMA New York soll 650 Millionen kosten. In Queens eröffnete kürzlich der Socrates Sculpture Parc; im Mai wird in Beacon, N. Y., eine Filiale der New Yorker Art Dia Foundation eingeweiht: das New Contemporary Art Museum - um nur ein paar Beispiele aufzuführen. Die treibende Kraft hinter diesen Projekten aber sind nicht die Direktoren und Kuratoren, sondern reiche Privatleute, die für ihre investierten Millionen gerne als Aufsichtsräte über Wohl und Wehe der Museen wachen. Im Unterschied zu europäischen Museen sind die amerikanischen Institutionen grösstenteils auf private Geldgeber angewiesen.

Das bekam zuletzt vor allem der Leiter des Guggenheim, Thomas Krens, zu spüren. Krens, der sich vom Primus zum Prügelknaben der Medien entwickelt hat, wurde vom Aufsichtsratsvorsitzenden und Hauptgeldgeber Peter B. Lewis wegen seiner investitionswütigen Firmenpolitik öffentlich abgemahnt: Wenn Krens seine Finanzvorstellungen nicht den Realitäten anzupassen geneigt sei, könne er seinen Hut nehmen. Die Realität - das ist eine Bilanz von 7 Millionen Dollar Defizit, ein gedritteltes Stiftungsvermögen und die Halbierung der Einnahmen, weltweit geschlossene Filialen und begrabene Expansionswünsche. Nun gibt es fürs neue Jahr einen Zuschuss von genau 12 Millionen. Krens sagte artig danke und bleibt vorerst, wo er war. Doch nicht nur seine hochfliegenden Pläne sind definitiv auf Eis gelegt worden.

Die «Abwärtsspirale», die die New Yorker Stadtzeitung «Village Voice» vor einem Jahr konstatierte, dreht sich nämlich schon eine Weile. Es sei höchste Zeit für den Direktor des Guggenheim, endlich abzutreten, und mit ihm der ganze Stab, der ihm dabei geholfen habe, diese Institution in eine Art «GuggEnron» zu verwandeln, schrieb das Blatt seinerzeit. Krens und seine Leute hätten - und mit dieser Ansicht steht die «Village Voice» nicht allein - aus dem ohnehin schon angeschlagenen Museum eine «Schurken- Institution» gemacht, den Glauben an die Kunst ruiniert und die über Generationen von Künstlern und Kuratoren gewonnene Reputation gründlich verspielt; der Hintereingang für die Sponsoren sei zum Haupteinfallstor für ein kommerzorientiertes Programm geworden. Zumindest was den Stab angeht, ist Krens der Aufforderung der Stadtzeitung, wenn auch unwillentlich, nachgekommen: Die Hälfte seiner Mitarbeiter wurde letztes Jahr fristlos entlassen.

Erfolg bleibt nicht ungestraft. Vergessen, dass Thomas Krens im Jahr 1988 ein eher kleines Museum übernahm, das bereits in finanziellen Nöten steckte. Krens fand kreative Lösungen, die Sammlungen zu erweitern (die er nun wieder zum Verkauf auslobt), er reanimierte das Guggenheim in Venedig und liess das von Frank Gehry entworfene Grossprojekt in Bilbao bauen, er setzte aufs Online-Geschäft und investierte im Aktienmarkt. Das Guggenheim wurde zu einem Markennamen für Expansion und Mobilität, für Globalisierung und New Economy, kurz für alles, was heute einen verdächtigen Klang hat.

Die innige Liaison von Kunst und Kommerz ist auch der Grund, weshalb Krens' Einbruch nicht ganz ohne Schadenfreude betrachtet wird. Noch zu laut schallt sein forsches Bekenntnis zur Entertainment-Industrie im Ohr. So sind auch die von BMW gesponserte Motorradausstellung und die Modenschau von Armani, für die Frank Lloyd Wrights berühmter Rundbau zu einem Showroom für Markenprodukte umfunktioniert wurde, bei der Kritik auf Naserümpfen gestossen. Darüber hinaus erntete das Haus an der Fifth Avenue mit der Ausstellung «Brazil: Body & Soul» oder der Norman-Rockwell-Show im letzten Jahr zwar einigen Zulauf, aber wenig Wohlwollen in der Kunstwelt. Nun musste das «go-go-Guggenheim» gewaltig die Bremse anziehen. Zum Jahreswechsel schlossen die - von Rem Koolhaas gebauten - Dépendancen in Las Vegas. Auch die Expansionspläne in Rio oder Taiwan musste Krens zurückfahren. Selbst lange geplante Ausstellungen, etwa von Matthew Barney oder Kasimir Malewitsch, wurden immer wieder verschoben und hatten nun ihre Premiere nicht mehr in New York, sondern in Köln und Berlin. Und das mit Pomp und Trara aus dem Boden gestampfte Internetprojekt wurde Anfang des Jahres ganz eingestellt.


Die neue Bescheidenheit

Doch während das Guggenheim neue Bescheidenheit trägt, mausert sich die Szene an den Rändern. Besonders drei neue Projekte verdienen Aufmerksamkeit. Im nächsten Jahr öffnet in Chelsea das Rubin Museum of Art mit einer der bedeutendsten Sammlungen asiatischer Kunst ausserhalb Asiens, und in Soho entsteht derzeit das New Museum of Contemporary Art, das im Jahre 2005 seine Tore öffnen wird. Darüber hinaus öffnete im Galerien-District um den boomenden ehemaligen Meat-Market kürzlich eine weitere vielversprechende Institution ihre Tore: das Chelsea Museum of Art. Auf den drei Etagen einer ehemaligen Fabrik für Weihnachtsdekorationen will die Miotte Foundation, die das Gebäude erworben und komplett umgebaut hat, neben den eigenen Beständen besonders solche Werke ausstellen, die noch nicht überall im Gespräch sind. Auch sollen hier Künstler zum Zuge kommen, die den Zenit ihrer Prominenz überschritten haben, jedoch kontinuierlich einer Werkidee folgen. Die Miotte Foundation übernimmt damit eine Aufgabe, deren sich die meisten Galerien, die in erster Linie Trends und Superstars pflegen, bereits vor Zeiten entledigt haben. «Bigger is not better, better is better», mahnte die «New York Times», als sie unlängst unter der Überschrift «Das Ende der Ära Guggenheim» einen Trendwechsel in der Kunstwelt beschwor. Zur Freude der meisten Kommentatoren steht nun die Kunst vielleicht wieder dort, wo sie hingehört: im Mittelpunkt.

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Für den Beitrag verantwortlich: Neue Zürcher Zeitung

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